Spanplatten und Steueroasen: Die undurchsichtige Milliarden-Welt von Kronospan
Ein Weltkonzern, der eigentlich kein Konzern ist. Eine Firmengruppe, die exzessiv Steueroasen nutzt, und gleichzeitig staatliche Förderungen in Anspruch nimmt. Ein Spanplattenhersteller, der eine eigene Bank betreibt. Ein österreichisches Familienimperium, das spannende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft in seinen Betrieb integriert, von Umweltschützern kritisiert wird und weiterhin in Russland Geschäfte macht. All das ist Kronospan – doch das ist noch lange nicht alles.
profil und ORF haben sich im Rahmen eines internationalen Rechercheprojekts zu den dunklen Seiten der Holzindustrie auch mit Kronospan befasst – einem der merkwürdigsten Unternehmensgebilde, das in diesem Wirtschaftssektor zu finden ist. Die Journalistenkooperation, an der insgesamt 140 Journalistinnen und Journalisten aus 27 Ländern beteiligt sind, wird vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mit Sitz in Washington geleitet. Im Zuge des Projekts mit dem Namen „Deforestation Inc.“ berichtete profil in den vergangenen Tagen bereits über das ganz und gar nicht unproblematische Business mit Nachhaltigkeitssiegeln sowie über ein mögliches Schlupfloch beim Import von sanktioniertem Tropenholz in die EU. Und nun also: Kronospan.
Zypern, Malta, Liechtenstein
Das Firmenimperium, welches heute mehr als vierzig Produktionsstätten in Europa, Asien und den USA umfasst, wurde 1897 als österreichischer Familienbetrieb gegründet. Ganz am Anfang stand ein Sägewerk im Salzburger Ort Lungötz. 1959 folgte ein weiteres Werk, in dem ab 1962 erstmals Spanplatten produziert wurden. Damals war das noch Pionierarbeit. In der Zwischenzeit haben die Platten aus in Form gepressten und zusammengeklebten Holzpartikeln, die im Anschluss mit unterschiedlichen Beschichtungen versehen werden können, längst die Möbelwelt erobert.
Ende der 1980-er Jahre startete das Salzburger Unternehmen dann den Turbo in Sachen internationale Expansion: Polen, Deutschland, Tschechien, Bulgarien, China, Slowakei, Russland, Rumänien, später auch Weißrussland – und noch einige Länder mehr. Hinter Kronospan stand von Gründung an die Salzburger Familie Kaindl, die allem Anschein nach über Generationen hinweg bis heute hinter dem Imperium steht. Wie genau, ist allerdings unklar. Und das hat mit Ländern zu tun, die nicht unter den zahlreichen Standort-Adressen auf der offiziellen Kronospan-Internetseite aufscheinen: Zypern, Malta, Isle of Man, Liechtenstein.
Zwischenfirmen und Stiftungen
Die Kronospan-Gruppe betreibt ein Netzwerk aus Offshore-Gesellschaften, das seinesgleichen sucht. Man könnte fast sagen: Sie betreibt es nicht nur, sondern besteht daraus. Kronospan verfügt über kein offizielles Headquarter, wo ein Konzernchef schaltet und waltet. Es handelt sich hingegen um ein dezentralisiertes Firmenkonglomerat: Ländergesellschaften, welche die jeweiligen Werke betreiben, sind in Zwischenholdings gebündelt. Am Ende der Kette scheint vieles in Richtung Liechtenstein zu laufen – zu drei Stiftungen namens „Luda“, „Betuva“ und „Gerhorst“.
In früheren Zeiten enthielten die im zypriotischen Firmenbuch öffentlich einsehbaren Jahresabschlüsse von Kronospan-Zwischenfirmen mitunter noch Hinweise darauf, dass es sich bei den Begünstigten der „Luda“ beziehungsweise „Betuva“ um die Familie Kaindl handeln würde. Derartige Anmerkungen verschwanden in späteren Jahren. Eine wichtige Zwischenholding auf Zypern weist seit einigen Monaten im öffentlichen Firmenbuch nicht einmal mehr ihre direkten Aktionäre namentlich aus, geschweige denn die – am Ende der Eigentümerkette stehenden – tatsächlichen wirtschaftlichen Berechtigten.
Finanzmarktaufsicht wurde bei Raiffeisen aktiv
Wie Recherchen von profil und ORF ergeben haben, ist die Firmenstruktur von Kronospan derart schwer zu durchblicken, dass dies vor einigen Jahren sogar die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) auf den Plan gerufen hat. Die Aufsichtsbehörde wollte in diesem Zusammenhang der Raiffeisen Bank International (RBI) sogar eine Strafe aufbrummen.
Der Vorgang – über den aktuell auch „Der Standard“ berichtet – ist in einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht (BVwG) von Mai 2021 dokumentiert, das (in teilweise anonymisierter Form) öffentlich zugänglich ist. profil und ORF berichteten erstmals im April 2022 über Details dieses Gerichtsentscheids. Damals ging es um die Geschäftsbeziehung zwischen dem russischen Oligarchen Roman Abramovich und der RBI – auch dazu enthielt der Gerichtsentscheid spannende Informationen. Nun steht allerdings Kronospan im Fokus der Recherche. Genauer gesagt, die frühere „Kronospan Technical Holdings Limited“ (KTH, heute: „Lignum Technologies Holding Ltd.“) mit Sitz auf Zypern.
Transaktionen von 66 Millionen Euro
Zur durchaus bewegten Vorgeschichte: Im Jahr 2016 hat die FMA die Raiffeisen Bank International eingehend unter die Lupe genommen – konkret: deren Geschäftsbeziehungen zu „Hochrisikokunden“. Gemeint waren Kunden, die Offshore-Connections aufwiesen. Dabei stach der Aufsichtsbehörde auch die KTH ins Auge. Den vorliegenden Informationen zufolge stand die KTH seit November 2007 in einer Geschäftsbeziehung mit Raiffeisen. Im von der FMA überprüften Zeitraum von Jänner 2015 bis April 2016 verfügte die zypriotische Limited bei der RBI über acht Bankkonten. In diesen gerade einmal 16 Monaten verzeichneten die Konten Ein- und Ausgänge von insgesamt rund 66 Millionen Euro – verteilt auf 247 Einzeltransaktionen, wovon die größte fast 14 Millionen Euro ausmachte. Im BVwG-Entscheid heißt es dazu: „Das durchschnittliche Volumen der über die acht Konten … abgewickelten Transaktionen betrug im Betrachtungszeitraum 01.01.2015 bis 30.04.2016 bei einer Anzahl von 247 Transaktionen 265.734,18 Euro, wobei sich die höchste Transaktion auf 13.980.000,00 Euro belief.“
Es ging als nicht um Peanuts. Das sah auch die FMA so: Die Behörde gelangte zu der Ansicht, dass es sich bei der KTH „um eine juristische Person mit komplexer Eigentums- und Kontrollstruktur“ handelte, die „einen Bezug zu drei Offshore-Finanzzentren“ aufwies. Das durchschnittliche Volumen der Transaktionen sei „hoch, weshalb das mit der Geschäftsverbindung zur Kundin verbundene Risiko, für Zwecke der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung missbraucht zu werden, als besonders hoch einzustufen“ gewesen sei. Aus Sicht der FMA hatte die RBI einen schwerwiegenden Verstoß gegen ihre Pflicht begangen herauszufinden, wer tatsächlich in diesem Ast des Kronospan-Geflechts das Sagen hatte. In einem Straferkenntnis vom 23. März 2018 hielt die Aufsichtsbehörde fest, dass die Bank „zur Überprüfung der Eigentums- und Kontrollstruktur ihrer Kundin“ keine ausreichenden Dokumente und Unterlagen herangezogen habe.
Strafe von 2,7 Millionen Euro
Direkte Eigentümerin der KTH war eine Firma auf der Isle of Man. Diese wiederum gehörte der „Luda Stiftung“ in Liechtenstein. Der FMA zufolge hatte die RBI nicht ausreichend geprüft, wie künftige Begünstigte dieser Stiftung bestimmt würden und wer aller Kontrolle über das Stiftungsvermögen ausübte. Die Bank konnte daher aus Sicht der Aufsichtsbehörde „jedenfalls bis 01.09.2016 nicht überzeugt sein, zu wissen, wer die wirtschaftlichen Eigentümer“ der KTH waren. Einem Schreiben einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zufolge, das die Bank dann im Juni 2016 erreichte, soll sich der Begünstigtenkreis damals auf einen Teil der Familienmitglieder der Kaindl-Dynastie erstreckt haben. Anhand dieses Schreibens sei es der RBI erstmals möglich gewesen, ihr allenfalls vorliegende Informationen über den Kreis der Begünstigten zu überprüfen, hielt die FMA fest. In Bezug auf einzelne rechtliche Detailaspekte war der Behörde das jedoch immer noch zu wenig. Mit dem Straferkenntnis, das noch eine Reihe weiterer Geschäftsbeziehungen der RBI betraf, brummt die FMA der Bank eine Geldstrafe von 2,748 Millionen Euro auf – „wegen einer Mehrzahl von Verstößen gegen die gesetzlichen Bestimmungen zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“.
Die RBI bestritt die Vorwürfe bezüglich der KTH ebenso wie alle weiteren Kritikpunkte, welche die Aufsichtsbehörde auch in Bezug auf andere Geschäftsbeziehungen erhoben hatte. Die Causa landete vor dem BVwG, dann vor dem Verwaltungsgerichtshof und danach wieder beim BVwG, welches die Geldbuße im Mai 2021 auf 824.400 Euro herabsetzte. Die Vorwürfe zur Kronospan-Geschäftsbeziehung sah das Gericht nunmehr als verjährt an. Es wird also wohl nie geklärt werden, wessen Rechtsstandpunkt richtig war. Bezüglich anderer Vorwürfe ist die Causa allerdings noch nicht vom Tisch. Die RBI hat gegen das zweite BVwG-Erkenntnis bereits Mitte 2021 Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben. Eine rechtskräftige Entscheidung ist laut Auskunft der Bank noch nicht gefallen: „Wir können mitteilen, dass die RBI sämtliche Vorwürfe der FMA aus diesem Straferkenntnis für nicht zutreffend hält und dieses daher vollinhaltlich bekämpft.“
Die Kronospan-Bank auf Malta
Auf Kundendetails ging die RBI mit Verweis auf das Bankgeheimnis nicht ein. Ebensowenig bestätigte sie die Identität jener Kunden, um die es im FMA-Verfahren ging. Dass Raiffeisen Geschäftsbeziehungen zu Kronospan pflegt, ist allerdings öffentlich bekannt. So verkaufte die RBI im Jahr 2014 ihre eigene Tochterbank auf Malta um etwas mehr als 100 Millionen Euro an eine der zypriotischen Kronospan-Zwischenholdings. Die Malta-Bank firmiert nunmehr unter „ECCM Bank Plc“ – und auch dort tauchte zuletzt ein gewisses Fragezeichen mit Blick auf die Geldwäschebekämpfung auf.
Anfang Jänner 2023 berichtete die „Times of Malta“, dass die maltesische Geldwäschebekämpfungsstelle FIAU eine Strafe von 310.000 Euro gegen die ECCM Bank verhängt hatte. Demnach habe die Bank über keine adäquaten Maßnahmen zur Geschäfts- und Kundenrisikoüberprüfung verfügt. Besonders bemerkenswert: Als die FIAU eine bestimmte Transaktion prüfen wollte, die immerhin ein Volumen von 100 Millionen Euro aufwies, habe die Bank Unterlagen vorgelegt, aus denen nicht hervorgegangen sei, woher das Geld kam.
Perner, Mendel, Brenner
Bei der ECCM Bank bekleidet übrigens ein gewisser Michael Mendel die Funktion eines „Non-Executive Director“. In den vergangenen Jahren begleitete der Banker in maßgeblichen Funktionen die staatliche Abwicklung der früheren Kärntner Hypo-Alpe-Adria sowie von Teilen der Österreichischen Volksbanken AG. Zuletzt war Mendel außerdem Aufsichtsratschef der staatlichen Coronahilfen-Agentur Cofag. Im Kronospan-Imperium trifft er nun auf einen Manager, der ihm bestens bekannt ist: Der nicht unumstrittene Ex-Cofag-Chef Bernhard Perner heuerte kürzlich beim Spanplattenhersteller an – allerdings in Luxemburg.
Bernhard Perner am Dienstag, 16. März 2021, im Rahmen des Ibiza-U-Ausschusses im Camineum der Nationalbibliothek in Wien.
Mendel und Perner sind nicht die einzigen prominenten Österreicher bei Kronospan. Der frühere Salzburger Finanzlandesrat David Brenner (SPÖ), der Ende 2012 nach Auffliegen des Salzburger Finanzskandals seinen Rücktritt erklärte, landete ebenfalls beim Holzkonzern. Im Wahljahr 2017 spendete eine Kaindl-Firma übrigens 50.000 Euro an die ÖVP.
Neue Struktur für Russland-Töchter?
Kronospan ist beileibe nicht unumstritten. In mehreren Ländern gibt es Kritik von Umweltschützern. Im Jänner 2021 setzte es eine Strafe von umgerechnet rund 9,5 Millionen Euro durch die rumänische Wettbewerbsbehörde. Der Spanplattenhersteller ist auch nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine weiterhin in Russland und in Weißrussland tätig. Hier scheint sich eine interessante Entwicklung ergeben zu haben: Zumindest bis September 2021 waren eine Reihe russischer und weißrussischer Kronospan-Firmen in der zypriotischen „Kronospan Holdings East Ltd“ gebündelt gewesen (ein jüngerer Jahresabschluss ist öffentlich noch nicht verfügbar). Die Holding-Firma wurde offenbar im August 2022 in eine neue Eigentümerstruktur eingebracht. Vorher war die „Betuva Stiftung“ einzige Aktionärin, nun ist es eine „Causa Holding AG“ aus Vaduz. Diese war erst knapp zuvor von einer Liechsteinischen Stiftung namens „Stiftung Causa“ gegründet worden. Allfällige Neuentwicklungen in diesem Bereich könnten auch für die RBI interessant sein: Die Bank verfügt bei der Kronospan Holdings East Limited über ein eingetragenes Pfandrecht von 315 Millionen Euro. Ende 2021 hatte die RBI für Kronospan einen Kredit in dieser Höhe arrangiert – Zweck: Investments in Russland.
Zu alldem wollte Kronospan auf Anfrage genauso wenig Auskunft geben, wie zur Frage, weshalb die Firmengruppe eigentlich dermaßen stark auf Offshore-Destinationen setzt. Offen blieb, ob und – gegebenenfalls – wie viele Steuern man sich dadurch spart. Im Jahresabschluss einer wichtigen zypriotischen Zwischenholding per 30. September 2010 war ein Betrag an Steuergutschriften und -ausnahmen („tax credits and exemptions“) angeführt, der demnach gegen künftige Gewinne geltend gemacht werden könnte. Das Volumen: 437,61 Millionen Euro.
Steueroasen und staatliche Förderungen
Auf der einen Seite fühlt man sich bei Kronospan in Steueroasen wohl, auf der anderen Seite nimmt man jedoch durchaus auch gerne Geld der öffentlichen Hand in Anspruch. Im Jahresabschluss der zypriotischen Kronospan Holdings P.L.C. per 30. September 2015 waren sogenannte Rechnungsabgrenzungsposten („deferred income“) von rund 3,8 Millionen Euro angeführt. Diese Summe stammte demnach hauptsächlich aus einer staatlichen Förderung, die Kronospan in Tschechien erhalten hatte – finanziert aus EU-Mitteln. Ein Jahr später waren wiederum Zuschüsse („capital grants“) von rund 31,9 Millionen Euro vermerkt. Diese setzten sich neben EU-Geldern in Tschechien aus einer staatlichen Förderung in Polen für den Bau einer Fabrik zusammen. In Polen sparte man sich darüber hinaus offenbar Steuern durch die Nutzung von Sonderwirtschaftszonen.
Eine andere zypriotische Zwischenholding, die Banasino Investments Limited, freute sich in ihrem Jahresabschluss per 30. September 2021 übrigens über einen staatlichen Zuschuss („capital grant“) von sieben Millionen Euro in Spanien für den Bau einer neuen Eisenbahn-Zufahrt zu einem Kronospan-Werk.
Im selben Jahresabschluss nur eine Seite davor stand übrigens, dass die Banasino „derzeit in mehrere Rechts- und Steuerstreitigkeiten“ verwickelt gewesen sei. Wie viele und welchen Ländern? profil fragte nach: Keine Auskunft.