Investigativ

Zeuge im ÖIF-Prozess: „Habe nicht zugestimmt, sondern mich ausgeschwiegen“

In der Millionen-Causa um mutmaßlich zu billig verkaufte Wohnungen des Österreichischen Integrationsfonds sagte am Freitag ein Mitglied des seinerzeitigen Entscheidungsgremiums aus. Der Mann soll besondere Immobilien-Expertise gehabt haben. In Sachen Preisbeurteilung sei er aber „überfordert“ gewesen.

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Es ist die Gretchenfrage im Millionen-Prozess um frühere Immobilien-Deals des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), der derzeit am Wiener Straflandesgericht über die Bühne geht: Waren die Preise, die der Fonds 2008 und 2009 beim Verkauf zahlreicher Flüchtlingswohnungen erzielte, angemessen oder nicht? Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bezweifelt das und wirft dem damaligen ÖIF-Geschäftsführer, dem Käufer und anderen Personen Untreue vor – die Angeklagten bestreiten jedes Fehlverhalten. Nun war am Freitag ein Zeuge geladen, der als durchaus zentral für die Causa gelten kann, ausgerechnet in Bezug auf die Kernfrage aber überraschende Lücken offenbarte.

Der pensionierte Beamte aus dem Wirtschaftsministerium saß in der fraglichen Zeit im Kuratorium des Integrationsfonds. Das Kuratorium – eine Art Aufsichtsrat – musste wichtige Geschäfte wie die in Frage stehenden Immobilienverkäufe genehmigen und tat das dann auch. Dennoch ist kein Mitglied dieses Gremiums angeklagt. Die WKStA hegt vielmehr den Verdacht, dass der frühere Geschäftsführer das Kuratorium in Bezug auf bestimmte Umstände getäuscht habe – was dieser im Prozess entschieden zurückgewiesen hat.

Bisherigen Darstellungen im Verfahren zufolge, beruhte die Entscheidungsfindung im Kuratorium nicht zuletzt auf der Fachexpertise des nunmehr als Zeugen einvernommenen Ex-Beamten. Dieser ist nämlich ausgebildeter Bauingenieur und war damals im Wirtschaftsministerium als Objektmanager für historische Gebäude des Bundes tätig. Geht man nach den bisherigen Aussagen – auch jener des damaligen Kuratoriumsvorsitzenden, der ebenfalls als Zeuge befragt wurde – handelte es sich bei dem Mann quasi um die personifizierte Immobilien-Expertise im Entscheidungsgremium. Das freilich stellte sich im Zuge der direkten Befragung des Ingenieurs nun doch etwas differenzierter dar.

Überfordert gefühlt

Zunächst sei festgehalten, dass der 72-Jährige ausgerechnet in Bezug auf den ersten von zwei großen Immobilien-Verkäufen, um die es im Prozess geht, gröbere Erinnerungslücken zu erkennen gab. Darüber hinaus brachte er im Zuge der Befragung offensichtlich manches durcheinander. Das, obwohl die Causa seit gut zehn Jahren medial heftig diskutiert wird und der Mann im Ermittlungsverfahren der WKStA im Jahr 2021 acht Stunden lang befragt wurde.

Erinnern konnte sich der Zeuge jedoch augenscheinlich an den zweiten Verkaufs-Deal. Dieser wurde vom Kuratorium in Form eines Umlaufbeschlusses freigegeben, wobei die Möglichkeit vorgesehen war, sich zu „verschweigen“. Das hat ausgerechnet der Immobilien-Experte des Gremiums genutzt: „Ich habe nicht zugestimmt, sondern mich ausgeschwiegen“, gab der frühere Beamte am Freitag zu Protokoll: Sachlich habe er den Verkauf unterstützt. Was die Frage des Verkaufspreises anbelangte, habe er sich jedoch „überfordert“ gefühlt.

Mögliche Bedenken kamen nicht von ungefähr: Der Käufer musste gerade einmal 867.500 Euro für 70 Wohnungen bezahlen. Ohne Betrachtung der näheren Umstände ein Wert, der Fragen aufwirft – auch wenn er knapp über dem Ergebnis eines Verkehrswertgutachtens lag, das der Fonds hatte einholen lassen.

Der angeklagte Ex-Geschäftsführer, aber auch der nicht-angeklagte damalige Kuratoriumsvorsitzende haben die Verkäufe zu niedrigen Preisen im Wesentlichen mit dem hohen Sanierungsbedarf der Immobilien begründet. Eine Argumentationslinie, die der Zeuge am Freitag ebenfalls teilte. Er könne zwar keinen Immobilienwert berechnen, Sanierungskosten aber sehr wohl beurteilen. Und die diesbezüglichen Einschätzungen seien für ihn plausibel gewesen.

„Das erstaunt mich sehr“

Hier setzte der Vertreter der WKStA in der Befragung an, indem er vom Zeugen unter anderem wissen wollte, ob die millionenschweren Sanierungskosten tatsächlich so rasch schlagend geworden wären – und ob für die kurzfristigen Notwendigkeiten die vorhandenen Mittel nicht ausgereicht hätten. Laut Anklageschrift soll der Käufer in Bezug auf den ersten nun angeklagten Deal seinem Bankbetreuer seinerzeit mitgeteilt haben, dass gar keine akuten Investitionen notwendig gewesen wären. Der Vertreter der WKStA hielt dem Zeugen Angaben vor, denen zufolge die Sanierungskosten – sinngemäß – angeblich problemlos aus dem Cashflow zu finanzieren gewesen wären. Der Zeuge meinte: „Das erstaunt mich sehr.“

Gerade in Bezug auf diesen ersten Immobilien-Verkauf hatte der Zeuge allerdings keine Detailkenntnisse mehr. Auch nicht an eine Begehung der beiden damals zum Verkauf stehenden Häuser mit Flüchtlingswohnung, bei der er selbst mit von der Partie war. Dabei soll gerade diese Begehung für die Meinungsbildung im Kuratorium besonders wichtig gewesen sein und wurde am Freitag von einem der Angeklagten nachgerade dramatisch geschildert. So habe etwa keine der Wohnungstüren den brandschutztechnischen Vorschriften entsprochen. Wohnungen seien von Schimmel befallen gewesen: „Der Zustand war absolut erschreckend.“

Der Zeugenbefragung des Ex-Kuratoriumsmitglieds konnte am Freitag aus Zeitgründen nicht abgeschlossen werden. Der Mann soll Ende November nochmals vor Gericht erscheinen. Es zeichnet sich bereits ab, dass es noch eine ganze Reihe offener Fragen geben dürfte.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).