Signas Finanzchef Pirolt: „Benko und ich waren keine Freunde“
Manuel Pirolt war bei Signa die Nummer zwei hinter René Benko und dessen wichtigster Mann: Er war für die Finanzen zuständig. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. Jetzt bricht er erstmals sein Schweigen und spricht mit profil über die letzten Monate bei Signa, strategische Fehler und den gescheiterten Kampf um Milliarden. Zu Benko geht er auf Distanz.
Dreizehn Jahre lang hat Manuel Pirolt die Öffentlichkeit gescheut. Er war als Finanzvorstand die Nummer zwei hinter René Benko und gilt als maßgeblicher Architekt der Signa, die nun eine der größten Pleiten der vergangenen Jahrzehnte hingelegt hat. Pirolt hat Signas Aufstieg mitermöglicht – und trägt einen Teil der Verantwortung für den tiefen Fall des Unternehmens.
In der Interviewsituation zeigt sich: Manuel Pirolt ist kein Alpha. Die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird, ist ihm sichtlich unangenehm. Er setzt sich nicht automatisch ans Tischende, wo alle Blicke auf ihn gerichtet sind. Man muss ihn erst darum bitten. Er spricht klar und deutlich, man merkt, dass er sein Leben lang viel erklären musste: Banken, Investoren, dem Aufsichtsrat, Wirtschafts- und Steuerprüfern – und bald der Staatsanwaltschaft. Er wird dort in fünf Fällen als Beschuldigter geführt. Pirolt ist der Erste aus der obersten Signa-Führungsriege, der nun erstmals in der Öffentlichkeit Rede und Antwort steht. Er nimmt sich für die Beantwortung jeder Frage Zeit – und profil hat viele.
Sie sind der Erste aus der engsten Signa-Führungsriege, der sich einem Interview stellt. Uns freut das – aber warum jetzt?
Pirolt
Ich habe gegenüber Insolvenzverwaltern und dem Aufsichtsrat ein Commitment abgegeben, die Treuhandsanierung mit meinem Wissen zu begleiten, um den eingetretenen Schaden nicht zu vergrößern. Wir versuchen mit den sehr engagierten verbliebenen rund 50 langdienenden Mitarbeitern, das noch bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Es war immer klar, dass mein Engagement ein Ablaufdatum hatte. Uns ist durch Massekredite und Sanierungspläne eine Stabilisierung gelungen. Für mich ist damit der Zeitpunkt gekommen, den Vorstand der großen Immobiliengesellschaften Signa Prime und Signa Development Selection zu verlassen. Ich bin seit 2011 im Unternehmen, wurde öffentlich – auch beabsichtigt – kaum wahrgenommen. Bevor ich gehe, möchte ich aber noch einiges aus meiner Sicht kommentieren. Ich hoffe, das hilft, die Stabilisierung weiter zu gewährleisten.
Bleiben Sie für Signa beratend tätig?
Pirolt
Ja. Ich stehe weiter zur Verfügung.
War René Benko eigentlich Ihr Chef?
Pirolt
Nein, als Vorstand einer Aktiengesellschaft bin ich weisungsfrei – aber natürlich unter der Kontrolle des Aufsichtsrates – tätig.
Zur Person
Manuel Pirolt (40) kam 2011 als Controller – also als Hüter der Finanzen – zu Signa. Er machte rasch Karriere und zog in den Vorstand der zentralen Immobilien-Holdings der Gruppe ein: Signa Prime Selection AG und Signa Development Selection AG. Doch nicht nur das: Laut Firmenbuch (Wirtschaftscompass) hatte er zuletzt allein in Österreich mehr als 260 aktive Funktionen inne. Der größte Teil davon entfällt augenscheinlich auf Signa-Gesellschaften und sonstige Firmen aus dem Benko-Umfeld. Pirolt wurde nämlich 2015 auch Vorstand von René Benkos Laura Privatstiftung. Ein Zeichen für echtes Vertrauen: Zwar zählt Benko selbst nicht zu den Begünstigten der Stiftung, sondern nahe Verwandte. Es dürfte aber ein beträchtlicher Teil des Familienvermögens dort geparkt sein. Pirolt steigt nun auch bei der Stiftung aus.
Offiziell hatte Benko bei Signa in den vergangenen Jahren keine gesellschaftsrechtlichen Funktionen und somit mit dem Unternehmen nur wenig zu tun. Sehen Sie das anders?
Pirolt
Mit den Immobiliengesellschaften hatte er einen Beratungsvertrag. Er war sehr präsent, das ist kein Geheimnis. Er hat jeden Tag von morgens bis abends gearbeitet. Er hat das Unternehmen gegründet und war in viele Vorhaben involviert.
Wie viel hat er für seine Beratungsdienste bekommen?
Pirolt
Er hat mit den jeweiligen Unternehmen einen Beratungsvertrag. Die Entlohnung war ein tiefer sechsstelliger Betrag pro Gesellschaft.
Erfolgsabhängig?
Pirolt
Nein. Es war ein pauschales Beraterhonorar.
Wie würden Sie seine Rolle beschreiben. Was heißt denn „beraten“ in dem Fall?
Pirolt
René Benko verfügt über ein weitverzweigtes Netzwerk und hat sehr erfolgreich Immobilien entwickelt. Es ging also um Geschäftsanbahnung, Netzwerkfragen und Immobilienfragen.
Sie waren bei Signa nicht nur Vorstand der beiden zentralen Immobilien-Aktiengesellschaften, man findet Sie im Firmenbuch auch in der Führungsebene vieler anderer Signa-Gesellschaften. Was war denn genau Ihr Job?
Pirolt
Ich war in den AGs und deren Töchtern für Finanzen und Abläufe zuständig: Jahresabschlüsse, Controlling, Prozesse.
Wie war denn der Austausch mit Ihrem Berater Benko?
Pirolt
Das kann man allgemein nicht beantworten. Je nach Projekt war der Austausch sehr intensiv und täglich. Dann auch wieder nicht – dann haben wir vielleicht einmal pro Woche telefoniert.
Wir fragen deshalb so genau nach, weil sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auch der Frage angenommen hat, ob René Benko, der eigentlich offiziell nichts war, nicht doch faktischer Geschäftsführer – also Schattengeschäftsführer – war. Und damit in der Haftung sein könnte. Was war Ihre Wahrnehmung?
Pirolt
Er war in viele Dinge involviert und hat sich intensiv um die Unternehmensweiterentwicklung mit seinem Netzwerk und seinen Fähigkeiten gekümmert. Ob das eine faktische Geschäftsführung ist oder nicht, da müssen Sie einen Juristen fragen.
Nehmen wir an, René Benko hätte Ihnen als Vorstand der Signa Prime einen Vorschlag gemacht, etwas zu kaufen. Hätten Sie sagen können: „Nein, das mache ich nicht.“?
Pirolt
Natürlich.
Und haben Sie das auch gemacht?
Pirolt
Ich formuliere es anders. Alle wesentlichen Dinge, die wir gemacht haben – jeder Ankauf oder Verkauf, jeder wesentliche Vertrag –, sind dem Aufsichtsrat durch den Vorstand zur Genehmigung vorgelegt worden. Dies wurde auch dokumentiert. Wenn Benko einen Vorschlag gehabt hat, dann haben wir uns den auch angeschaut. Aber so, wie es kolportiert war, dass er durch die Gänge geht und allen irgendwas anschafft, so war das definitiv nicht.
Man sagt über Sie, dass Sie einer der ganz wenigen sind, die dieses Firmenkonstrukt und auch die dahinterliegenden Zahlen und Transaktionen wirklich im Blick hatten. Es gibt den Vorwurf, dass Investoren mit geschönten Darstellungen gelockt wurden. Wie gut waren Ihre Zahlen?
Pirolt
Ich bin Vorstand der wesentlichen Immobilientöchter, ich bin nicht in die Holding oder die Handelssparte involviert gewesen. Für meinen Bereich kann ich Ihnen mit gutem Gewissen sagen, dass all diese Zahlen auf höchstem Niveau entstanden und geprüft worden sind. Die Informationen wurden transparent mit allen Stakeholdern geteilt und diesen erläutert. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Banken und Investoren unsere Zahlen zu erklären. Investoren haben immer eine ausführliche Due Diligence (Anm.: Unternehmensprüfung) durchgeführt. Es waren Dutzende Berater involviert, es wurden Tausende Dokumente geteilt. Es handelte sich um sehr professionelle Investoren, die so etwas nicht nebenbei am Wirtshaustisch machen. Der Vorwurf der Intransparenz ist meiner Meinung nach nicht zutreffend. Alle Stakeholder der Immobiliengesellschaft haben die nötigen Informationen immer bekommen, sonst hätten sie nicht investiert.
Aber warum behaupten manche Investoren das Gegenteil? Es gibt einige, die jetzt sagen: Wir wurden hinters Licht geführt, nicht ordentlich informiert.
Pirolt
Zu mir persönlich hat das noch niemand gesagt. Dass man nicht glücklich ist, wenn man Geld verliert, ist absolut nachvollziehbar.
Ein Transparenzthema ist auch das Firmenkonstrukt als solches. Können Sie uns erklären, warum man für rund 110 Immobilien mehr als 1000 Firmen braucht?
Pirolt
Die mediale Berichterstattung spricht von Intransparenz – ich spreche von Komplexität. Es ist sicher nicht selbsterklärend, aber nicht intransparent.
„Ob das eine faktische Geschäftsführung ist, da müssen Sie einen Juristen fragen.“
Manuel Pirolt
über René Benkos Rolle in der Signa
Dann erklären Sie es uns bitte, wenn es nicht selbsterklärend ist.
Pirolt
Wir wollten eine möglichst wirtschaftlich effiziente Struktur, die flexibel ist und den ganzen Lebenszyklus eines Projekts mitdenkt – vom Kauf bis zum Verkauf. Wie vermeide ich es, unnötig oder doppelt Steuern zu bezahlen? Wie kann die Entwicklung bestmöglich finanziert werden? Wie habe ich beim Verkauf größtmögliche Flexibilität, um den Preis maximieren zu können: Will ein Käufer die Immobilie direkt kaufen oder Anteile erwerben? Das bedingt unterschiedliche Formen. Außerdem haben wir einen Gutteil unseres Immobilienbestands im Ausland. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass man für unterschiedliche Immobilienkategorien und Länder Subholdings einführt. Unsere ausländischen Tätigkeiten haben wir in der Regel über Luxemburg strukturiert – auch das ist in der Immobilienbranche gang und gäbe und von internationalen Investoren gewünscht. Auch macht es Sinn, besonders große Projekte in mehrere Gesellschaften zu splitten – etwa wenn es um mehrere Bauteile geht. Ein weiterer Grund war: Wir haben auch die Nutzungsarten in Gesellschaften aufgesplittet – etwa in den Wohnbereich, den Office-Bereich, den Handelsbereich usw. Wir wollten durch diese optimierte Struktur in wirtschaftlich normaleren Zeiten den bestmöglichen Ertrag erzielen. Dass diese Struktur in Krisenzeiten nicht hilfreich war, um potenzielle neue Investoren zu gewinnen, ist auch klar.
Von außen betrachtet war es trotzdem intransparent – dem hätte man etwa mit einer Gesamtkonsolidierung begegnen können. Eine gemeinsame Bilanzübersicht über die gesamte Signa-Gruppe sollte aber offenbar gezielt vermieden werden. Warum?
Pirolt
Der Vorwurf bezieht sich meines Erachtens auf die Signa Holding, für die ich nicht zuständig bin, das müssen Sie also die Organe dort fragen. Es gibt für so etwas klare, objektive Kriterien. Ob die eingehalten wurden, weiß ich nicht. Aber ich sage Ihnen gerne meine Meinung. Es macht aus meiner Sicht wenig Sinn, die Signa-Gruppe komplett zu konsolidieren, weil man dabei das sehr Asset-lastige Immobiliengeschäft mit der Handelssparte vermischt, die in der Regel wenig Eigenvermögen hat. Aus so einem konsolidierten Abschluss kann man gar nichts mehr herauslesen, weil die Geschäftsmodelle so unterschiedlich sind. Ich denke, dass man aus den einzelnen konsolidierten Konzernabschlüssen der verschiedenen Sparten der Signa-Gruppe mehr herauslesen kann, als wenn man sich das Ganze komplett vermischt ansieht.
Aber genau diese Abschlüsse sind jahrelang trotz Pflicht nicht ins Firmenbuch gegeben worden. Für die Öffentlichkeit blieb es also intransparent.
Pirolt
Jeder, der bei uns Geld investiert hat, hat die Abschlüsse bekommen. Diese wurden nach allen Regeln geprüft. Wenn man das Firmenbuch nach anderen großen Unternehmen durchkämmt, werden Sie sehen, dass auch diese teilweise seit Jahrzehnten keine Konzernabschlüsse einreichen und Strafen in Kauf nehmen.
Ist es so, dass man sich in der strauchelnden Handelssparte selbst hohe Mieten verrechnet hat, um die Immobilienbewertungen nach oben zu treiben? Die Mieten wurden auch nicht reduziert, als die Handelssparte während Corona und danach schwer unter Druck gekommen ist.
Pirolt
Wir haben die Assets mit bereits bestehenden Mietverträgen gekauft. Betrachtet man die Handelsmieten objektiv – etwa bei kika/Leiner –, dann ergibt sich eine Durchschnittsmiete, die deutlich unter dem liegt, was man erzielen könnte, wenn man etwa Fläche reduziert und den Standort neu aufstellt. Das war auch immer der Grundgedanke – und der Wunsch der Handelsgesellschaften, die sich ja im Lauf der Zeit auch durch Onlinehandel etc. verändert hatten und somit weniger Flächen brauchten. Für uns im Immobilienbereich war das „Kaufhof“-Thema (Anm.: die deutsche Kaufhaus-Kette „Galeria Karstadt/Kaufhof“) sicher kein Gelddruckthema. Es war ein Mieter, der seit zwei Jahrzehnten einen Umsatzrückgang verzeichnete, in einem Geschäftsmodell tätig ist, an das keiner mehr glaubt, und der inzwischen das dritte Mal in kurzer Zeit insolvent war. Es hätte uns in der Immobilienbewertung wenig gebracht, die Mieten nach oben zu verhandeln. Selbst wenn wir die Mieten hochgeschraubt hätten, was wir nicht haben, wäre das ja auch eine Frage der Einbringbarkeit gewesen. Wie soll das gehen, wenn eine Insolvenz auf die andere folgt?
Warum hat Signa so viel in das Handelsgeschäft investiert, an das, wie Sie sagen, „niemand mehr geglaubt hat“?
Pirolt
Ich war nie ein Befürworter des Einstiegs in den Handel. Für uns im Immobilienbereich waren alle Themen, die damit einhergegangen sind, eher belastend – auch in der öffentlichen Wahrnehmung, insbesondere die Insolvenzen. Ich glaube, dass die Signa Holding als Muttergesellschaft im Handel auch viel Geld verbrannt hat. Wer weiß, wenn sie dieses Geld noch gehabt hätte, ob wir hier heute überhaupt an diesem Tisch sitzen würden.
„Die mediale Berichterstattung spricht von Intransparenz – ich von Komplexität.“
Manuel Pirolt
über das weit verzweigte Signa-Firmennetz
Insgesamt betrachtet: Waren die jahrelangen Aufwertungen bei den Immobilien gerechtfertigt?
Pirolt
Wir haben jedes Jahr jede Immobilie von großen, externen Immobilienbewertern anschauen lassen. Wir haben alle diese Gutachten den Wirtschaftsprüfern gegeben, die auf dieser Basis den Konzernabschluss erstellt haben – damit wurde ein erstes Mal der externe, gutachterlich berechnete Wert bestätigt. In der Folge prüfte eine weitere Großkanzlei nochmals auf Risiken. Das alles ist den Investoren und Banken transparent offengelegt worden. Jeder hat sich also zu jedem Detail eine Meinung bilden können. Bei den Angeboten, die jetzt im Verwertungsprozess hereinkommen, sieht man speziell bei den Bestandsimmobilien nur überschaubare Wertkorrekturen. Bei den Bauprojekten ist es anders: Wenn eine Baustelle einmal steht, dann ist das eine massive Wertvernichtung.
Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass die Signa pleite ist?
Pirolt
Als Ende 2022/Anfang 2023 öffentlich bekannt wurde, dass die Europäische Zentralbank eine Sonderprüfung für die Immobilienwirtschaft macht, insbesondere mit Blick auf Signa, ist der Druck massiv gestiegen und hat zur Verunsicherung bei den Banken geführt. (Anm.: Die EZB hat bestritten, die Prüfung an die Öffentlichkeit getragen zu haben.) Wir haben versucht, das zu kompensieren, indem wir bankunabhängig alternative Finanzierungsformen gesucht und gefunden haben. Aber die Luft abgeschnürt hat es uns, als Ende August 2023 ein großes Investorenticket in Südkorea umgefallen ist. Es gab plötzlich für die südkoreanischen Versicherungen ein neues Regulatorium, wonach sie in Mitteleuropa nicht mehr in Immobilien investieren dürfen, weil die gesamte Branche dort hohe Abschreibungen im Jahre 2023 hatte. Das war für alle überraschend. Es ist uns nicht gelungen, diese Lücke im letzten Quartal zu schließen. Das hat am Ende des Tages zur Insolvenz geführt.
Von Marina Delcheva,
Stefan Melichar und
Anna Thalhammer
Sie sind seit 2011 in der Firma, haben wahrscheinlich 18 Stunden am Tag gearbeitet. Wenn man dann sieht, es geht sich nicht mehr aus – was geht einem da durch den Kopf?
Pirolt
Ich habe bis zuletzt gekämpft. Wir haben parallel zu den Insolvenzvorbereitungen versucht, frisches Kapital aufzustellen. Wir hatten auch vielversprechende Gespräche, die sich dann leider nicht materialisiert haben. Ich habe nie verdrängt, dass es auch aus sein könnte, und wusste freilich, dass es ans Eingemachte geht. Aber es hat keinen Moment gegeben, wo ich in mir zusammengebrochen bin oder Ähnliches. Aber ja, es ist ein einschneidendes Erlebnis.
Wo waren Sie, als Sie den Insolvenzantrag ausfüllen mussten?
Pirolt
Ich habe ihn in Wien im Büro unterschrieben. Die Juristen waren auch da. In den Tagen danach habe ich mich mit meiner Familie zu meiner Verwandtschaft nach Vorarlberg zurückgezogen und habe versucht, mit etwas Abstand Kraft aufzutanken. Die Monate danach waren dann extrem intensiv.
Bleiben wir noch kurz bei der Zeit davor. Im Insolvenzverfahren der Signa Holding haben die Datenforensiker von Deloitte eine Häufung von Transaktionen entdeckt, die ihnen – zumindest zunächst – nicht nachvollziehbar erschienen sind. Können Sie etwas dazu sagen?
Pirolt
Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass das nicht meine Immobiliengesellschaften betrifft. So weit ich weiß, geht es da um Transaktionen der Signa Holding.
Können Sie ausschließen, dass innerhalb der Signa- Gruppe Geld im Kreis geschickt wurde, um so den Eindruck von Liquidität zu erwecken? Oder dass Geld zur Seite geschafft wurde?
Pirolt
Da ich keinen Gesamtüberblick über die Signa-Gruppe hatte, kann ich das nicht ausschließen, weil nicht alles mein Verantwortungsbereich war. Für meine Bereiche kann ich bestätigen, dass weder etwas im Kreis geschickt noch zur Seite geschafft wurde.
Gegen Sie wird ja auch ermittelt, wir haben ein wenig den Überblick verloren. Was ist denn alles anhängig?
Pirolt
Mir ist neben den medial bekannten Vorwürfen nichts bekannt.
Medial bekannt ist ein Betrugsvorwurf rund um eine Kreditverlängerung bei der Bank Schelhammer Capital im Vorjahr. Ebenfalls bekannt ist eine Selbstanzeige der Signa, weil nach einer Dividendenausschüttung die Kapitalertragsteuer zu spät abgeführt wurde. Dann gibt es noch Ermittlungen rund um eine angeblich nicht korrekte Verwendung von Investorengeldern. Und bei der Staatsanwaltschaft München ist ein Verfahren wegen Geldwäscheverdachts anhängig.
Pirolt
Mir sind diese vier Verfahren gegen mich auch bekannt. Darüber hinaus gibt es meines Wissens nach ein weiteres Ermittlungsverfahren.
„Es gibt inzwischen mehrere Schiedsverfahren.“
Manuel Pirolt
über sich wehrende Investoren, die ihr Geld zurückwollen
Um welches Verfahren handelt es sich hier genau?
Pirolt
Den Inhalt kenne ich noch nicht. Wir haben einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, aber noch keine Aktenkopie erhalten.
Es gibt zudem das Gerücht, dass sich Mubadala, der Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate, an Ihnen schadlos halten möchte. Die haben rund 700 Millionen Euro investiert. Haben Sie die Finanzierung verhandelt?
Pirolt
Ich habe die Finanzierung und die Due Diligence (Anm. Prüfprozess) begleitet, die Verträge mitverhandelt, ja.
Verhandelt hat es, nehmen wir an, auch René Benko.
Pirolt
Ja, er ist der, der den Kontakt hergestellt hat, der vor Ort war – ich habe in Wahrheit einen Kontakt bekommen und eine Transaktion umgesetzt. Es waren Dutzende Berater involviert, und es hat eine intensive Due Diligence stattgefunden.
Hat Mubadala gut geprüft?
Pirolt
Ja. Das ist einer der größten Staatsfonds der Welt. Der Mubadala zur Verfügung gestellte Datenraum war einer der größten, die wir jemals hatten. Man hat sich mit höchstprofessionellen Beratern ein Bild verschafft.
Mubadala hat mittlerweile ein Schiedsverfahren angestrebt. Wissen Sie, wie viele Schiedsverfahren es gibt? Angeblich waren in allen großen Verträgen – die Sie auch mitverhandelt haben – Schiedsklauseln enthalten.
Pirolt
Es gibt inzwischen mehrere Schiedsverfahren. Die Details dazu würden den Rahmen dieses Interviews sprengen.
Sie wollen uns keine Details dazu nennen?
Pirolt
Hier geht es nicht um Verfahren, die mich betreffen, sondern um Verfahren gegen Unternehmen, die von den Unternehmensanwälten betreut werden, daher kenne ich die Details gar nicht.
Zurück zu René Benko. Er hat auch persönlich als Unternehmer Insolvenz anmelden müssen. Sehen Sie sich auch großen Forderungen ausgesetzt, sodass Ihnen das ebenfalls blühen könnte?
Pirolt
Stand heute gibt es keine derartigen Forderungen. Dass Verfahren, die diese Folgen haben können, kommen können – darauf muss man sich einstellen. Es wäre leichtgläubig, das auszuschließen, aber ich werde mich diesen stellen, wenn es so weit ist.
Wie ist denn Ihr Verhältnis zu René Benko heute?
Pirolt
Es gibt de facto kein Verhältnis. Es war sehr intensiv über die Jahre. Nachdem er mit der Insolvenz der Signa Holding Ende vergangenen Jahres von der Bildfläche verschwunden ist, haben wir kaum Kontakt gehabt.
Waren Sie befreundet?
Pirolt
Wir hatten ein gutes, freundschaftliches Verhältnis, aber wir waren keine Freunde. Es war nicht so, dass wir uns am Abend in einem Lokal hingesetzt haben und drei Bier getrunken und über Fußball gesprochen haben.
Von Marina Delcheva,
Stefan Melichar und
Anna Thalhammer
Gut, das hat René Benko prinzipiell nicht getan.
Pirolt
Das ist auch richtig. Dennoch. Unser Verhältnis war auf die Arbeit beschränkt.
Dennoch sind Sie seit einigen Jahren im Vorstand der Laura Privatstiftung, wo Benko und seine Familie doch einiges an Vermögen haben dürften. Da wären Sie doch nicht in den Vorstand gekommen, wenn es nicht ein engeres Vertrauensverhältnis gegeben hätte.
Pirolt
Genau, das sagen Sie richtig: Das Vertrauen gab es. Bevor ich in die Stiftung kam, war ich ja schon einige Jahre im Vorstand der Signa, habe dort bewiesen, dass ich meine Arbeit gut beherrsche, mit viel Eifer mit meinen Mitarbeitern sehr gute Ergebnisse erzielt habe. Genau das habe ich am Ende des Tages in der Laura Privatstiftung gemacht.
Sehen Sie keinen Interessenskonflikt?
Pirolt
Nein. Die Stiftung hat ein ganz anderes Geschäftsmodell als die Signa. Das Vermögen sind vor allem Wohnimmobilien in Österreich und Deutschland. Der Stiftungszweck ist die Vermögensbewahrung und bestmögliche Vermehrung. Übrigens war mein Job bei der Stiftung mit Vorstand und Aufsichtsrat der Signa abgestimmt und auch freigegeben. Dass das mit der Eröffnung der Insolvenzverfahren einen anderen Fokus bekommen hat, war klar. Ich habe das Mandat im Februar mit Wirkung zum 30. Juni niedergelegt und meine Arbeit dort auf das Nötigste beschränkt. Das war eine klare Forderung der Insolvenzorgane, um das Commitment zu Signa zu verfestigen. Man kann das nicht von heute auf morgen hinschmeißen – als Geschäftsführer beziehungsweise Vorstand ist man ja auch in der Haftung.
Jetzt waren Sie trotzdem jemand, der wie kaum ein anderer mit René Benko zu tun hatte. Ganz Österreich und darüber hinaus fragt sich: Wie kann jemand wie Benko insolvent werden? Wo ist sein Geld?
Pirolt
Also die Vorstellung, dass ich der Einzige bin, der in einem dunklen Turmzimmer Audienz bekommen hat, das möchte ich schon deutlich relativieren. Es gibt auch genug andere, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben. Für den Handelsbereich war das Dieter Berninghaus. Oder auch das Team rund um Timo Herzberg. Wo ist sein Geld? Das weiß ich nicht.
In Wien gibt es immer viele Gerüchte. Und eines davon führt uns zu folgender Frage: Herr Pirolt, wollen Sie Kronzeuge gegen René Benko werden?
Pirolt
Interessant. Dazu habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Bestreiten Sie die Vorwürfe in den Ermittlungsverfahren?
Pirolt
Ja, die Vorwürfe sind unrichtig, und ich habe mir keinerlei unerlaubtes Verhalten vorzuwerfen.
Sprechen wir über Ihre Bilanzen: Die Signa Prime hat 2022 herbe Verluste erfahren. In diesem Jahr wurden aber Vorstands-Boni in der Höhe von 19,1 Millionen Euro bezahlt – unter anderem auch an Sie. Warum bekommt man im Verlustjahr so hohe Boni?
Pirolt
Die Boni 2022 waren zum größten Teil den Vorständen zugesichert, die über viele Jahre Ansprüche aufgebaut haben. In diesem Jahr ist das vom Aufsichtsrat so freigegeben worden. Als das beschlossen wurde, hat sich noch nicht abgezeichnet, wohin die Reise geht. Abgerechnet wurde auf Basis von Immobilienprojekten. Es ging etwa um erzielte Verkäufe und erfolgreiche Umsetzungsschritte.
Wer hat das im Aufsichtsrat genehmigt? War das einstimmig, oder gab es Unstimmigkeiten?
Es gab im Aufsichtsrat einen dreiköpfigen Personalausschuss. Meines Wissens nach gab es hier keine Unstimmigkeiten.
„Welche Bank in Österreich hat die Signa nicht finanziert?“
Manuel Pirolt
über das Engagement hochrangiger Ex-Banker im Beirat
Unseres Wissens nach hat das der Aufsichtsratsvorsitzende Alfred Gusenbauer mehr oder weniger allein beschlossen. Ist das möglich? Wie würden Sie seine Rolle einordnen?
Pirolt
Wie dieser Beschluss zustande gekommen ist, weiß ich nicht. Alfred Gusenbauer war schon bei Signa, bevor ich gekommen bin. Die Zusammenarbeit war aus meiner Sicht immer sehr professionell – er war ein sehr erfahrener und intelligenter Aufsichtsratsvorsitzender. Wie seine Beziehung zu Benko war, darüber müssen Sie ihn selbst fragen.
Signa hat ein Faible für Ex-Kanzler. Haben Sie in Ihrem Job mit Sebastian Kurz zu tun gehabt?
Pirolt
Ich habe wahrgenommen, dass Kurz nach dem Ausscheiden aus der Politik für die Gruppe im Bereich der Kapitalbeschaffung tätig wurde. Ich habe aber nie eng mit ihm zusammengearbeitet.
Was war denn seine Leistung?
Pirolt
Er war – so wie viele andere auch – als Investorenvermittler tätig.
Welche Investoren?
Pirolt
Das weiß ich nicht.
Sebastian Kurz hat rund 2,4 Millionen Euro abgerechnet (Anm.: Wegen der Pleite soll er letztlich nur 750.000 Euro davon bekommen haben) – Alfred Gusenbauer über die Jahre sogar noch viel, viel mehr. Waren die beiden und andere derartige Berater ihr Geld wert?
Pirolt
(Lange Nachdenkpause.) Das ist eine interessante Frage, die ich so noch nie gestellt bekommen habe – darum muss ich kurz nachdenken. Prinzipiell ist es üblich, dass man für gewisse Tätigkeiten gewisse Beträge bezahlt. Gerade die Vermittlung von Investoren und Kapital wird in der Regel prozentuell vom vermittelten Kapital berechnet. Da gibt es Sätze von 0,03 Prozent – bis 6 bis 8 Prozent. Was mir bei allen Beraterhonoraren wichtig war, die in meinem Bereich angefallen sind, war, dass sie einem Fremdvergleich standhalten. Dass sie sauber und transparent abgewickelt werden. So war das in meinem Bereich meines Wissens nach auch.
Von Marina Delcheva,
Stefan Melichar und
Anna Thalhammer
Es gab in der Signa noch ein Sondergremium: den Beirat, der keine Organfunktion in dem Sinn hatte – der mit vielen prominenten Personen bestückt war, wobei aber unklar ist, was diese genau gemacht haben. So weit Sie das beurteilen können: Was hat der Beirat gemacht – und waren auch die Beiratsmitglieder ihr Geld wert?
Pirolt
Der Beirat war ein freiwilliges Organ der Signa Holding. Ich war bei einigen dieser Sitzungen auch anwesend, um von Sachverhalten aus dem Immobilienbereich zu berichten. Ob die ihre Leistung erbracht haben und ihr Geld wert waren, das kann ich nicht beantworten, dafür war meine Involvierung zu gering. Auch das ist eine Frage, die Sie an die Signa Holding stellen müssen.
Was schon auffällt, ist, dass im Beirat Mitglieder waren, die zuvor hochrangige Manager von Banken waren, die auch die Signa sehr stark finanziert haben …
Pirolt
Welche Bank in Österreich hat die Signa nicht finanziert?
Schon, aber es gibt zwei Banken, die besonders stark involviert waren – die Raiffeisen Bank International und die UniCredit/Bank Austria.
Pirolt
Das ist richtig. Allerdings sollen Aufsichtsgremien und Beiräte mit Experten besetzt werden. Dass hier auch Ex-Banker sitzen, ist absolut nichts Ungewöhnliches. Den vermeintlichen Vorwurf, den ich da bei Ihnen zwischen den Zeilen heraushöre, sehe ich nicht. Denn am Ende des Tages waren wir bei den meisten Großbanken einer der größten Kunden.
Ganz generell im Nachhinein betrachtet: Was hätten Sie oder andere Mitglieder der Signa-Führungsebene besser machen sollen?
Pirolt
Retrospektiv ist es immer leichter. Wir haben immer versucht, das Bestmögliche aus der Firma zu machen – wir haben auch bis zum Schluss gekämpft. Jetzt über vergossene Milch zu sprechen, ist meiner Meinung nach nicht zweckdienlich. Wenn Sie mich fragen, ob ich etwas bereue, beantworte ich das mit Nein. Ich hatte immer die besten Absichten – es hat keiner damit gerechnet. Dass es uns so erwischt, hätte sich keiner vorstellen können.
Rückschau ist tatsächlich schwierig, aber man kann manchmal daraus lernen. Mit dem Wissen von heute
Hätte man früher auf die Bremse steigen sollen?
Pirolt
Hätten wir damals gewusst, was das Bekanntwerden der Sonderprüfung der EZB für die Finanzierung unseres Unternehmens bedeutet, hätten wir sicher massiver darauf reagiert. Wir haben ja reagiert. Wir haben Ankäufe gestoppt. Wir haben versucht, Projekte zu strecken, indem wir etwa Bautätigkeiten nach hinten verschoben haben. Aber hätten wir damals gewusst, welche Auswirkungen das hat, hätte man drastischer reagieren müssen.
Warum, glauben Sie, hat sich die EZB ausgerechnet Signa ausgesucht?
Pirolt
Signa Prime war eine der größten Immobiliengesellschaften in Europa und war sehr medienpräsent und damit in aller Munde. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass andere große Immobilienunternehmen eine andere Finanzierungsstruktur hatten als wir. Die meisten waren eher kapitalmarktlastig – wir waren eher bankenlastig. Da gab es wohl einige Gründe, aber ganz verstehe ich noch immer nicht, warum die EZB so draufgehauen hat. Auch die Art und Weise, wie die EZB bei den Banken selbst vorgegangen ist, hat zu großen Verunsicherungen und damit zu Problemen für uns geführt.
Werden wir weitere Signas erleben?
Pirolt
Ich gehe davon aus. Wenn weiterhin keinerlei Liquidität von den Banken in den Immobiliensektor fließt, und das ist momentan so, werden wir noch so einiges sehen.
Wissen Sie schon, was Sie jetzt vorhaben?
Pirolt
Nein. Ich möchte hier alles möglichst sauber übergeben. Da, wo es notwendig ist, weiter unterstützen. Was ich später mache? Keine Ahnung. Dafür habe ich noch keinen Kopf gehabt.
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).