"Welche Romane dürfen wir vergessen, Herr Eibl?"
Interview: Johanna Habring
profil: Vor exakt einem Jahr gründeten Sie den Verlag DVB, der sich ganz auf vergessene Literatur spezialisiert hat. Was fasziniert Sie an Romanen, die niemand mehr kennt? Albert C. Eibl: Vor allen Dingen die Möglichkeit, dem Vergessen Einhalt gebieten zu können - es in manchen Fällen sogar rückgängig zu machen. Mit diesem Anspruch möchte ich mit meinem Verlag eine offenkundige Lücke in der österreichischen Verlagslandschaft schließen.
profil: Gegenwartsliteratur sagt Ihnen nicht zu? Eibl: Doch, natürlich. Ich möchte in zwei Jahren eine neue DVB-Schiene eröffnen, die sich mit autonomen Werken der Gegenwart beschäftigt. Viele zeitgenössische Werke werden bereits nicht mehr wahrgenommen, obwohl sie erst fünf Jahre alt sind. Ich habe schon Manuskriptvorschläge von jungen Autoren, die wirklich gut sind.
profil: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob Sie ein Buch publizieren? Eibl: Ich verlege Bücher, von denen ich überzeugt bin, dass sie auch ein heutiges Lesepublikum ansprechen. Bücher also, die auch einen Leser im 21. Jahrhundert etwas angehen, ihn aufrütteln, zur Reflexion anregen. Bei den beiden Werken der Wiener Schriftstellerin Maria Lazar (1895-1948), die bereits im DVB Verlag erschienen sind, war für mich die Sache auf Anhieb klar: Lazar schreibt weder bequem noch massentauglich - doch was sie schreibt, das trifft meistens ins Innerste der gesellschaftlichen Realität und enthüllt dieses auf die denkbar schonungsloseste Weise. Es gibt übrigens noch einige weitere bislang unbekannte Romane und Theaterstücke der Autorin, die man wiederauflegen könnte.
profil: Was macht die Lazar-Titel "Die Vergiftung“ und "Die Eingeborenen von Maria Blut“ so lesenswert? Eibl: Lazar hat einen seltsam hellsichtigen Blick auf ihre Umwelt und die gesellschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die sich von Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Heraufdämmern des Nationalsozialismus vollziehen. In ihrem Debütroman "Die Vergiftung“ (1920) zeichnet sie das Lebensgefühl einer untergegangenen Zeit in eindrucksvoller Intensität nach. In ihren rhythmischen Sätzen schwingen angesichts der Oberflächlichkeit und Heuchelei ihrer Mitmenschen eine Empörung und eine Verletzlichkeit mit, die überzeugen und mitreißen - weil sie eben echt sind. Die "Eingeborenen“ wiederum stellen ein bitterböses Zeitpanorama dar. Lazar nimmt sich auch hier kein Blatt vor den Mund.
profil: Wie findet man vergessene Werke? Eibl: Vieles hängt vom Zufall ab. Maria Lazar war ein Glücksfund. Der Germanist Johann Sonnleitner machte mich auf die Autorin aufmerksam. Wer sich auf die Suche nach vergessener Literatur macht, wird immer fündig werden. In einem gut sortierten Antiquariat wird man eine Vielzahl von Werken finden, die nicht mehr verlegt werden.
profil: Welche Bücher dürfen wir guten Gewissens vergessen? Eibl: Mit einem Wort: schlechte.
Albert C. Eibl, 24, ist Verleger und Journalist. 2014 gründete er den Verlag DVB ("Das Vergessene Buch“), der sich auf das Wiederentdecken und Publizieren weitestgehend vergessener Literatur spezialisiert hat. Der gebürtige Münchner lebt und arbeitet in Wien.