Spionage-Causa Ott: Ex-BVTler wollte mehr Russland-Nähe im Geheimdienst
Im Dienste Putins? Der frühere Verfassungsschützer Egisto Ott bestreitet, für Moskau gespitzelt zu haben. Ermittler fanden ein Schreiben, in dem er mangelnde Kooperation des BVT mit Russland beklagt haben soll. Außerdem soll er der Verfasser jenes Sudel-Konvoluts sein, das 2018 zur skandalösen BVT-Razzia geführt hat.
Das ist dann doch ein außergewöhnlicher Fund: Egisto Ott, früherer Mitarbeiter im damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), steht im dringenden Verdacht, für Russland spioniert zu haben – profil berichtete wiederholt ausführlich. Ott bestreitet die Vorwürfe. Neue Ermittlungsakten zeigen dass eine gewisse Kooperationsbereitschaft mit Moskau nicht von der Hand zu weisen ist: Ermittler stellten auf Otts Handy mehrere, bemerkenswerte Schreiben sicher. In einem soll sich der frühere Verfassungsschützer schon vor Jahren darüber beklagt haben, dass das BVT zu wenig mit Russland zusammenarbeiten würde.
Die Frage, inwieweit – und gegebenenfalls mit welchen Zielen – der österreichische Sicherheitsapparat von einem Grüppchen von Kreml-Zuarbeitern unterwandert wurde, beschäftigt derzeit die Ermittlungsbehörden auf Hochtouren in Österreich – aber auch Deutschland. profil widmet daher gleich drei Folgen der neuen Staffel „Putin“ der Investigativ-Podcastreihe „Nicht zu fassen“ dem Fall. Im Zentrum stehen neben Egisto Ott auch der frühere BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss und Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der ein Agent im Dienste Russlands sein und sich nach seiner Flucht auch dort aufhalten soll. Insgesamt wird in neun immer montags erscheinenden Episoden die toxisch gewordene Beziehung zwischen Russland und Österreich ausgeleuchtet.
Das Oberlandesgericht Wien fasst die einschlägige Verdachtslage gegen Ott zuletzt jedenfalls so zusammen: Der ehemalige BVTler habe „zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen Nachrichtendienst der russischen Föderation“ unterstützt. Dies, indem er „systematisch nicht für die Öffentlichkeit bestimmte geheime Tatsachen und Erkenntnisse, sowie personenbezogene Daten aus polizeilichen Datenbanken zum Zweck der Übermittlung an Jan Marsalek und an unbekannte Vertreter der russischen Behörden“ gesammelt habe.
Vor wenigen Tagen erhob die Staatsanwaltschaft Wien eine erste Anklage gegen Ott. Vorerst noch nicht wegen des Verdachts der Spionage, sondern wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses. Unter anderem soll Ott Namen von BVT-Mitarbeitern an den Ex-FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein weitergegeben haben, der übrigens gleich mitangeklagt wurde.
Jenewein soll sich für den Informationsfluss von Ott auch in die andere Richtung bedankt haben und vertrauliche Unterlagen aus dem U-Ausschuss übermittelt haben. Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.
Zufallsfunde
Wie neue Akten zeigen, die profil vorliegen, konnten die Behörden in den seit 2017 laufenden Ermittlungen gegen Ott – quasi en passant – eine Reihe sogenannter „Zufallsfunde“ verzeichnen. Fundort war nicht zuletzt das sichergestellte iPhone 8 des früheren BVTlers. Da finden sich Dokumente mit den klingenden Titeln “00-Dienstref-Lage.docx“ oder „20180111-PRO-CONTRA-3.docx“ in denen der genaue Aufbau und die Grundstruktur der drei österreichischen Nachrichtendienste von Verteidigungs- und Innenministerium genau beschrieben sind – samt Sitz, Personalstärke und Historie. Das sind Informationen, die nicht unbedingt öffentlich zugänglich sind. Aber nicht nur das: Dort ist auch die Rede von einer organisatorischen Aufstellung eines neu zu schaffenden „einzig echten österreichischen“ Nachrichtendienstes. Personalvorschläge inklusive.
In einem anderen Dokument namens „20180317_Info.docx“ ließ sich Ott über die Versäumnisse der Vorgängerregierungen „zulasten der unschuldig zum Handkuss“ gekommenen FPÖ aus. Weiters behauptete er, dass Ex-BVT-Direktor Peter Gridling ein angebliches Naheverhältnis zur SPÖ habe und unterstellte ihm „hunderttausendfachen Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit unkontrollierter Ein- und Durchreise anlässlich der Flüchtlingskrise 2015“. Er legte in anderen Schreiben auch geänderte und verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und die Kontrolle der Einhaltung im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht offen.
Die Ermittlergruppe „AG FAMA“ des Bundeskriminalamts hielt im November 2023 unter anderem fest: In einem „als ‚Information' beschriebenen, und am 13.9.2018 im Nahebereich seiner Wohnung abfotografierten Schreiben legte Egisto Ott BVT-Interna über die Kooperation mit Partnerdiensten nach der sogenannten ‚BVT-Razzia' sowie Inhalte von Besprechungsinhalten mit dem Rechtsschutzbeauftragten“ offen. Und nicht nur das: In bewusstem Schreiben habe Ott auch „mangelnde Kooperation im BVT mit Russland in den Raum“ gestellt.
Die Inhalte in den sichergestellten Daten würden laut „AG FAMA“ darauf schließen lassen, dass diese unter anderem zur Weitergabe an politische Funktions- und Entscheidungsträger bestimmt gewesen seien. Ansprechpartner Otts finden sich – soweit bisher bekannt – nicht zuletzt im Umfeld der damaligen Regierungspartei FPÖ. Er pflegte aber auch gute Kontakte zu Vertretern anderer Parteien, wie man aus sichergestellten Chats nachvollziehen kann.
Willige Zuträger
Aber woher hatte er die Infos eigentlich? Egisto Ott musste das BVT im Jahr 2017 verlassen – eben weil er schon damals der Russlandspionage verdächtigt wurde. Das wurde bekannt, weil der amerikanische Geheimdienst einen Blick in seinen privaten Gmail-Account warf und dort dienstliche Daten entdeckte, die dort eher nicht hingehörten.
Otts Verteidigungslinie: Er könne nach seinem Ausscheiden aus dem BVT ja nichts mehr verraten haben, da er nicht mehr in der Lage gewesen sei, an die Informationen zu kommen. Dass er selbst keinen Zugriff mehr auf die höchst sensiblen Daten hatte, ist wahr.
Dafür hatte er – nachgewiesenermaßen – Zuträger im In- und im Ausland. In den profil vorliegenden Akten ist das etwa so zusammengefasst: „Egisto Ott unterhielt offenbar – wie sich aus zahlreichen internen Kenntnissen des Genannten über Vorgänge im BVT in der Aktenlage entnehmen ließ – auch weiterhin entsprechende Kontakte zu Beamten im Bereich des BVT, wobei in diesem Konnex auch auf die Verwendung seines Sohnes (…) im do. Bereich und gesondert berichten Informationsaustausch zwischen Egisto Ott und seinem Sohn über BVT-interne Vorgänge anzuführen sind“. Otts Sohn war ebenfalls Ermittler im BVT – auch er ist dort mittlerweile nicht mehr tätig.
Außerdem geht man davon aus, dass Ott etliche Daten aus seiner Zeit im BVT einfach mitgenommen hat, weil er „im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit unter Missachtung von Skartierungs-, Löschungs- und Datenspeicherungsbestimmungen eine Sammlung personenbezogener Daten hergestellt“ habe und sie „gewinnbringend verwertet“ haben soll.
Das BVT-Konvolut
Und dann wird es noch einmal wirklich spannend. Gemäß Verdachtslage sollen Ott und Weiss auch das Konvolut über angebliche Missstände im BVT verfasst haben, welches letztlich im Februar 2018 zu einer Razzia im Verfassungsschutz führte – und zu dessen faktischer Lähmung.
Bis heute leidet das mittlerweile reformierte und umbenannte Amt unter den Spätfolgen: zu einem massiven Personalabgang kommt ein tiefes Misstrauen der westlichen Partnerdienste, das sich nur mit viel Zeit und Geduld wiederherstellen lässt. Dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) damals auch Daten der befreundeten Dienste einkassiert hatte war ein absoluter Tabubruch.
Aber auch umgekehrt wusch wieder eine Hand die andere: Als Jenewein 2019 aus der Politik ausschied, dachte Ott an ihn und stellte ihm einen Job als Lobbyist für Wirecard in Aussicht: „Bei seinem Investor/Finanzdienstleister ist für Dich jederzeit ein Platz frei …“, hieß es in einem Chat. Otts früherer Vorgesetzter im BVT, Martin Weiss, arbeitete damals schon länger für Jan Marsalek und sollte als Kontaktperson fungieren.
Die blaue Wirecard-Achse
Jan Marsalek pflegte überhaupt beste Kontakte zur FPÖ, die damals mit Herbert Kickl den Innenminister stellte. Und der war das – als ÖVP-dominiert geltende – BVT ohnehin ein Dorn im Auge. Eine Schwächung der Behörde wäre jedoch möglicherweise nicht nur im parteipolitischen Interesse der Freiheitlichen gelegen, sondern auch im außenpolitischen Interesse Moskaus.
Eine Rolle spielen könnte in Bezug auf einen weiteren Zufallsfund auf Otts Handy: eine – offenbar aus dem Jahr 2018 stammende – zehnseitige Word-Datei, in der es um eine angedachte Reform der heimischen Nachrichtendienste ging. In dem Papier waren auch angebliche „Missstände“ im BVT aufgelistet. Einer davon: Durch das Nachrichtendienst-Referat und dessen damaligen Leiter Bernhard P. seien „Ermittlungen gegen die FPÖ und deren Vertreter (HC Strache, Norbert Hofer, Johann Gudenus, Harald Vilimsky) im Zusammenhang mit deren Russlandreisen (z.B. Dezember 2016) und Kontakten zu russischen Politikern eingeleitet“ worden.
Ob es tatsächlich jemals solche Ermittlungen gab, ist nicht bekannt. Sollte sich der Verfassungsschutz grundsätzlich mit Einflussnahme-Möglichkeiten Russlands auf österreichische Spitzenpolitiker beschäftigt haben, wäre daran – außer aus Sicht Russlands und der Betroffenen – wohl nichts auszusetzen. Im vorliegenden Schreiben wurde zusätzlich unterstellt, dass im BVT falsche Informationen „fabriziert“ worden seien.
Bis heute deutet freilich nichts darauf hin, dass dies tatsächlich der Fall gewesen sein könnte. Bernhard P. verlor in Folge der BVT-Razzia seinen Job. Von den diversen Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, hatte jedoch kein einziger Bestand. Aus damaliger Sicht wirkt das Argumentarium freilich wie gemacht, um die FPÖ von einer Auflösung des BVT und einer Neuordnung zu überzeugen.
Umfärbung
Das Schreiben, das auf Otts Handy gefunden wurde, enthält die Empfehlung, alle drei heimischen Nachrichtendienste zusammenzulegen. Punkt eins: „Der neue Nachrichtendienst sollte organisatorisch beim Vizekanzler der Republik angesiedelt sein, untersteht dort der Verantwortung eines eigenen Staatssekretärs.“ Vizekanzler war 2018 bekanntlich der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.
Dem russischen Machthaber Wladimir Putin hätte eine solche Geheimdienstreform sicher gefallen. Unter Strache schloss die FPÖ bekanntlich einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“. Wer weiß, welche Kooperationsmöglichkeiten sich noch ergeben hätten, wäre ein paar Monate später nicht das Ibiza-Video dazwischengekommen.
profil fragte bei Otts Anwalt Jürgen-Stephan Mertens nach. Der reagierte darauf nicht.
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.