Interview

Alexander Horwath: „Die Furcht ist verständlich, man darf nur nicht in ihr verharren“

In seinem Essayfilm „Henry Fonda for President“ spiegelt Alexander Horwath die Geschichte der USA an der Biografie eines Hollywood-Stars. Im profil-Gespräch analysiert er die konservative Wende, die Komplexität des Volks, die demokratischen Möglichkeiten und den Opportunismus der Trump-Günstlinge.

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Als US-Präsident machte der Schauspieler Henry Fonda (1905–1982) stets beste Figur: In Filmen wie „Young Mr. Lincoln“ (1939) und „Fail Safe“ (1964) gab Fonda den Machthaber staatstragend, besonnen, sensitiv. Im wirklichen Leben strebte er politische Ämter niemals an, betrachtete sich als bloß reproduzierenden Künstler, der stets die Ideen anderer darstellte. Alexander Horwath, 60, Ex-Viennale- und Filmmuseums-Direktor, ruft ihn nun trotzdem im Titel seiner ersten Regiearbeit zum Staatschef aus: „Henry Fonda for President“ ist ein aus zahllosen Filmsplittern, historischen Aufnahmen, Interviews und Reisebildern komplex konstruierter, epischer Kino-Essay, der entlang der Biografie des Hollywoodstars Fonda eine Geschichte der USA erzählt; eine mitreißende, reflexionslüsterne, über drei Stunden währende (aber bedeutend kürzer erscheinende) Geschichtslektion, die sich – via Fondas weitreichende Familienhistorie – aus dem 17. Jahrhundert ins späte 20. bewegt und dabei auch die unmittelbare Gegenwart beleuchtet.

Horwath selbst ist als Erzählstimme aus dem Off zu hören: Das ist konsequent, denn er setzt seinen Film mit persönlichen Erinnerungen an eine Parisreise im Sommer 1980 in Bewegung – wie er Fonda damals gleich dreimal im Kino erlebte, während ein ostdeutscher Stabhochspringer bei den Olympischen Spielen in Moskau seinen Triumph mit einer vielsagenden Geste begleitete und ein Präsidentschaftsanwärter namens Ronald Reagan sich in Position brachte. Es ist die gewissermaßen "paranoische" Montage dieses Films (Dramaturgie, Schnitt und Kamera: Michael Palm; künstlerische Mitarbeit: Regina Schlagnitweit), die alles mit allem zu verbinden scheint, dabei faszinierende Linien und Verbindungen aufspürt, die sonst verborgen blieben. Horwath hält die Zügel der Narration straff, erzählt - immer wieder rückbezogen auf Fondas Filmfiktionen und Familienleben – von Kolonisierung, Rassismus, Hollywood und Politik.

Horwath porträtiert Fonda, auch unter Verwendung eines nie zuvor gehörten "Playboy"-Interviews aus dem Jahr 1981, als "quintessential American", der in vielfacher Weise mit den Zwielichtzonen und Abgründen Amerikas verbunden war (er erlebte als Kind einen Akt der rassistisch motivierten Lynchjustiz) und der sich selbst nicht mochte, als Teil auch des amerikanischen Imaginären, des Traumlebens einer Nation. Fondas sorgsam gewählte Filmfiguren arbeiten sich an Atomangst, Populismus, Männlichkeitsfragen, Frontier-Geist und Gewalt ab, und auch jenseits des Kinos treiben den Künstler solche Fragen um. Am Ende wird Charles Ives' epochale Komposition "The Unanswered Question" erklingen: Die – genuin amerikanischen – Widersprüche in Existenz und Präsenz des Schauspielers Henry Fonda werfen Fragen auf, die sich nicht ganz zu Ende denken lassen. Aber schon der in diesem Film so beherzt unternommene Versuch, Antworten auf hochkomplexe Fragen zu finden, bietet das seltene Vergnügen sophistisch betriebener politischer und popkultureller Quellenforschung.

In Ihrem Film „Henry Fonda for President“ betrachten Sie die Geschichte Nordamerikas durch das Brennglas der Biografie und Karriere des Schauspielers Henry Fonda. Was wird dabei sichtbar?

Horwath

Die Historie auf Mikrozonen hin zu durchleuchten, fasziniert mich. Es gibt sehr verschiedene Arten, Geschichte aufzuzäumen und zu inszenieren: Aber es ist immer, dies- und jenseits der Kunst, eine szenische Darbietung geschichtlicher Vorgänge. Selbst wer sich jahrelang durch Aktenberge wühlt, steht am Ende vor der Aufgabe, etwas szenisch darbieten zu müssen.

Geschichte als Fiktion?

Horwath

Der Begriff ist gefährlich. Wenn man sich mit Faktengeschichte befasst, sollte man die Ergebnisse nicht Fiktion nennen, aber es stellen sich Fragen des Darbietungsmodus. Die „Zeit im Bild“ ist auch nur ein Darbietungsmodus der aktuellen Geschichte des heutigen Tages, und die ist um nichts weniger inszeniert als ein Roman. Dessen muss man sich bewusst sein.

Mit Skepsis kommt man ganz gut durch.

Horwath

Auch das ist ein Grund, warum mich Henry Fonda so interessiert: Er war jemand, der vor scheinbar „absoluten“ Wahrheiten immer zurückscheute. Er galt ja als ein Symbol des Integren, als der loyale, rechtschaffene, gute Amerikaner. Und mir gefällt das Wort Integrity, denn darin steckt das Integrale, etwas Ganzes, Rundes. Fonda mag in vielerlei Hinsicht integer gewesen sein in seinen politischen Anschauungen und Weltbildern, aber integral war er garantiert nicht. Fonda ließ den Blick in seine Abgründe, Brüche, Unstimmigkeiten zu, in das Unrunde, das Nicht-Integrale seiner Persönlichkeit.

Über Fonda wird gesagt, er habe seine emotionale Distanz sogar sich selbst gegenüber gehalten.

Horwath

Als Ehemann und Vater war er sicher kühl. Aber er war das eben auch zu sich selber; er hielt einen Riesenabstand zu der Vorstellung von sich als integralem Wesen.

Von der einstigen Sehnsucht nach einem „integren“ Präsidenten Henry Fonda zu dem in wenigen Tagen angelobten Präsidenten Trump: Wie konnte es so weit kommen?

Horwath

Es ist ein verrückter und signifikanter Zufall, dass Jimmy Carter ausgerechnet jetzt 100-jährig verstorben ist, jener Präsident, der im Jänner 1976 angetreten war, in dem Moment, als Fonda in einer US-Sitcom auftrat und dort gebeten wurde, sich der Präsidentenwahl zu stellen. Der Titel meines Films und die Aufzäumung dieser Utopie kommen aus dieser Fernsehsendung. Und aus diesem Ernüchterungsmoment in der amerikanischen Zeitgeschichte nach Nixon, nach Vietnam kam Jimmy Carter. Fonda selbst war übrigens vollkommen klar darin, niemals US-Präsident werden zu wollen. Er sagt es ganz explizit in einer Talkshow: „So sehr ich auch an eine Sache glaube, wäre es mir doch unmöglich, als ich selbst die politische Bühne zu betreten.“

Der Treppenwitz dieser Geschichte vom gefeierten Mann, der nicht Präsident werden könne, weil er eben bloß Schauspieler sei, besteht ja darin, dass wenig später Ronald Reagan Präsident wurde – und heute wieder ein Entertainer, eine Art böser Clown regiert.

Horwath

Natürlich ist das ein Treppenwitz. Aber das ändert nichts daran, dass Fonda trotzdem der Falsche gewesen wäre. Der Zeitgeist ließ damals noch zu, dass ein Außenseiter, ein religiöser Südstaaten-Erdnussfarmer mit einer ökologischen Mission gewählt werden konnte. Es ist faszinierend, dass diese mehr als 40 Jahre sich in der Gegenwart derart bündeln: Der Hundertjährige, der sicher progressivste US-Präsident seit Roosevelt, mehr noch als Obama, wird in dem Moment zu Grabe getragen, an dem der mit Garantie gefährlichste Präsident, der je diesen Job errungen hat, zum zweiten Mal gewählt wird.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.