INVESTIGATIV

Terrorforscher bei Kreml-Sender

Nicolas Stockhammer, oberster Terrorismusforscher der Bundesregierung, gab einem Fernsehsender ein Interview, der wegen der Verbreitung von Kreml-Propaganda in der EU verboten wurde.

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Er ist so etwas wie der oberste Terrorismusforscher der Republik – oder jedenfalls der Bundesregierung: Nicolas Stockhammer. Im Jahr 2021 entschied der damalige Innenminister und heutige ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer, einen Forschungs-Cluster für „Staatsschutz und Terrorismus- bzw. Extremismus-Bekämpfung“ unter Stockhammers Leitung an der Donau-Universität Krems großzügig mit 875.000 Euro über fünf Jahre hinweg zu fördern. Anfang Oktober 2023 wurde in Anwesenheit des nunmehrigen ÖVP-Innenministers Gerald Karner sogar ein eigener Masterlehrgang feierlich gestartet. Fünf von 16 Studierenden sind Mitarbeiter des Innenministeriums, man kann durchaus von einer Kaderschmiede sprechen.

„Der heutige Tag ist ein Meilenstein für die Terrorismusforschung in Österreich und darüber hinaus. Dieses Programm hat zum Ziel, in Europa einen neuen Maßstab zu setzen, aber vor allem auch die internationale Vernetzung zu fördern“, wurde Stockhammer in einer Aussendung zitiert. Der Terrorismusexperte verewigte den feierlichen Anlass auch auf seiner Instagram-Seite. Dort stieß profil diese Woche allerdings noch auf einen anderen Eintrag. Einen, der dringende Fragen aufwirft.

Sanktionierter Sender

Stockhammer, der schon länger als begehrter Interviewpartner herumgereicht wird, freute sich in dem Posting über seinen jüngsten Medienauftritt: „Meine Einschätzung zur aktuellen terroristischen Bedrohung auf Weihnachtsmärkten für RT Deutschland“, schrieb der Terrorexperte und stellte stolz einen Screenshot seines Interviews beim Sender „RT DE“ dazu. „RT“ hieß früher „Russia Today“ – ein vom Kreml gegründetes Auslandsfernsehprogramm. Wegen der Verbreitung von Kreml-Propaganda nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde das Senden oder Verbreiten von „RT“-Inhalten im März 2022 in der gesamten EU verboten.

„Um ihre Aggressionen gegen die Ukraine zu rechtfertigen und zu unterstützen, betreibt die Russische Föderation kontinuierliche und konzertierte Propagandaaktionen, die sich gegen die Zivilgesellschaft der Union und ihrer Nachbarländer richten und die Fakten drastisch verzerren und manipulieren“, hieß es damals in der entsprechenden Verordnung: „Diese Propagandaaktionen wurden über eine Reihe von Medien unter ständiger direkter oder indirekter Kontrolle der Führung der Russischen Föderation verbreitet. Solche Maßnahmen stellen eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union dar.“ „RT DE“ umgeht das Verbot allerdings über das Internet.

„Verbot war mir nicht bewusst“

Die „RT“-Sperre wurde öffentlich debattiert, nähere Hintergründe dazu sind durch eine kurze Internet-Suche leicht herauszufinden. profil fragte bei Stockhammer nach, ob er es für angemessen hält, einem derartigen Sender ein Interview zu geben. Innerhalb weniger Minuten verschwand das Posting vom öffentlichen Instagram-Kanal des Terrorexperten. Stockhammer schrieb profil: „Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass mir ein solches Verbot/eine Sanktionierung nicht bewusst war. Da die Fragen seriös waren und lediglich das Thema Radikalisierung betrafen, hatte ich mir auch nichts weiter dabei gedacht. Aber vielen Dank für den Hinweis, ich werde in Hinkunft dort keine Interviews mehr geben oder Fragen beantworten.“ Eines steht fest: Sollten die Europäer tatsächlich Angst haben, auf Weihnachtsmärkte zu gehen, würde das dem Putin-Regime sicher gefallen.

Neben seiner Tätigkeit in Krems fungiert Stockhammer auch noch als wissenschaftliches Aushängeschild für den Thinktank „EICTP“ des früheren FPÖ-Verteidigungsministers Herbert Scheibner. profil berichtete vor einigen Wochen über fragwürdige Vorgänge beim EICTP in Bezug auf Analysen zum Thema politischer Islam. Stockhammer teilte profil damals mit, er sei nicht in diesem Themengebiet tätig und habe von der Existenz dieser Analyse nichts gewusst. Stockhammer sagte auch, er wisse nicht, wie sich das EICTP, für das er als „Freelancer“ tätig sei, finanziert. Darüber sei er nicht informiert worden. Ein bemerkenswerter Zugang für einen Wissenschaftler, der in einem hochsensiblen und sicherheitsrelevanten Bereich tätig ist. (Das EICTP selbst teilte profil damals lediglich allgemein mit, die Finanzierung sei „anfangs ausschließlich privat durch Eigenleistungen und Spenden, später auch durch Projektkooperationen“ erfolgt. Das EICTP erhalte „keinerlei öffentliche Fördermittel, weder aus dem Inland noch aus dem Ausland“.)

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).