Agenten-Soap James Bond: Krachen und stauben lassen
Mindestens 1000 Mal probiert, zumindest alle paar Jahre wieder. Es gibt offenbar kein Entkommen von der alten Krawallschachtel. Ein neuer Bond und wieder ein neuer und noch einer. Jedes Mal wie ferngesteuert der Weg ins Kino, fast ein Pilgern, worüber noch zu sprechen sein wird. Eine heikle Mission also, um das Mindeste zu sagen. Die Antwort auf die Frage, weshalb die Bond-Reihe, diese unkaputtbare Kinderei für Erwachsene, einen nicht loslässt, hat Konsequenzen über die Spionage-Soap hinaus.
Bond ist so etwas wie der Ford T unter den Kinogebrauchsgegenständen. Eine edle Geschmacksverwirrung. Der Versuch, in Kulissen eine Wirklichkeit nachzuspielen, die aus sehr bunten Klötzchen zusammengebaut ist. Bond-Schauen ist ungefähr so spannend wie ein Fußball-WM-Finale auf DVD wiederzusehen. In Wahrheit ist es noch schlimmer: Man greift ins DVD-Regal mit der beschrifteten Hülle: "Finale 2018. Frankreich gegen Kroatien. 19. Min. Mandžukić (Eigentor). 28. Min. Perišić. 38. Min. Griezmann. 59. Min. Pogba. 65. Min. Mbappé. 69. Min. Mandžukić". Hat man einen Bond gesehen, hat man alle gesehen. Die immer gleiche David-gegen-Goliath-Geschichte. Die Sprüche und Staffagen, das Adrenalin, der Alkohol. Milde Aufputschmittel, körperlich gut abbaubar.
Mein allererster Bond im Fernsehen in einer versunkenen Zeit, um 1980. "Goldfinger" mit Gert Fröbe und Sean Connery aus dem Jahr 1964, damals schon ein Vehikel von vorvorgestern, ein Dreiklang aus Tschingbum, Trivialität und Trotz. Bond war immer schon ein Phänotyp der grauen Zeit, da helfen keine modischen Sprenkel, das Wort vom "Kulturwandel" wirkte in der 007-Reihe stets wie ein Witz. Die Coolness. Der Knick in der Biografie. Das Herzeleid. Die Illusion von Ordnung, die spätestens beim Abspann herrscht. Kino nach Küchenrezept. Man muss als Bond-Kinogeher peinlich darauf achten, sich nicht im fast sektenhaften Fanclub wiederzufinden. Der Himmel behüte einen vor den Trivia und Varia, in digitalen Stein gehauen von der Bond-Kommune auf Wikipedia!
Das alles muss man wissen, bevor man Bond und die Beelzebuben, die ihm immer wieder das Leben schwer machen, in den tiefen Schacht des Banal-Brunnens verbannt. "Pilgern" war das Stichwort. Im Duden müsste längst stehen: "bonden, schwaches Verb, wird dafür verwendet, um die Vorzüge des Kinos gegenüber dem Kleinklein von Computer- und TV-Bildschirmen herauszustreichen." Oder so ähnlich. Man bondet, indem man ins Kino geht. 007 am Heimmonitor zu sehen ist etwa so, als wollte man sich am flackernden Holzfeuer auf dem Laptopscreen wärmen. Es scheint auf verquere Weise nur logisch, dass ausgerechnet Bond der Garant für die Qualitäten der ganz großen Leinwand war und ist.
Von Film zu Film der Endlosreihe wird man jedoch auch großzügiger. James Bond kann kunterbunten Quatsch treiben, er kann sich mit schauriger Ernsthaftigkeit an die Arbeit machen: Man verzeiht ihm, lacht über ihn. Angewandter Toleranzunterricht bei Prof. Bond. Es darf einen auch in 007-Filmlänge der Gedanke beschleichen, dass früher fast nichts besser war, aber manches schon, zumindest bis die nächste Bond-Figur (weiblich, männlich, divers) in ferner Zukunft im E-Auto dahinbrettern und alkoholfreie Martinis trinken wird. Jagdszenen aus Cancel-Culture-Land. Bond wird die entkernte Hülle für Alltagsflucht und Abenteuergeist bleiben, ausgestattet mit der Mentalität einer Kanonenkugel, umweht von etwas Einsamem und Gentlemanhaftem. Alles Vorlieben, die man als Halbwüchsiger ungestraft hegen darf: jeder neue Bond als kleine Feierstunde der Kurzzeitwiederkehr von Kindheit und Jugend. Legt man die hyperkritische Lupe beiseite und betrachtet das größere Bild, gibt es weitaus schlimmere Formen der Zeitverschwendung. Die Welt wird spielfilmlang auf drastische Weise simplifiziert, Grautöne werden nicht geduldet. So what!
Nicht zuletzt bedient James Bond den kleinsten gemeinsamen Nenner der zivilisierten Gesellschaft: Er will nicht, dass die Welt untergeht. Dass es mit der Menschheit vorbei ist. Dafür setzt er alle Hebel in Bewegung, lässt es krachen und stauben. So gesehen ist 007 der Mann der Stunde. Dafür dürfen wir uns ruhig auch einmal bedanken.
profil-Autor Wolfgang Paterno weinte Timothy Dalton und Pierce Brosnan als Doppelnullagenten keine Träne nach; Daniel Craig dagegen hätte sein MI6-Dienstverhältnis durchaus verlängern dürfen.