Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater im Burgtheater 2005

Aktionskunst: Performances boomen - sind aber nicht lukrativ

Die Performancekunst boomt mehr denn je. Doch während sich Museen und Populärkultur um das direkte Erleben kreativer Höchstleistungen reißen, zieht der Markt nicht mit. Ist Aktionskunst wirklich weniger wert als ein Gemälde?

Drucken

Schriftgröße

Die US-Künstlerin Charlotte Moorman schwebte in schwindelerregender Höhe - und spielte dabei Cello. Bangten die Zuschauer des Spektakels, 1982 im Rahmen der Linzer Ars Electronica aufgeführt, um die Sicherheit der legendären Performerin? Was ging in den Köpfen jener Menschen vor, die Marina Abramovic in die Augen sahen, als sie 2010 im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) über 75 Tage hinweg jeweils sieben Stunden lang reglos an einem Tisch verharrte? Und was empfanden Augenzeugen, die den österreichischen Künstler Flatz 2010 im Kunstraum Innsbruck dabei beobachteten, wie er seinen Kopf unaufhörlich gegen Stahlplatten schlug?

Die Kunst der Performance wirkt flüchtig, ihr Aktionismus hinfällig. Sie hinterlässt wenige Relikte: Videos, Fotoserien, Skizzen, Texte, Kostüme, manchmal Objekte. Selbst die vielen Fotoaufnahmen, die bei Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater-Aufführungen entstanden, vermitteln kaum einen Eindruck davon, wie es "wirklich“ war: mit welch pathetischer Geste so mancher Besucher die Akteure (etwa bei der Aufführung im Wiener Burgtheater 2005) mit Blut übergoss; wie säuerlich der Wein aus Plastikbechern schmeckte, an dem sich das Publikum berauschen sollte; wie sich Tierblut und Alkohol zum beißenden Geruch mischten, der sich noch Tage später nicht restlos verflüchtigt hatte.

Die Geschehnisse der Aktionen können zwar erzählt, ihrer konstitutiven Einmaligkeit wegen aber später nur schwer rekonstruiert werden. Entsprechende Präsentationen in Ausstellungen und Museen - wie dem Flatz Museum in Dornbirn - vermitteln allenfalls einen fahlen Nachhall.

Yoko Ono, VALIE EXPORT & Co.

Die Performancekunst als Gattung entstand in den 1960er-Jahren im künstlerischen Unruhezentrum New York, zeitgleich in vielen europäischen Städten. Damals entwickelten mittlerweile kultisch verehrte Performer wie Yoko Ono, Nam June Paik, Carolee Schneeman und VALIE EXPORT ihre Darbietungen. Viele dieser Kunstschaffenden agierten nach festgelegten Konzepten; Musik-, Theater- und Tanzszene befruchteten das Geschehen. Die Grenzen zur Aktionskunst, die sich aus der Malerei entwickelte, und dem Happening unter Einbezug des Publikums waren bereits damals fließend. Inzwischen werden die einzelnen Kategorien gern unter dem Begriff "Live Art“ subsumiert: Kunst, die auf Erleben setzt.

Live Art erfreut sich gegenwärtig ungeahnter Popularität. Internationale Museen haben eigene Performance-Abteilungen eingerichtet; die Pionierinnen und Pioniere des Genres werden wiederentdeckt. Dieser Tage etwa hat das Salzburger Museum der Moderne eine groß angelegte Retrospektive der Arbeiten von Charlotte Moorman (1933-1991) eröffnet. Sabine Breitwieser, die das Museum der Moderne leitet, brachte die Schau nach Österreich. "Wir erleben seit rund zehn Jahren ein enorm großes Interesse an Performance-basierter Kunst“, sagt Breitwieser. Jüngere Vertreter wie der 1976 geborene Tino Sehgal bespielen Top-Museen; Popstars wie Lady Gaga und Jay Z interessieren sich für die vergängliche Kunst von Marina Abramovic, und auch Tom Fords aktuelle Kinoarbeit "Nocturnal Animals“ wird mit einer Performance eröffnet.

Woher kommt dieser Boom? Glaubt man Trendforschern, so investieren Menschen gegenwärtig lieber in Erlebnisse als in Produkte: Kurzurlaube und feines Essen statt neuem Plasma-TV. Modelabels reagieren und verwandeln ihre Shops in Erlebniswelten - Einkauf plus hippes Koffein-Warmgetränk. Die Aura des Einmaligen, das nicht wiederholt werden kann, scheint in einer durchtechnisierten Welt verstärkt Reiz auszuüben. Wenn Tino Sehgals Akteure durch Museumsräume wirbeln, dann bedienen sie im Grunde genau diese Erwartung: ein maximal unmittelbares Erlebnis für das Publikum.

"Performance ist für ein heutiges Publikum derart wichtig, weil sie aktuell sein und schnell auf gesellschaftspolitische Ereignisse reagieren kann“, sagt Christiane Krejs, die den auf Performance spezialisierten Kunstraum Niederösterreich in der Wiener Innenstadt leitet. Manche Aufführung verlagert sich auf die Straße: 2011 rückte zur Performance von Dolce & Afghaner die Polizei an. Das Künstlerduo hatte seine Arbeit als Demonstration deklariert. Mit einer Straßenrede - "Weg mit dem Stephansdom! Freie Sicht aufs Mittelmeer!“ - provozierte es wüste Beschimpfungen.

Kaum Ware für Kunstmarkt

Im Vergleich mit anderen Sparten wie der Malerei oder der Skulptur ist mit Performance nach wie vor kaum Geld zu machen, auch wenn viele Kunstmessen seit einigen Jahren verstärkt auf Live Art setzen. Das Problem dabei: Die Events hinterlassen kaum Ware für den Kunstmarkt. Während Sammler bereit sind, Zigtausende Euro für ein Gemälde etwa von Xenia Hausner auszugeben, hält sich das Interesse an Performance-Fotografien sehr in Grenzen. Das betrifft lokale Größen ebenso wie den Nachwuchs - und sogar die Superstars des Kunstbetriebs. Marina Abramovic erzählte von entbehrungsreichen Jahren, in denen sie sich als Hilfsbäuerin und Briefträgerin verdingen musste. Inzwischen verdient die Starkünstlerin mit den Überbleibseln ihrer Arbeiten einen Bruchteil jener zweistelligen Millionenbeträge, die Maler und Bildhauer ihrer Bedeutung erzielen. Einzelne Aufnahmen von ihren Performances bewegen sich im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich. (Eine Abramovic-Fotoserie, die 2015 bei Christie’s um 365.000 Dollar versteigert wurde, bildet da die Ausnahme.) Für ihren berühmten 75-tägigen MoMA-Sitz-Akt erhielt Abramovic 100.000 Dollar - beschämend wenig, rechnet man die jahrelangen Vorarbeiten für das Bravourstück ein.

So gehen Künstler dazu über, ihre Events selbst zu vermarkten. Abramovic unterweist Interessierte gegen Bezahlung in der "Abramovic-Methode“, einem spirituell-künstlerischen Erlebnis. Im Auftrag eines Sportschuhherstellers modellierte sie eine frühe Arbeit zum Werbeclip. Tino Sehgal hat einen anderen Weg gewählt: Er macht die Vergänglichkeit der Performance selbst zum Thema - und verbietet fotografische und filmische Dokumentationen. Sammler und Museen wie das MoMA können seine Werke kaufen, als Lizenz zur Wiederaufführung.

Viele Performer aus dem Kunstbereich, so die Kuratorin Bettina Kogler, könnten nur schwer von ihren Arbeiten allein leben. Der Kunstmarkt fordert nach wie vor handelbare Ware - also Objekte - ein. Während im Theater- und Tanzbereich Regisseure und Performer selbstverständlich honoriert werden, hinkt der Kunstbetrieb hinterher. Eine Ausnahme bildet Christiane Krejs’ Kunstraum: "Wir müssen eng kalkulieren, daher sind die Honorare leider nicht sehr hoch. Aber gerade bei der Performance ist es doppelt notwendig, dass solche bezahlt werden.“ 2007 lobte Krejs erstmals einen Performance-Preis aus. Die Liste der Preisträger kann sich sehen lassen, viele davon touren mittlerweile durch große Häuser: Jakob Lena Knebl wird etwa demnächst eine große Schau im Wiener Museum moderner Kunst eröffnen.

Vergängliche Schöpfungen

Jenseits der ökonomischen Dimension stellt sich aber auch die Frage nach der Präsentation. Wie soll man mit dem eminenten künstlerischen Erbe umgehen? Im Theaterbereich lassen sich kaum Erfahrungen sammeln: Die Schaukunst hat sich längst damit abgefunden, dass sie vergängliche Schöpfungen erzeugt. Sobald eine Inszenierung ausgelaufen ist, bleiben Zuschauererinnerungen und Zeitungskritiken, allenfalls TV-Aufnahmen ausgesuchter Premieren. Im Sektor Tanz präsentiert sich die Angelegenheit differenzierter: Regiegrößen wie Wim Vandekeybus und Jan Fabre bringen auf Tour mitunter zehn Jahre alte Arbeiten in neuer Besetzung wieder in Umlauf. Erst vergangene Woche wurde im Wiener Koproduktionshaus brut das Projekt "The Inheritance“ präsentiert, eine Programmschiene, in der jüngere Tänzerinnen und Tänzer ältere Arbeiten von Kollegen neu interpretieren. Durch Reenactments - also Wiederaufführungen - von Performances aus dem imagetanz-Festival-Archiv will man lebendige Weitergaben von Kunstwerken initiieren, den Dialog zwischen Original und "Kopie“ forcieren.

Die Herangehensweise der Beteiligten war höchst unterschiedlich, wie brut-Leiterin Kira Kirsch erklärt: "Manche meinten:, Hier ist das Material meiner alten Performance, nimm dir die Freiheit, damit zu machen, was du willst.‘ Andere arbeiteten eng mit den jungen Akteuren zusammen. Und eine Künstlerin meinte, ihre damalige Performance sei sehr persönlich gewesen, deshalb wolle sie diese selbst reinszenieren.“

In einigen Museen hat sich die Darbietung älterer Performancearbeiten bereits etabliert. Als Live-Art-Urgestein Simone Forti 2014 auf Sabine Breitwiesers Einladung in Salzburg gastierte, führten Studierende deren Dance-Construction-Performances da capo auf. "Die junge Generation spielt auf einem Klavier, das von der älteren ‚gestimmt‘ wurde und heute in den elektronischen oder anderen Bereichen fast grenzenlos ausbaubar ist“, so die Museumsdirektorin. Im Kunstraum Niederösterreich arbeitet man derzeit an einer Datenbank, aus der heraus Neues aus Altem kreiert werden soll: ein höchst lebendiges Archiv des Entschwundenen.

MITARBEIT: KARIN CERNY

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 10 vom 6.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer