Wie ein Whistleblower die Signa zum Fall für die Aufsicht machte
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Die heimische Finanzmarktaufsicht (FMA) bekommt allerhand Whistleblower-Meldungen. Die Aufsicht hat dafür ein eigenes Hinweisgebersystem eingerichtet, in dem man anonym auf mögliche Missstände aufmerksam machen kann. Da kommen allerhand Meldungen zusammen. Einige davon sind – so ehrlich muss man sein – Mist. Sie sind gespickt mit Beleidigungen und Anschuldigen, die sich schon nach einer kurzen Nachschau als haltlos erweisen. Mitte 2022 aber schlug eine Whistleblower-Meldung auf, die plötzlich die volle Aufmerksamkeit der Aufseher hatte. Sie wurde der FMA von den deutschen Kollegen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weitgeleitet, und es ging um Signa.
profil liegt diese Whistleblower-Meldung sowie interner E-Mail-Verkehr dazu vor. Dieser reicht bis hinauf in die Vorstandsebene der FMA. Und aus heutiger Sicht muss man sagen: Die Informationen des Whistleblowers und die Schlussfolgerungen der FMA-Prüfer lesen nachgerade prophetisch. Man könnte auch sagen: Dass Signa bereits im Jahr 2022 Gefahr lief, auf die größte Firmenpleite in Österreichs Wirtschaftsgeschichte zuzurasen, scheint wesentlichen Stellen nicht verborgen geblieben zu sein.
Der Hinweis des anonymen Whistleblowers stützte sich auf Investoren-Informationen und auf Jahresabschlüsse von Signa-Gesellschaften bis zum Geschäftsjahr 2019. Und dort sei etwa zu lesen gewesen, dass die Signa-Gruppe schon zum damaligen Zeitpunkt hochverschuldet war und den damals mit 21 Milliarden Euro bewerteten Immobilien Verbindlichkeiten in Höhe von 15 Milliarden Euro gegenüberstanden. Die sich daraus ergebende Eigenkapitalquote von 28 Prozent liege weit unter den marktüblichen Werten anderer großer Immobilienkonzerne, schrieb der Hinweisgeber an die Aufsichtsbehörde.
Der Whistleblower behauptete auch, dass die Signa-Gruppe zwischen 2014 und 2019 ihre Finanzierungskosten – es sollen 1,16 Milliarden Euro gewesen sein – kaum habe decken können und wies darauf hin, dass ab 2017 Kapitalerhöhungen von insgesamt zwei Milliarden Euro folgten. Trotz des augenscheinlichen Missverhältnisses zwischen den kurzfristigen Finanzierungskosten und den Einnahmen der Gruppe seien den Gesellschaftern üppige Gewinne ausgeschüttet worden. Darüber hinaus erhob der Whistleblower Vorwürfe der Verschleierung, weil Bilanzen lange Zeit nicht im Firmenbuch hinterlegt wurden, wegen der undurchsichtigen Unternehmensstruktur, wegen René Benkos unklarer Position bei Signa und wegen mehrerer weiterer Punkte.
Massiv überbewertet
Dem Whistleblower bereitete auch noch die Sache mit den Zinsen Sorgen: Das Geschäftsmodell von Signa ist zinssensitiv. Das heißt, solange die Zinsen nahe Null sind, funktioniert die Refinanzierung noch irgendwie. Nach langem Zögern hob die Europäische Zentralbank (EZB) am 21. Juli 2022 aber den Leitzins wegen der hohen Inflation erstmals nach einem Jahrzehnt an. Die nächsten Zinssprünge folgten im Monats- und Zweitmonatstakt. Heute liegt der Leitzins bei 4,5 Prozent. Für Signa bedeutete das aber schon 2022, dass man die bis dahin sehr hoch bewerteten Immobilien abwerten musste. Weil die Zinsen stiegen, sank der Cash-Flow - die Kreditausgaben stiegen.
Zu einer ähnlichen Einschätzung ist auch ein FMA-Prüfer gelangt. In einer zusammenfassenden Beurteilung der Whistleblower-Meldung per Mail am 3. August 2022 an die FMA-Vorstände Helmut Ettl und Eduard Müller steht: „Es bleibt jedoch das Risiko, dass bei einer geänderten Zinslandschaft in der Folgebilanzierung Bewertungsverluste zu verzeichnen wären.“ In diesem Jahr fuhren die zwei werthaltigsten Signa-Gesellschaften, die Signa Prime und die Signa Development, erstmals massive (Abwertungs-)Verluste ein. Die EZB hatte die Zinswende damals gerade eingeleitet.
Die Meldung des Whistleblowers schlug zu einer Zeit auf, in der sowohl die europäische als auch die österreichische Bankenaufsicht den Gewerbeimmobilienmarkt prüften. Corona und die Lockdowns brachten massive Verwerfungen bei Gewerbeimmobilien mit sich – Geschäfte und Lokale waren geschlossen, Menschen wichen ins Homeoffice aus, die Leerstände begannen zu steigen, die Umsätze zu sinken. Diese Gemengelage barg auch mögliche Herausforderungen für den Finanzmarkt. Also begannen die Aufseher, sich bei Banken zu erkundigen, wie hoch ihr Kredit-Exposure bei Gewerbeimmobilien sei, wie die Kredite besichert sind und welche Risikovorsorgen getroffen wurden.
Unter Verdacht
Mittlerweile ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Signa Gründer René Benko. Sein Anwalt weist alle Vorwürfe entschieden zurück.
Das war 2021 und 2022. Und hier passierte etwas, das tatsächlich im Nachhinein betrachtet ungewöhnlich ist. Immer wieder tauchte in Zusammenhang mit den Krediten der Name Signa auf. Und so begannen sich die europäischen Aufseher, die ja eigentlich den gesamten Markt im Blick hatten, besonders für die Signa-Gruppe und ihre Milliarden Euro schweren Kredite zu interessieren.
2023 wurde öffentlich bekannt, dass die EZB bei einzelnen Banken das Signa-Engagement erfragte und ganz genau wissen wollte, wie die Kredite besichert waren. Außerdem soll einzelnen Instituten empfohlen worden sein, die Risikovorsorge in der Bilanz zu erhöhen. Später würde die Signa-Führung der EZB die Schuld geben, dass die Gruppe keine Kredite mehr bekommen habe und sich nicht refinanzieren könne. Und dann seien ja auch noch die Zinsen gestiegen.
Signa untersteht nicht der Bankenaufsicht, aber alle Banken und Versicherungen, die ihr Geld gaben. Die Aufseher hatten allen Grund nachzubohren: Allein bei den österreichischen Banken steht Signa mit 2,2 Milliarden Euro in der Kreide und nur rund zwei Drittel davon sind grundbücherlich besichert.
Signa blähe die Immobilienbewertungen auf, schrieb der Whistleblower. „Die Hauptquelle für die ausgewiesenen Gewinne“ seien die „Aufwertungsgewinne bei den Investment Properties“, schlussfolgerten die FMA-Prüfer. Signa habe einen hohen Refinanzierungsdruck, ab 2020 stünden für die Folgejahre Zins- und Tilgungszahlungen von mehr als zehn Milliarden Euro an. Gleichzeitig sei die Gruppe zu diesem Zeitpunkt nicht fit für Zinssteigerungen. Im FMA-internen Mail-Verkehr aus dem Jahr 2022 heißt es dazu: „Ein Liquiditätsrisiko im weiteren Sinn ist jedoch nicht gänzlich auszuschließen.“
Alle diese Analysen stützen sich nicht auf geheime Informationen oder Dokumente aus dem innersten der Signa-Gruppe. Die Schlussfolgerungen beruhen auf Daten und Informationen, die jahrelang in den Bilanzen, in Anleiheprospekten und anderen Informationen, die institutionellen Anlegern vorgelegt wurden, zu finden waren. Die FMA stützte sich in ihrer Nachschau auf die Konzern- und Jahresabschlüsse der Signa Prime und Signa Development zum Bilanzstichtag 31.12.2021. Das geht aus dem profil vorliegenden Mailverkehr hervor. Diese waren zum damaligen Zeitpunkt zwar noch nicht im Firmenbuch hinterlegt, aber alle relevanten Geldgeber hatten das Zahlenwerk bereits bekommen.
Auf Nachfrage zu den profil vorliegenden Unterlagen und der Signa-Prüfung heißt es seitens der FMA: „Wir nehmen zu beaufsichtigten Instituten grundsätzlich keine Stellung. Aber es ist öffentlich bekannt, dass die Bankenaufsicht einen Schwerpunkt auf Gewerbeimmobilien gelegt hat und hier Signa in den Fokus gerückt ist.“
WKStA ermittelt mittlerweile
Untätig blieb die Aufsicht nicht, Hektik scheinen die Erkenntnisse jedoch auch nicht ausgelöst zu haben: FMA-Vorstand Eduard Müller antwortet auf das E-Mail mit der Ergebniszusammenfassung vom 3. August 2022, dass man sich der tiefergehenden Analyse ab September - nach dem Sommer-Urlaub des zuständigen Prüfers - widmen werde. Im Zuge der Nachschau soll die FMA auch eine eine Sachverhaltsdarstellung bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingebracht haben. Auf Nachfrage von profil erteilte die WKStA keine Auskunft dazu.
Dabei hat die WKStA mittlerweile alle Hände voll zu tun: Seit Dienstag ist bekannt, dass Ermittlungen gegen René Benko und eine zweite Person Betrug mit Blick auf die Darstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Signa-Gruppe und ihrer Zahlungswilligkeit bei der Verlängerung eines Bankkredits ermittelt. Bei besagter Signa-Gesellschaft soll es sich um die Signa Prime Holding GmbH handeln. Ein Kredit in der Höhe von 25 Millionen Euro bei der Schelhammer-Bank wurde im Juni 2023 um drei Monate verlängert. Der Kredit war unbesichert, jetzt ist das Geld weg.
Außerdem wird gegen die Geschäftsführer einer Signa-Projektgesellschaft wegen des Verdachts des schweren Betrugs in Zusammenhang mit einer Kapitalbeschaffungsmaßnahme ermittelt. In München laufen Ermittlungen, in London wird vor einem internationalen Schiedsgericht prozessiert. Von Signa wird am Ende eine jahrelange Verfahrensschlacht übrigbleiben. Auch, weil wesentliche Akteure nicht bereit waren, rechtzeitig auf die Bremse zu steigen und auf üppige Dividenden zu verzichten.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.