Abrüstungsvertrag: Daniel Craig sucht neue Männlichkeitsbilder
Ein Tausendfüßler tänzelt leitmotivisch durch Luca Guadagninos neuen Film. „Queer“ heißt das Werk, nach einem autobiografischen, in den frühen 1950er-Jahren verfassten Roman des US-Schriftstellers William S. Burroughs – und es erscheint so unfassbar wie der Myriapode: ein Fantasiegebilde der Einsamkeit und der freien Sexualität. Im Zentrum von „Queer“ agiert der Filmstar Daniel Craig, der Welt als jener chauvinistische britische Geheimagent bekannt, den er zwischen 2006 und 2021 in fünf Filmen der James-Bond-Serie darstellte.
Wie alle Schauspielgrößen, die beschlossen haben, sich selbst und ihren Beruf ernst zu nehmen, hat Craig die Rolle eines drogenabhängigen, schwulen Schriftstellers übernommen. Er betrachte diesen Part nicht als „Risiko“, sagt Craig, denn Maskulinität sei meist lachhaft und grundsätzlich konstruiert, bloß eine Art Rüstung, die man sich anlege, um etwas zu verbergen. Männlichkeit könne aber durchaus glorios sein, so Craig – eben auch jene, die in „Queer“ zelebriert werde. Als amerikanischer Expat streift er zynisch und ziellos durch die Bars und Cantinas in Mexico City, später auch durch den südamerikanischen Dschungel, auf der Jagd nach einer Superdroge, die telepathische Kräfte verleihen soll. Die komplizierte Affäre, die er mit einem jungen Ex-Soldaten (Drew Starkey) erlebt, füttert seinen Realitätsverlust.
Amerikas Filmindustrie hat schon aus geschäftlichen Gründen ein vitales Interesse daran, in den Diskursen der Gegenwart zu bleiben; um Diversität ist Hollywood seit Jahren bemüht, Filmstars wie Timothée Chalamet, Glen Powell oder Ryan Gosling gehen inzwischen entschieden selbstironisch mit ihrer Virilität um. „Queer“ allerdings reicht über pflichtschuldige Minderheitenpflege weit hinaus. Eine noch weniger konventionelle Liebeserzählung wird man im Kino der mittleren 2020er-Jahre nicht leicht finden.
Craig verzichtet darauf, Burroughs’ manieristischen Sprachduktus zu imitieren, geht nicht die naheliegende Falle, den Roman-Antihelden mit dessen Autor gleichzusetzen. So tänzelt der Mann, ohne die Figur, die er spielt, zu rühmen oder zu kritisieren, leichtfüßig auf und davon.