Wirtschafts-Thriller: Wie Gazprom in Wien um hunderte Millionen Euro kämpft
Eine russische Bank unter der Kontrolle des Kremls, ein kroatischer Tycoon, ein Investor aus Dubai, hunderte Millionen Euro aus dem Gas-Geschäft und eine spektakuläre Übernahmeschlacht rund um eines der wichtigsten Unternehmen Südosteuropas: In diesen Tagen spielt sich von Malta über Zagreb bis nach Amsterdam ein internationaler Wirtschafts-Thriller der besonderen Art ab. Es geht um viel Geld und viel Macht. Und eine besonders spannende Spur führt auch nach Wien.
Hier läuft unter strengem Ausschluss der Öffentlichkeit ein Schiedsverfahren zwischen dem staatlichen russischen Gas-Riesen Gazprom und der kroatischen Firma PPD. Letztere zählt zu den wichtigsten Gashändlern in der Region und pflegte bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch beste partnerschaftliche Beziehungen zu Gazprom.
2017 – immerhin drei Jahre nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland – ließ sich PPD auf einen Zehn-Jahres-Vertrag für Erdgaslieferungen von Gazprom an das kroatische Unternehmen ein. In Russland freute man sich damals, in dem EU-Mitgliedsland wieder langfristig einen Fuß in der Tür zu haben. Und PPD-Eigentümer Pavao Vujnovac konnte sich auf gute Geschäfte einstellen.
347 Millionen Euro für zwei Monate
Auch nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine im Februar 2022 strömte das Gazprom-Gas weiter in Richtung PPD. Erst einige Monate später dürfte es zu Trennungstendenzen gekommen sein. Wie aus kroatischen Gerichtsdokumenten hervorgeht, die profil vorliegen, wirft Gazprom der PPD vor, Rechnungen für Lieferungen im September und im Oktober 2022 nicht bezahlt zu haben, die sich insgesamt auf rund 347 Millionen Euro beliefen. Bis dahin dürfte PPD also brav Geld nach Russland überwiesen haben. Zunächst soll sich PPD sogar der vom Kreml diktierten Verpflichtung unterworfen haben, für das Gas in russischen Rubeln zu bezahlen. (Gegen Sanktionen verstoßen hat man – das sei betont – dabei freilich nicht, da Gas nicht von diesen umfasst ist.)
Die Details sind schwierig zu verifizieren. Beide Seiten schweigen eisern zu inhaltlichen Aspekten des nunmehrigen Rechtsstreits. Aus dem Jahresabschluss 2022 von PPD geht allerdings hervor, dass das kroatische Unternehmen am 13. März 2023 bei einem internationalen Schiedsgericht ein Schiedsverfahren gegen die Gazprom Export LLC eingeleitet hat. In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass das Verfahren in Wien läuft – offenbar ist dies im Liefervertrag für den Fall des Falles so vorgesehen.
Es ist davon auszugehen, dass PPD und Gazprom einander mit Forderungen und Gegenforderungen in zumindest dreistelliger Millionenhöhe begegnen werden. Sollte Gazprom Ansprüche bis zum Laufzeitende des Vertrags im Ende 2027 geltend machen, könnte diese Summe gut und gerne auch in den Milliardenbereich gehen. In kroatischen Medienberichten war zuletzt von drei Milliarden Euro die Rede. Mittlerweile wird sogar über eine Gazprom-Gesamtforderung von 4,6 Milliarden Euro gemunkelt. Auf profil-Anfrage ließen die Streitparteien dies unbeantwortet.
Die Übernahmeschlacht
PPD teilte mit, man könne nichts kommentieren, was mit dem Schiedsverfahren zusammenhänge. Man verweist darauf, dass eine Reihe anderer europäischer Unternehmen ebenfalls solche Verfahren mit Gazprom hätten.
PPD ist zweifelsohne nicht das einzige Unternehmen in Europa, das nach dem russischen Angriff auf die Ukraine weiterhin Gazprom-Gas kaufte. Die teilstaatliche österreichische OMV macht das bis heute. Auch sie ist über einen langfristigen Liefervertrag an die Russen gebunden. Die Beziehungen zwischen PPD und Gazprom sind jedoch aus einem bestimmten Grund besonders bemerkenswert. Und dieser hat mit Gas nichts zu tun.
PPD-Eigentümer Vujnovac, ein kroatischer Tycoon mit kolportiert besten Beziehungen in die Politik, ist drauf und dran, einen geschäftlichen Coup zu landen. In den kommenden Tagen könnte eine seiner Firmen die Mehrheit an einem der wichtigsten Großkonzerne auf dem Balkan übernehmen. Wenn dem jahrelangen Gazprom-Partner das gelingt, dann kurioserweise auch deshalb, weil seine Hauptwidersacher zu stark mit Russland verbandelt sein soll.
Investor aus Dubai
Sein Name ist Saif Alketbi, er ist Investor aus Dubai und ist – Berichten zufolge – mit dem dortigen Herrscherhaus verbunden. Ende Oktober 2022 trat Alketbi auf den Plan, als der kroatische Konzern „Fortenova“ dringend einen Großinvestor brauchte. Fortenova trug früher den Namen „Agrokor“ und ist sowohl als Lebensmittelproduzent als auch als Einzelhändler in mehreren Ländern in Südosteuropa tätig. Mit mehr als 45.000 Mitarbeitern ist Fortenova der größte private Arbeitgeber in der Region. Zum Konzern gehören unter anderem die Supermarktketten „Konzum“ und „Mercator“.
Aus der Historie heraus war die russische Sberbank größter Aktionär von Fortenova. Als die EU im Vorjahr Sanktionen gegen das vom Kreml kontrollierte Kreditinstitut verhängte, blieb der Sberbank bis Ende Oktober 2022 Zeit, einen Käufer für den Anteil von 42,5 Prozent zu finden. Zunächst sollten mehrere Pensionsfonds einspringen. Dieser Deal platzte allerdings wenige Tage vor dem Ende der Frist. Alketbi sprang innerhalb kürzester Zeit ein und übernahm die russische Holdingfirma SBK ART, in welcher die Sberbank ihre Fortenova-Anteile geparkt hatte.
Alketbi zahlte 400 Millionen Euro, wobei der Kauf über die Gazprombank finanziert wurde – dem Vernehmen nach mit der Begründung, weil es zeitlich bereits zu knapp gewesen wäre, einen grenzüberschreitenden Geldfluss von Dubai nach Moskau umzusetzen. Die Sberbank hätte demnach fürchten müssen, das Geld nicht vor Ende der Frist zu erhalten. In diesem Fall wäre dieses wohl eingefroren worden.
Teil-Enteignung droht
Offenbar diente der Umstand, dass für den Kauf kein Geld aus den Emiraten an die Sberbank floss, der kroatischen Regierung jedoch als ein Argument, um darauf zu drängen, die Firma SBK ART auf die EU-Sanktionsliste zu setzen. Mit Erfolg: Nur wenige Wochen nach der Übernahme durch Alketbi wurden gegen die russische Holdingfirma Sanktionen verhängt. In der diesbezüglichen EU-Verordnung heißt es: „Die Sberbank behält die tatsächliche Kontrolle über die SBK ART LLC, ungeachtet der vorgeblichen Übertragung ihrer Anteile auf einen Geschäftsmann in den Vereinigten Arabischen Emiraten.“ Alketbi wiederum hat immer bestritten, nur ein Strohmann für russische Interessen zu sein.
Faktisch droht ihm nun eine Art Teil-Enteignung. Morgen, Dienstag, soll auf einer Aktionärsversammlung eine Abstimmung über eine tiefgreifende Veränderung der Eigentümerstruktur von Fortenova stattfinden. Schauplatz sind die Niederlande, wo die oberste Holdingfirma des Konzerns beheimatet ist. Ziel ist, die sanktionierten Aktionäre – neben SBK ART hält auch noch die russische VTB-Bank Anteile – hinauszudrängen.
Der Plan sieht vor, die Fortenova-Eigentümerschaft im Rahmen eines Verkaufs an eine neue niederländische Eigentümerstruktur zu übertragen. Die nicht-sanktionierten Fortenova-Aktionäre können entscheiden, ob sie mitziehen – die sanktionierten werden ausbezahlt, wobei das Geld vorerst auf einem Treuhandkonto landet. Soweit absehbar, wird Alketbi wohl einen beträchtlichen Teil der 400 Millionen Euro nicht wiedersehen.
Vujnovac-Firma dürfte Mehrheit erhalten
Großer Sieger der Restrukturierung, die dezidiert unter dem Motto läuft, sanktionierte Aktionäre loszuwerden, dürfte hingegen der jahrelange Gazprom-Partner Vujnovac sein. Die maltesische Firma „Open Pass“, an der er die Mehrheit hält, ist der größte nicht-sanktionierte Fortenova-Aktionär. Es ist davon auszugehen, dass die Vujnovac-Firma nun die Mehrheit an Fortenova übernimmt. Open Pass hat sogar angekündigt, die gesamte Transaktion zu finanzieren, sofern nicht alle Aktionäre mitziehen.
Alketbi wird das wohl nicht auf sich sitzen lassen und den Rechtsweg beschreiten. Man darf gespannt sein, welches Verfahren zuerst entschieden sein wird: jenes zu Fortenova oder jenes zu Gazprom vor dem Schiedsgericht in Wien. In beiden geht es jedenfalls um sehr viel Geld.