Eine showtechnisch und dramaturgisch gute Idee, die bei den Oscars schon einmal realisiert worden war, hatte die Regie des TV-Spektakels für die Schauspielpreise revitalisiert: Je fünf Menschen, die daheim schon Oscars stehen haben, hielten kurze, oft sehr persönliche Laudationes auf die jeweils fünf nominierten Schauspielkräfte. Dies steigerte den Glamour-Effekt und berührte die potenziell Auszuzeichnenden offensichtlich. „Poor Things“-Heldin Emma Stone konnte sich, als beste Hauptdarstellerin gefeiert, vor Aufregung, Atemnot und Tränen kaum fassen.
Der erwartete Triumph des Nuklear-Biopics „Oppenheimer“ stellte sich ein; es gewann in den meisten zentralen Kategorien (bester Film, beste Regie, beste Kamera, beste Musik, bester Schnitt, bestes Schauspiel) gewann – nur als bestes adaptiertes Drehbuch zog die vieltausendköpfige Jury der Academy dann doch die afroamerikanische Tragikomödie „American Fiction“ vor.
Drei der vier Oscars, die auf Yorgos Lanthimos’ fast schon verstörend originelle Inszenierung „Poor Things“ entfielen, wurden für die gewissermaßen „äußerlichsten“ Bereiche fällig – für Make-Up, Kostüm und Production-Design. Wenn man die Bildgewalt jenes Films kennt, kann man das zwar begreifen, aber es unterspielt am Ende doch die Bandbreite des Werks, das nicht einfach nur farbenprächtig aussieht, sondern tatsächlich abgründige Weltbilder serviert.
Die beiden Goldstatuetten, die für „The Zone of Interest“ verliehen wurden, waren dagegen sorgsam gewählt; Jonathan Glazers Werk wurde nicht nur als bester nicht-englischsprachiger Film prämiert (er wurde auf Deutsch gedreht), sondern auch für den besten Ton. Und in jenem Fach war Glazers Vision heuer konkurrenzlos. In seiner Dankesrede wies der Regisseur auf die beklemmende Gegenwärtigkeit seines Films hin, der zeigt, wie weit ganz „normale“ Menschen in Sadismus und Fühllosigkeit gehen können – und geißelte das fortschreitende Blutvergießen im Nahen Osten, trauerte um „all die Opfer dieser Entmenschlichung“. Explizit benannte er auch die Inhumanität der palästinensischen Hamas, in diesen Tagen fast schon eine Seltenheit. Der einzige Weg aus der Barbarei ist die unablässige Ehrfurcht vor dem Widerstand dagegen: Glazer widmete seinen Preis daher dem Andenken an eine der Heldinnen von Auschwitz-Birkenau, die den Inhaftierten heimlich Nahrung zukommen ließ.
Auch der andere gegenwärtig tobende Krieg kam in Hollywoods größter Party zur Sprache: Denn der Oscar für den besten Dokumentarfilm ging erstmals in der Geschichte dieses Preises an die Ukraine, an die Produktion „20 Tage in Mariupol. Regisseur Mstyslaw Tschernow klagte den russischen Aggressor an und sagte: „Ich wünschte, ich hätte diesen Film niemals machen müssen.“ Das Kino müsse weiterhin um die Wahrheit kämpfen, denn es forme die Erinnerung, und die Erinnerung forme das, was wir Geschichte nennen. „Oppenheimer“-Titelheld Cillian Murphy widmete seinen Oscar all jenen, die weltweit Frieden stifteten.
Zu den wenigen Überraschungen dieses Abends zählte der Drehbuch-Oscar für den französischen Film „Anatomie eines Falls“ (Regie und Buch: Justine Triet). Und zwei Kinomeister, die japanische Trickfilmlegende Hayao Miyazaki sowie der US-Regieexzentriker Wes Anderson, wurden in den Fächern Animationsfilm („The Boy and the Heron“) und Kurzspielfilm („The Wonderful Story of Henry Sugar“) hochverdient geehrt, Anderson sogar zum allerersten Mal Oscar-gekrönt; beide hatten offenbar nicht damit gerechnet, hier den Sieg davontragen zu können – und waren der Gala ferngeblieben.
Die Bilanz dieses Jahres, sieben Oscars für „Oppenheimer“, vier für „Poor Things“ und zwei für „The Zone of Interest“, lässt sich also durchaus sehen – auch wenn die filmkünstlerische Relevanz jener drei Filme eigentlich die umgekehrte Reihenfolge nahelegen würde.