Debatte

Aktionsradius Wien: Der Krieg vor der Haustür

Wenn Friedensreihen Unfrieden stiften: Wolfgang Paterno über einen Nebennebenschauplatz des russischen Angriffskriegs.

Drucken

Schriftgröße

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine kennt viele Nebenschauplätze – vom Berliner Bundeskanzleramt über den Pariser Élysée-Palast bis vor die eigene Haustür. Kürzlich im „Aktionsradius Wien“, einem Kulturveranstaltungsort im 20. Wiener Gemeindebezirk, der sich in seiner Selbstbeschreibung als „Freiraum des Denkens“ versteht. Im Anschluss an eine Veranstaltung der sogenannten „Friedensreihe“, bei der die Streitschrift „Von Krieg zu Krieg“ des französischen Soziologen Edgar Morin präsentiert und diskutiert wurde, verdichtete sich der Krieg in der Ukraine kurzzeitig in sicherer Distanz. An diesem Abend war auch die ukrainische Autorin Oksana Stavrou unter den Gästen, von der soeben das Buch „Russlands Krieg gegen die Ukraine: Worum geht es? Fakten und Perspektiven“ erschienen ist. Weil es derzeit fast immer um Kriege in irgendeiner Weltregion geht, drehte sich auch im „Aktionsradius“ im Anschluss an die Veranstaltung alles um Kampf und Konflikt – sowie grimmigen Streit um die Deutungshoheit. 

Stavrou, Jahrgang 1980, berichtet Folgendes über den Abend: „Ich habe […] etwas Verstörendes erlebt. Ich wurde im Aktionsradius Wien angegriffen.“ Und weiter: „Mitten im Gespräch über mein Buch […] mit zwei Herren riss mir einer von denen, ein älterer Herr, das Buch gewaltsam aus den Händen, fuchtelte damit herum, wollte es trotz meiner lauten, wiederholten Aufforderungen nicht zurückgeben. Der andere Herr hat sich daraufhin einfach weggedreht. Die anderen Männer in unserer Nähe (aus irgendeinem Grund waren tatsächlich keine Frauen in unmittelbarer Nähe) haben meinen Hilfe suchenden Blick nicht erwidert. Vertieft ins Gespräch?“

An diesem Punkt gehen die Versionen gänzlich auseinander. Der Krieg in der Ukraine ist auch hierzulande ein wiederkehrendes Ereignis in unterschiedlichen Gravitationsformen. Der „Aktionsradius“ veröffentlichte infolge des Vorfalls nachfolgende Stellungnahme: „Bei der Veranstaltung […] hat niemand einen gewaltsamen Vorfall oder physische Übergriffe gegenüber Frau Oksana Stavrou wahrgenommen. Wir haben dazu das gesamte Organisationsteam, Technik, Bar-Crew, Moderatorin, Referenten und auch Gäste befragt. Frau Stavrou war Gast der Veranstaltung und hat sich am Publikumsgespräch beteiligt.“ Weil es offenbar ohne Aufrüstung der Worte nicht mehr geht, schießt der „Aktionsradius“ noch hinterher, dass es sich bei Oksana Stavrous Statements um eine „diffamierende mediale Kampagne“ handle. Also nix gewesen. Vielleicht sollte man, nur so als Anregung, den Betroffenen von offenbar physischen Aggressionen einfach mal zuhören. Worum geht es? Gut möglich, dass am Ende alles gut wird. Für Mitte April ist im „Aktionsradius“ die Veranstaltung „Den Krieg verlernen“ anberaumt. Hauptprogrammpunkt: „Kranichfalten für den Weltfrieden“. 

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.