Signa, Raiffeisen und die Bankenaufsicht
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Es ist so etwas wie die Dolchstoßlegende der Signa: Weil die Finanzaufsicht – allen voran die Europäische Zentralbank (EZB) – im Frühjahr 2023 Banken gezielt wegen ihres Risikos gegenüber René Benkos Signa-Gruppe unter die Lupe nahm (und das öffentlich wurde), habe die Immobilien- und Handelsgruppe nicht mehr ausreichend Kredite bekommen. Deshalb sei der Signa letztlich das Geld ausgegangen. Und nicht etwa wegen eines aus dem Ruder gelaufenen Geschäftsmodells, steigender Zinsen oder explodierender Baukosten. Mitunter wird diese Mär noch um einen politischen Aspekt ergänzt: Die EZB habe auf Zuruf der deutschen Politik agiert, welche sich – so die Behauptung – dafür rächen wollte, dass sich Milliardär Benko die Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof in der Corona-Zeit durch riesige Staatshilfen am Leben erhalten ließ, um sie dann doch erst wieder in die Pleite zu schicken.
Eine interessante Verschwörungstheorie – aber wohl nicht mehr als das. profil liegen interne Unterlagen der österreichi-schen Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) vor. Diese zeigen, dass sich die Bankenaufseher inklusive EZB schon Jahre zuvor kritisch mit den ausufernden Kreditgeschäften der Signa-Gruppe auseinandergesetzt haben. Die Frage ist allerdings, ob die Warnungen in der Bankenbranche ausreichend ernst genommen wurden.
Das geheime EZB-Protokoll
Juni 2019: Nicht weniger als sechs ranghohe Vertreter der Raiffeisen Bank International (RBI) sitzen einem „Joint Supervisory Team“ der Europäischen Zentralbank gegenüber. Angeführt wird die RBI-Delegation von CEO Johann Strobl. Mit dabei ist auch Risiko-Vorstand Hannes Mösenbacher. So geht es jedenfalls aus einem bei der FMA verakteten EZB-Protokollentwurf hervor, der profil vorliegt.
Dieser Termin fand offenbar am 14. Juni 2019 statt und hatte einen klaren Fokus auf Signa. Gemäß Protokollentwurf wollten die Bankenaufseher vom RBI-Top-Management wissen, wie denn der interne Entscheidungsprozess in Bezug auf eine bestimmte Signa-Transaktion abgelaufen sei. Dabei sollen aus Sicht der Bankenaufseher nämlich einzelne interne Risikolimits der RBI verletzt worden sein. Eines vorweg: Die relevanten regulatorischen Vorgaben für Großkunden wurden auch aus Sicht der EZB eingehalten.
Derartige Limits sind ein Schutzmechanismus für Banken. Es geht darum, dass ein Geldinstitut nicht selbst in Schieflage gerät. Das Stirnrunzeln der EZB im konkreten Fall dürfte jedenfalls nicht aus einer übertriebenen Pingeligkeit heraus entstanden sein: Wie aus einem FMA-internen E-Mail-Verkehr hervorgeht, der profil vorliegt, wurde von den Aufsichtsbehörden damals festgestellt, dass „die RBI bei Benko ihre internen Limits deutlich (zum Teil um das 9-fache) überschritten“ habe. Gemeint war wohl nicht Benko persönlich, sondern das gesamte Signa-Umfeld. Dieses E-Mail sollte übrigens noch für Aufregung und eine Maulfwurfsjagd sorgen – dazu später mehr. Wem man als Bank wie viel Geld borgen kann und wo Schluss ist, hängt aber von vielen verschiedenen Faktoren ab. Und dazu kann es mitunter verschiedene Meinungen geben. Etwa wenn eine bestimmter Kreditfall nicht eindeutig einer standardisierten Kreditkategorie zugeordnet werden kann.
Milliardenkredit trotz Bedenken
Zurück zum Management-Meeting der RBI mit dem EZB-Aufsichtsteam im Juni 2019: Dem vorliegenden Protokollentwurf zufolge rechtfertigte sich die Bank damit, dass die internen Grenzen eher als Richtlinien („guiding principles“) zu verstehen seien denn als strikte Limits. Ganz so leicht ließen sich die Behördenvertreter aber offenbar nicht überzeugen. Laut Protokollentwurf verwiesen sie darauf, dass es im
Risikomanagement auch Bedenken gegen die konkrete Transaktion gab, diese aber im Entscheidungsprozess nicht entsprechend berücksichtigt worden wäre. Die RBI soll den Aufsehern daraufhin erklärt haben, der Risikovorstand habe sein Recht wahrgenommen, auf Risiken bezüglich des Marktumfeldes, der Liegenschaftsbewertung, niedriger Sicherheiten und signifikanter Überschreitungen interner Limits hinzuweisen. Nichtsdestoweniger sei die Entscheidung aber letztlich auf Vorstandsebene („Board level“) gefallen.
Um welche Transaktion es sich dabei konkret gehandelt hat, lässt sich aus dem EZB-Papier zumindest erahnen: eine Überbrückungsfinanzierung für Signa rund um den Erwerb des Alleineigentums an der deutschen Galeria Karstadt Kaufhof. Dabei ging es um eine Menge Geld, wobei die Bank das Risiko daraus etwas relativierte: Die RBI habe betont, das maximale „Exposure“ von einer Milliarde Euro sei eher theoretisch („more theoretical“), heißt es im vorliegenden Protokollentwurf. Wie sollte es in Zukunft weitergehen? Vom Kunden Signa distanzierte man sich jedenfalls nicht. Am Ende des Papiers ist vermerkt, dass die Bank erklärt habe, im Moment keinen weiteren Risiko-Appetit in Bezug auf Signa zu haben. Nichtsdestoweniger sei die RBI offen für zukünftige Transaktionen. („Nevertheless, RBI is open for future transactions.“) Zum konkreten Fall nimmt die RBI wegen des Bankgeheimnisses nicht Stellung. Aber: „Die RBI möchte klar festhalten, dass es zu keinerlei Limitüberschreitungen gekommen ist. Alle Transaktionen werden nach klar definierten Vergaberichtlinien ordentlich in den relevanten Gremien der RBI besprochen und entschieden. Die RBI folgt einem gewissenhaften Kreditvergabeprozess und hat zu keinem Zeitpunkt interne Limits verletzt“, sagt ein Sprecher auf Nachfrage.
Auf Anfrage wollte sich die FMA zum konkreten Fall mit Verweis auf die Amtsverschwiegenheit nicht äußern. Aus dem Umfeld der Aufsicht konnte profil aber in Erfahrung bringen, dass der RBI schon 2019 nahegelegt worden sein soll, das Signa-Exposure zurückzufahren.
OeNB-Unterlagen von Mitte 2023 zufolge war die RBI damals – knapp vor der Signa-Pleite – mit rund 780 Millionen Euro größte österreichische Gläubigerbank der Gruppe – nur knapp vor der UniCredit Bank Austria (680 Millionen Euro), profil berichtete. An dritter Stelle lag demnach die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien mit rund 290 Millionen Euro. Das RBI-Exposure dürfte mittlerweile leicht gesunken sein. Bekanntlich hat RBI mehrere Signa-Projekte finanziert und nicht nur besagten Kaufhof-Deal.
„Jeder Kredit – auch jene im Immobilienbereich – folgen klaren Entscheidungsprozessen, die bis zum Aufsichtsrat gehen und es gab/gibt zu keinem Zeitpunkt eine Limitüberschreitung“, so ein Sprecher. „Im Jahr 2019 konnte die RBI allerdings nicht von einer Pandemie, einem Krieg in der Ukraine und der stärksten Zinssteigerung seit 1945 ausgehen. Auch der extreme Anstieg der Baukosten war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar.“
Die Maulwurfsjagd
Das Signa-Exposure der RBI steht übrigens nicht erst seit der Pleite wesentlicher Teile des Benko-Imperiums Ende 2023 im medialen Interesse. Bereits Ende 2020 kontaktierte ein Journalist eines internationalen Finanzmediums die Bank und auch die FMA bezüglich der potenziellen neunfachen Limitüberschreitung und zitierte dabei aus einer internen FMA-Kommunikation. Wie Dokumente zeigen, die profil nunmehr vorliegen, startete die Behörde daraufhin eine Maulwurfsjagd. Letztlich kam die Interne Revision zu dem Schluss, dass dem Journalisten jenes Mail zwischen zwei FMA-Mitarbeitern vorgelegen sein muss, aus dem nun auch profil weiter oben zitiert hat.
Wie das Mail an den Journalisten gelangt sein könnte, blieb unklar. Die FMA brachte bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Anzeige gegen „unbekannte Täter“ wegen des Verdachts auf Verletzung des Amtsgeheimnisses ein. In der Folge eröffnete die Staatsanwaltschaft auch tatsächlich ein Ermittlungsverfahren.
Etwas später aber dann die Überraschung: Einem profil vorliegenden FMA-Vermerk zufolge fiel der Behörde im April 2021 auf, dass das betreffende E-Mail lange vor der Journalistenanfrage an den Ibiza-Untersuchungsausschuss des Nationalrats übermittelt worden war. Vor diesem Hintergrund war als Quelle für den Journalisten wohl nicht mehr zwingend ein Leck in der Behörde anzusehen. Das dürfte auch dem Sachbearbeiter in der FMA gedämmert sein, der vermerkte: „Es ist sohin eine ergänzende Mitteilung über diesen Sachverhalt an die StA Wien zu erstatten.“ Doch nur ein paar Tage später folgte eine neue Notiz: „Nach Rücksprache mit dem Vorstand wird von der Übermittlung der ergänzenden Mitteilung an die StA abgesehen.“
Warum wollte die FMA-Spitze die Staatsanwaltschaft im Dunkeln darüber lassen, dass höchstwahrscheinlich überhaupt keine undichte Stelle in der Behörde existierte? Dazu gab es keinen Kommentar. Signa-Aufregung auf allen Ebenen.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.