Syrien, Iran und Herbert Scheibner: Schattendiplomatie bei Schurkenstaaten
Sommer 2019: Syriens Präsident Baschar al-Assad hat den Kampf um die Rebellenhochburg Idlib im Norden des vom Bürgerkrieg verwüsteten Landes wieder aufgenommen – und das mit allen Mitteln. Es fallen Chlorbomben. Krankenhäuser und Schulen werden zerstört, Hunderte Kinder sterben. Im Kampf gegen dschihadistische Rebellenmilizen und sonstige Regimegegner wird von der Führung in Damaskus auf die Zivilbevölkerung längst keine Rücksicht mehr genommen. Die westliche Welt verurteilt Assads Vorgehen. In Nordsyrien packen Hunderttausende Menschen in Panik ihre Sachen und machen sich auf den Weg. Wohin, das wissen sie noch nicht, viele sterben unterwegs.
Zu diesem Zeitpunkt packt noch jemand seine Sachen. Nicht, um aus Syrien zu fliehen, sondern um dorthin zu reisen: Herbert Scheibner, FPÖ-Verteidigungsminister der ersten schwarz-blauen Bundesregierung (2000 bis 2003). Scheibner ist mittlerweile Unternehmer, Thinktank-Betreiber und – wie profil herausgefunden hat – umtriebiger Schattendiplomat.
„Deluxe Superior“
Schon in seiner Zeit als Verteidigungsminister wurde Scheibner zum Präsidenten der „Österreichisch-Syrischen Gesellschaft“ gekürt – ein damals neu gegründeter Freundschaftsverein, der als „völkerverbindendes Glied“ agieren sollte, wie Scheibner in seiner Antrittsrede festhielt. Und selbst Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkrieges 2011 dürften sich keine allzu großen Berührungsängste eingestellt haben.
Anfang September 2019 macht sich Scheibner auf den Weg, um einige der engsten Mitstreiter Assads in Damaskus zu treffen. An seiner Seite: Karl Schramek, Ex-Botschafter in Syrien unter Schwarz-Blau, damals Scheibners Vizepräsident bei der „Österreichisch-Syrischen Gesellschaft“. Freilich kann man nicht einfach nach Damaskus fliegen. Die Anreise ist beschwerlich. Von Wien geht es zunächst nach Istanbul, von dort weiter nach Beirut und über den Landweg an die syrische Grenze, wo die Delegation in Empfang genommen wird. So ist es einem Reiseplan zu entnehmen, der profil vorliegt. Von den Strapazen können sich die beiden dann in einem der „Deluxe Superior Rooms“ im Sheraton-Hotel entspannen, und zwar auf Einladung der Kuzbari-Gruppe.
Die Gastgeber
Der schwerreiche Unternehmer Nabil Kuzbari ist österreichisch-syrischer Staatsbürger, der mit seiner Familie mehrere Firmen aufgebaut hat, die sich zwischen den Alpen und dem arabischen Raum bewegen. Wegen einer damaligen hochrangigen Position bei der syrischen Investmentfirma „Cham Holding“ landete Kuzbari im Jahr 2011 auf der US-Sanktionsliste. Mehrheitseigentümer von „Cham“ war Assads milliardenschwerer Cousin Rami Makhlouf. Kuzbari wurde vorgeworfen, dem Assad-Regime geholfen zu haben, Gelder ins Ausland zu bringen. Kuzbari hat das stets vehement bestritten. „Das ist überhaupt nicht wahr. Assad hat so viele Möglichkeiten, Geld zu veranlagen, der braucht mich nicht. Ich habe nichts mit dem Regime zu tun“, sagte er damals in einem „Standard“-Interview. Tatsächlich wurde Kuzbari später wieder von der US-Sanktionsliste gestrichen.
Völlig mit seiner alten Heimat gebrochen hat Kuzbari freilich nicht. Er ist immerhin Scheibners aktueller Vizepräsident bei der „Österreichisch-Syrischen Gesellschaft“. Und die Kuzbari-Gruppe dürfte eine nicht unwesentliche Rolle in Zusammenhang mit Scheibners Damaskus-Trip gespielt haben, wie dem vorliegenden Reiseplan zu entnehmen ist. „Die Reise wurde nicht von uns initiiert, über Einzelheiten dieser Reise sind wir nicht informiert“, heißt es von Vimpex, einer in Wien ansässigen Firma aus dem Kuzbari-Imperium, an die profil eine Anfrage stellte.
Sanktionierte Assad-Minister
Das Papier zeigt jedenfalls, mit wem sich der Ex-Verteidigungsminister in Syrien ein Stelldichein geben sollte. Darunter finden sich hochrangige, durch die Bank sanktionierte Vertreter des Regimes: Es war demnach ein Treffen mit Hussein Makhlouf eingetaktet, der wiederum ein Cousin des oben erwähnten Rami Makhlouf ist. Hussein Makhlouf ist Minister für Umwelt und Administration – und steht auf der EU-Sanktionsliste. Ebenso Hussein Arnous, seit 2020 Assads wichtigster Mann als Premierminister in der Regierung. Er unterstützt die Assad-Familie seit den 1980er-Jahren und war zum Zeitpunkt der Scheibner-Reise als Minister für Wasserressourcen zuständig.
Ebenfalls auf Scheibners dichtem Terminplan für Damaskus: der damalige, bis heute sanktionierte Minister für Elektrizität, Mouhammad Zuhair Kharboutli. Er unterzeichnete gewichtige Infrastruktur-Deals mit Russland und dem Iran. Weiters war offenbar ein Termin mit dem – sanktionierten – Wohnbauminister Suhail Abdullatif geplant. Und schließlich traf Scheibner den damaligen Vize-Außenminister Faisal Meqdad, der mittlerweile zum Außenminister avanciert ist.
Die Motivation
Eine geballte Ladung sanktionierter Regime-Vertreter. Aber was wollte Scheibner dort eigentlich? Er sei „seit mehr als 20 Jahren als Präsident der Österreichisch-Syrischen Gesellschaft mit Syrien und vor allem der syrischen Bevölkerung eng verbunden“, teilt er auf profil-Anfrage mit. Er sei auch „seit dem schrecklichen Krieg mehrfach in Syrien“ gewesen, um „sich selbst ein Bild von der Lage“ zu machen: „Bei diesen Reisen gibt es sowohl Termine mit offiziellen Vertretern als auch mit Hilfsorganisationen, religiösen Institutionen und auch mit Regierungskritikern.“ Die österreichische Botschaft sei jeweils im Voraus informiert worden.
Scheibner ist, wenn er wo auftritt, nicht nur Unternehmer, Gesellschafts-Präsident oder Thinktank-Leiter – er ist auch Vizepräsident des Vereins „Europäisch-Arabische Initiative für Wiederaufbau und Entwicklung“ (EARD) – deren Präsident ist übrigens Ex-SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky. Die EARD, der auch eine GmbH gehört, hat ein Wohnprojekt für Flüchtlinge in Syrien entwickelt, das allerdings aus deutschen Regierungsgeldern bezahlt werden sollte und auf Eis liegt, solange Assad an der Macht ist.
Scheibner war jedenfalls nicht im Staatsauftrag unterwegs, hält das Außenministerium fest. Im Gegenteil. Österreich sei der 2017 verabschiedeten Syrienstrategie verpflichtet, die festlegt, dass die Europäische Union „nur dann bereit ist, den Wiederaufbau Syriens zu unterstützen, wenn ein von den syrischen Konfliktparteien auf der Grundlage der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates und des Genfer Kommuniqués von 2012 ausgehandelter, umfassender, echter und alle Seiten einbeziehender Übergang stabil im Gange ist“. Österreich engagiere sich im humanitären Bereich und trage die EU-Sanktionen vollumfänglich mit. Die syrische Botschaft in Österreich sei zwar über Scheibners Reise in Kenntnis gesetzt worden, „jedoch waren weder die Botschaft noch das Außenministerium in die Reiseplanung und Terminfindung eingebunden“.
Cui bono?
Scheibners Schattendiplomatie in Syrien wirft viele Fragen auf. profil liegt ein als „Office Memorandum“ tituliertes Papier vor. Darin wurden offenbar Gesprächsinhalte von Scheibners Meeting mit dem damaligen Vize-Außenminister Meqdad festgehalten. Ins Auge sticht dabei zunächst die Betreffzeile, in der es – von profil ins Deutsche übertragen – heißt: „Treffen zwischen Herbert Scheibner (HS) und Faisal Meqdad (FM) …, um die Beziehungen mit den UAE zu diskutieren“.
Bei den UAE handelt es sich um die Vereinigten Arabischen Emirate (deutsche Abkürzung: VAE). profil berichtete vergangene Woche darüber, wie die VAE in Europa eine millionenschwere Kampagne gegen ihre Gegner aufsetzten: Das sind an vorderster Front der Erzfeind Katar und die islamistische Muslimbruderschaft, die von Katar seit dem sogenannten Arabischen Frühling vor gut einem Jahrzehnt massiv unterstützt wird. Die Demokratiebewegung des Arabischen Frühlings wurde von der Muslimbruderschaft geschickt genutzt, um ihren Einfluss zu vergrößern – sehr zum Missfallen der autokratischen Herrscher in der Region. Der Muslimbruderschaft wird vorgeworfen, Institutionen zu unterwandern. Die Frage stellt sich jedoch, ob sich Politik und Behörden in Europa in den vergangenen Jahren – auch unter dem Einfluss der Emirate – bei der Terrorbekämpfung möglicherweise zu stark auf die Muslimbrüder konzentriert, dabei andere Bedrohungen übersehen haben und selbst unterwandert wurden.
Der Thinktank
Auch Scheibner pflegt gute Beziehungen in die Emirate – und zwar nicht zuletzt über seinen Thinktank, der sich schwerpunktmäßig mit Terrorismusforschung beschäftigt. Dieses „Europäische Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention“ (EICTP) ging in den vergangenen Jahren Kooperationen mit gleich zwei in den VAE ansässigen Partnerorganisationen ein. Wie berichtet, wurde im EICTP außerdem eine Analyse zu Personen erstellt, welche mit dem politischen Islam beziehungsweise dessen Akteuren angeblich in Berührung stehen sollen. Darin finden sich auch – mit Falschinformationen gespickte – steckbriefartige Elemente über mehrere österreichische Politiker sowie über profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer. Ein besonderes Augenmerk legte man im EICTP auf die Muslimbruderschaft.
Die „Akteursanalyse“ wurde unter anderem von Heiko Heinisch und Nina Scholz bearbeitet, zwei in Österreich hoch im Kurs stehende, aber zunehmend kritisierte Islamforscher. Heinisch und Scholz fungierten als Gutachter für ein riesiges Ermittlungsverfahren gegen angebliche Muslimbrüder in Österreich. Im Zuge dieses Verfahrens kam es im November 2020 zu einer vom damaligen ÖVP-Innenminister und heutigen Bundeskanzler Karl Nehammer PR-mäßig ausgeschlachteten Serie an Hausdurchsuchungen – bekannt geworden als „Operation Luxor“. Zahlreiche Verdachtsmomente haben sich jedoch mittlerweile in Luft aufgelöst, Heinisch und Scholz wurden schließlich vom Oberlandesgericht wegen des Anscheins der Befangenheit abberufen.
Aber zurück zu Scheibner, den VAE und der Muslimbruderschaft: Im vorliegenden „Memorandum“ über das Gespräch mit dem syrischen Vize-Außenminister Meqdad heißt es gleich am Anfang, dieser betrachte die Emirate als „Partner im gemeinsamen Kampf gegen die Muslimbruderschaft“. Dann folgen offenbar weitere Gesprächsdetails, die sich auf das Verhältnis zwischen Syrien und den VAE beziehen: Syrien habe demnach auf weitere Schritte seitens der Emirate gewartet, um die Beziehungen zu intensivieren. Meqdad beschwerte sich, dass er häufig über Dubai fliege, aber nicht befugt sei, zwischendurch den Flughafen zu verlassen. Syrien würde sich außerdem Unterstützung beim Wiederaufbau wünschen – die Emirate sind da kein unlogischer Wunschpartner, bereits in den 2000er-Jahren hatten sie viel in den Ausbau von Immobilien in Damaskus investiert. Jedenfalls wolle man die Beziehungen zu den VAE wieder intensivieren, heißt es im Memorandum. „Vorschlag: Koordination via HS (Anm.: Herbert Scheibner) und dem syrischen Botschafter in Österreich“.
Kein Fan von Sanktionen
Scheibner betont auf Anfrage, dass die Reise „weder die Erörterung der Muslimbruderschaft noch der VAE zum Ziel“ gehabt habe und dies auch „kein vorrangiges Thema bei den Gesprächen“ gewesen sei. Über einen Anwalt lässt der Ex-Minister mitteilen: „Selbst aus der von Ihnen angesprochenen Notiz, die unseren Mandanten nicht vorliegt und die ausschließlich vermeintliche Aussagen des Ministers zitieren dürfte, geht keine Absicht eines von Ihnen unseren Mandanten offenbar unterstellten Lobbyings für die VAE hervor.“ Es seien zu diesen Themen keine weiteren Schritte gesetzt worden.
Scheibner ist – eigenen Angaben zufolge – übrigens ganz grundsätzlich kein Fan von Wirtschaftssanktionen. Er meint, diese würden immer nur die Bevölkerung treffen, jene an der Spitze könnten es sich hingen „richten“. Berührungsängste mit der „Spitze“ hat der Ex-Minister trotzdem nicht – das zeigt sich nicht nur bezüglich Syrien, sondern auch mit Blick auf den Iran.
Botschaftsbesuch
Eineinhalb Monate nach dem Damaskus-Trip stattete Scheibner der Residenz der iranischen Botschaft in Wien einen Besuch ab – der Vertretung jenes „Gottesstaates“, der seit Jahren sanktioniert ist, nach Nuklearwaffen strebt und Israel die Vernichtung angedroht hat. Diesmal war der Ex-Minister im Namen des Thinktanks EICTP unterwegs. Auch dabei: EICTP-Vizepräsident Gustav Gustenau, damals im Hauptberuf Brigadier des Österreichischen Bundesheeres (mittlerweile in Ruhestand). profil-Informationen zufolge trafen die beiden den damaligen Geschäftsträger – und somit obersten Vertreter – der iranischen Botschaft. Ein paar Tage später schickte man eine Art Dankesschreiben. Darin hieß es unter anderem, man werde „mit großem Enthusiasmus“ weiterarbeiten. Scheibner und Gustenau schlugen ein neuerliches Treffen vor, um die Beziehungen zwischen Österreich und dem Iran weiter zu stärken.
Zu profil meint Scheibner nun: „Das Schreiben ist ein bisschen dick aufgetragen. Das ist halt auch eine Höflichkeit. Vom Zeitpunkt her fiel das Treffen in die Hoffnungszeit nach dem Atomabkommen. Damals war auch eine gemäßigtere Regierung im Amt. Der Botschafter wollte uns zu einer Konferenz einladen. Dann kam Corona und daraus wurde nichts.“
profil-Informationen zufolge war seitens der EICTP-Führung allerdings auch geplant, Beziehungen zu Ali Shamkhani aufzubauen, dem damaligen Generalsekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats des Iran. Offenbar kam hier ein „Institut“, das sich mit Terrorbekämpfung befasst, einem Regime ziemlich nahe, das im Verruf steht, Terrorismus zu finanzieren.
„Gute Gesprächsbasis“
Auf Anfrage lässt Scheibner über einen Anwalt wissen, Shamkhani sei zu Scheibners Regierungszeiten iranischer Verteidigungsminister gewesen – ein Kollege quasi. Scheibner habe ihn bei einem Staatsbesuch kennengelernt, es habe sich „eine beidseitig gute Gesprächsbasis“ entwickelt: „Diese Tatsache … wurde anlässlich des Besuchs in der Botschaft erwähnt und kam allenfalls der Vorschlag der Botschaft, eventuell einen Termin bei Shamkhani oder seinem Stellvertreter zu organisieren.“ Dazu gekommen sei es nicht. Es wäre aber „durchaus interessant gewesen, die sicherheitspolitische Expertise von Shamkhani oder seinem Stellvertreter zu hören“.
Das Dankschreiben der EICTP-Führung war offenbar auch an den iranischen Militärattaché gerichtet, der das Treffen eingefädelt haben soll. Festzuhalten: Bundesheer-Offizier Gustenau wurde nicht von seinem Dienstgeber, dem Staat Österreich, zu diesem Termin entsandt – genau genommen wusste man im Ministerium laut profil-Recherchen offenbar gar nichts davon. Gustenau nahm diesen Termin in seiner Freizeit wahr – und hatte offenbar keine Bedenken, welches Bild es nach außen macht, wenn ein hochrangiger Militärangehöriger der iranischen Botschaft einen Besuch abstattet.
Das Verteidigungsministerium hält sich bedeckt: Gustenau sei schon in Ruhestand, heißt es, und darum kein Angehöriger des Bundesheeres mehr. Dieser Umstand dürfte dem Ministerium nicht unrecht sein. Gustenau fiel kurz vor seinem Ausscheiden mehrfach negativ auf – unter anderem durch Kontakte zum nunmehr flüchtigen Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek, der mittlerweile in Russland vermutet wird. Auch Gustenau ist russlandaffin und langjähriges Mitglied im Führungsgremium der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft. Mit Marsalek war er bezüglich eines fragwürdigen Libyen-Aufbauprojekts in Kontakt.
Auf profil-Anfrage betont Gustenau, dass es sich bei seiner Arbeit für das EICTP „selbstverständlich“ um eine gemeldete Nebenbeschäftigung gehandelt habe. Hat er das Ministerium über den Iran-Termin informiert? Die knappe Antwort: „Ich kenne meine Pflichten als Berufsoffizier. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“