Investigativ

Zentraler Zeuge im ÖIF-Prozess: Immo-Deals „keine Schnellschüsse“

In der Millionen-Causa um fragwürdige Wohnungsverkäufe und andere Geschäfte des Österreichischen Integrationsfonds wurden am Freitag die ersten Zeugen befragt. Darunter der frühere Chef des Fonds-Kuratoriums, das den Deals grünes Licht gab.

Drucken

Schriftgröße

Und täglich grüßt der Staatsanwalt: Eigentlich hat der Millionen-Prozess um umstrittene Immobilien-Deals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), der im Sommer gestartet ist, erst fünf Verhandlungstage auf dem Buckel. Dennoch wirkt das – durchaus aufsehenerregende – Verfahren bisher nicht so, als würde es recht vom Fleck kommen.

Da wäre einmal der Umstand, dass die Tagsatzung am heutigen Freitag so startete, wie bereits zwei frühere begonnen hatten: mit dem Anklagevortrag (vulgo: Eröffnungsplädoyer) der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Normalerweise gibt es ein solches Plädoyer genau einmal im Prozess, nämlich am ersten Tag. Dass hier bereits drei gehalten werden mussten, liegt an dem Umstand, dass bisher noch nie alle Angeklagten gemeinsam im Saal versammelt waren.

Noch nie alle Angeklagten anwesend

Beim Prozessstart im Sommer fehlte der Hauptangeklagte, ein früherer Geschäftsführer des ÖIF. Er war wegen eines lange geplanten Familienurlaubs entschuldigt und durfte am zweiten Tag den Vorwürfen der WKStA lauschen. Dann war bisher einer der Nebenangeklagten wegen eines komplizierten Knochenbruchs außer Gefecht gewesen. Wieder fit, erhielt er am Freitag die nunmehr dritte – leicht auf seine Person zugeschnittene – Version des Plädoyers. Dass diesmal ein anderer Angeklagter krankheitsbedingt fehlte, wird keine weiteren Konsequenzen haben. Bemerkenswert ist es dennoch, dass frühestens an Prozesstag Nummer sechs alle fünf Beschuldigten gleichzeitig anwesend sein werden.

Bis auf einen Nebenaspekt beziehen sich die Anklagevorwürfe allesamt auf frühere Geschäfte des Integrationsfonds. Der Verdacht: Der Fonds – und damit die österreichischen Steuerzahler – könnten um Millionen geschädigt worden sein. Es geht dabei um verschiedene Deals im Immobilienbereich in den Jahren 2006 bis 2009. Laut WKStA sollen die Angeklagten dabei Untreue begangen und den Fonds „ausgenommen“ haben, um für sich oder ihren Freundeskreis günstige Geschäfte, Aufträge oder Liegenschaften zu erhalten.

Spannender erster Zeuge

Alle Betroffenen bestreiten sämtliche Vorwürfe. Hauptangeklagter ist ein früherer Geschäftsführer des ÖIF. Die WKStA wirft ihm vor, das sogenannten Kuratorium – eine Art Aufsichtsrat – des Fonds, das die Deals seinerzeit genehmigt hat, getäuscht zu haben. Als allererster Zeuge im Verfahren war daher am Freitag der damalige Kuratoriums-Vorsitzende geladen, ein langjähriger Sektionschef aus dem Innenministerium. Das ist jenes Ministerium, in dessen Einflusssphäre der ÖIF hauptsächlich angedockt ist.

Doch auch mit diesem ersten – durchaus relevanten – Zeugen wollte nicht so recht Aufbruchsstimmung im Verfahren entstehen. Das liegt möglicherweise auch daran, dass das ÖIF-Verfahren am Freitag erstmals nicht im altehrwürdigen Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts über die Bühne ging, sondern im angrenzenden „Saal 1“. Dieser war ursprünglich sichtlich nicht als Verhandlungssaal konzipiert, wirkt für ein Verfahren in dieser Größenordnung eigentlich als zu klein und offenbarte technische Tücken, welche nicht gerade zur Beschleunigung beitrugen. Insbesondere einer der Vertreter der WKStA tat sich spürbar schwer dabei, die elektronischen Aktenausschnitte, zu denen er Fragen stellen wollte, auf allen dafür notwendigen Monitoren erscheinen zu lassen.

Zähe Befragungsstrategie 

Das war jedoch nicht der einzige Umstand, der die Befragung eher zäh werden ließ. Das Gericht verfolgt die Idee, die Causa, welche aus einer ganzen Reihe verschiedener Anklagepunkte besteht, mehr nach Themenblöcken und weniger nach Personen abzuhandeln. Das führte nun dazu, dass gleich der erste Zeuge mehrmals zur Seite treten musste, weil sich zwischendurch Fragen an den einen oder anderen Angeklagten ergaben. Eine Situation, die nicht zu einer besseren Übersichtlichkeit beitrug. Eine der Fragen der WKStA bezog sich dann auch gleich auf einen völlig anderen Umstand, den der Angeklagte jedoch bereits in seinem Eingangsstatement am dritten Prozesstag von sich aus lang und breit erörtert hatte. Letztlich wurde das muntere, aber eher chaotische Kommen und Gehen am Befragungstisch nach kritischen Anmerkungen der Anwälte beendet.

Ab diesem Moment galt dann die volle Aufmerksamkeit im Saal dem ehemaligen Kuratoriumsvorsitzenden. Dieser verteidigte als Zeuge unter Wahrheitspflicht die seinerzeitigen Immobiliengeschäfte. Eines davon war der Verkauf zweier Häuser mit Flüchtlingswohnungen an einen nun mitangeklagten Immobilienunternehmer. Ein anderes der Paket-Verkauf weiterer siebzig Eigentumswohnungen. Die WKStA geht davon aus, dass die Veräußerungen weit unter dem tatsächlichen Wert erfolgten. Alleine daraus soll dem ÖIF ein Schaden von mehr als sieben Millionen Euro entstanden sein.

Wohnungen „desolat“

Der frühere Kuratoriumsvorsitzende, der selbst nicht angeklagt ist, sagte aus, die Wohnungen seien „desolat“ gewesen. Der Fonds hätte die Mittel für eine notwendige Sanierung nicht gehabt und sich außerdem verstärkt auf Integrationsmaßnahmen und nicht mehr auf die Flüchtlingsunterbringung konzentrieren wollen. Das deckt sich im Wesentlichen mit der Verteidigungslinie des angeklagten ehemaligen ÖIF-Managers, dem der Zeuge am Freitag Rosen streute: Der Angeklagte sei aus seiner Sicht ein „hervorragender Geschäftsführer“ gewesen.

Die WKStA bemühte sich im Rahmen der Befragung Details zur Sprache zu bringen, die für die Angeklagten potenziell belastend sein könnten: darunter persönliche Verquickungen zwischen verschiedenen Personen, E-Mails, die auf fragwürdige Vorgehensweisen hindeuten könnten, und potenzielle Interessenskonflikte. Bei nichts davon war der Zeuge – soweit erkennbar – jedoch persönlich involviert, weshalb sich dieser darauf zurückziehen konnte, dazu keine eigenen Wahrnehmungen zu haben.

Zur seinerzeitigen Entscheidungsfindung im Kuratorium verwies dessen ehemaliger Chef darauf, dass diese nicht nur auf Basis der damals vom Geschäftsführer vorgelegten – von der WKStA nun stark in Zweifel gezogenen – Gutachten erfolgt sei. Ein Kuratoriumsmitglied mit Expertise im Bau-Bereich habe ebenfalls ausführlich Bericht erstattet. Dass die beiden Häuser dann noch viel billiger verkauft wurden als im Gutachten bewertet, verteidigte der frühere Kuratoriums-Vorsitzende: Man habe eben keine besseren Kaufangebote gehabt. Und die Sanierung hätte den Fonds überlastet.

Zeuge verteidigte Entscheidungsfindung

Die WKStA versuchte in der Befragung auszuloten, ob das Kuratorium immer rechtzeitig über alle entscheidungsrelevanten Unterlagen verfügt habe – oder manches erst als kurzfristige „Tischvorlage“ von der Geschäftsführung vorgelegt wurde. Die Unterlagen seien grundsätzlich rechtzeitig vorgelegt worden, meinte der Zeuge dazu. Wenn es einmal eine Tischvorlage gegeben habe, dann sei ausführlich darüber diskutiert worden. Die Immobilien-Verkäufe seien „keine Schnellschüsse“ gewesen.

An den früheren Verhandlungstagen waren hauptsächlich die Angeklagten am Wort gewesen. Alle bestritten dabei jegliches Fehlverhalten. Der beschuldigte Ex-ÖIF-Geschäftsführer wies den Vorwurf zurück, die damaligen Kuratoriumsmitglieder in Zusammenhang mit den Immobilien-Deals getäuscht zu haben. Er habe das Kuratorium „immer umfassend informiert“ und auch sonst keine seiner Pflichten verletzt, gab der Beschuldigte zu Protokoll. Es gebe „keinen Schaden, keine Täuschung und keine Falschinformation“. Aus der Sanierungsbedürftigkeit der Flüchtlingswohnungen seien dem ÖIF Millionenverluste entstanden – das sei der einer der Gründe für den Verkauf gewesen: „Diese Wohnungen waren nichts wert.“ 

Umfangreiche Präsentationen

Die WKStA unterstellt dem ehemaligen ÖIF-Manager hingegen, sein Motiv wäre es gewesen, den „eigenen Freundeskreis zu bereichern“. Tatsächlich war ein enger Freund des Ex-Geschäftsführers ausgerechnet für jenen Immobilienunternehmer tätig, der den – laut Anklage: viel zu günstigen – Zuschlag für die Wohnungen des Integrationsfonds erhielt. Beide sitzen nun ebenfalls auf der Anklagebank. Auch sie bestreiten jegliches Fehlverhalten.

Der Freund des früheren ÖIF-Chefs – ein politisch bestens vernetzter Beratungsunternehmer – legte dem Gericht in einer mehrstündigen, detailreichen Präsentation dar, dass er zwar sehr wohl für den bewussten Immobilienunternehmer gearbeitet hatte und von ihm dafür auch Zahlungen erhalten habe: dies jedoch nicht in Bezug auf den Integrationsfonds, sondern auf andere Projekte, nämlich diverse Einkaufszentren. Der Angeklagte legte dar, welche Leistungen er diesbezüglich erbracht habe: Beratung im Bereich der Verkehrspolitik, zu umweltpolitischen Themen, im wirtschaftspolitischen Bereich und etwa auch zum Ortsbild- und Denkmalschutz. Außerdem habe er dem Immobilienunternehmer sein „Kontaktnetzwerk“ und sein „umfassendes Wissen über politische Gegebenheiten“ zur Verfügung gestellt.

Große Bauprojekte können Widerstände unterschiedlichster Art hervorrufen. Gezieltes Lobbying durch eine geeignete Person an den geeigneten Stellen kann da durchaus hilfreich sein. Dem Vorwurf der WKStA, dass all das nur Scheinleistungen gewesen seien, um Zahlungen in Zusammenhang mit dem ÖIF zu kaschieren, weist der Angeklagte Berater jedenfalls entschieden zurück.

„Komplett kaputt“

Auch der Immobilienunternehmer bestritt in seiner Befragung vor Gericht die Vorwürfe. Er legte Fotos einzelner Wohnungen vor, um zu unterstreichen, wie desolat deren Zustand sei. Keiner der Sachverständigen im Ermittlungsverfahren habe auch nur eine einzige der Flüchtlingsunterkünfte von innen gesehen, betonte der Angeklagte. Die Wohnungen seien nicht „abgenutzt“ im normalen Sinne, sondern „komplett kaputt“.

Weitere in der Anklageschrift aufgezeigten Umstände und Begleiterscheinungen der umstrittenen Immobilienverkäufe werden wohl im weiteren Verfahrensverlauf noch im Detail behandelt werden. Vorerst sind Termine bis Mitte Dezember ausgeschrieben.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.