Alien-Gemeinde: Polittheorie und Klangkunst beim Kremser Donaufestival
Blockterror und Black Techno: Das Donaufestival in Krems will in Konzerten, Performances und Ausstellungen die Energie von Entfremdungsgemeinschaften feiern.
Wer ist Teil der „Community of Aliens“, die beim Donaufestival 2024 beschworen wird? Ist das eine Kulturen überbrückende Gemeinschaft der einander Fremden – oder erklären sich die als fremd Gebrandmarkten gegen die Missbilligung der Mehrheitsgesellschaft miteinander solidarisch?
Beides stimmt, wenn es nach Thomas Edlinger geht, der das Mehrspartenfestival in Krems leitet. Seine Veranstaltung, die sich traditionell über zwei lange Wochenenden zieht (diesmal: 19.–21. und 26.–28. April), verhandelt auf dem Terrain der Kunst – musikalisch und performativ, in Debatten, Bewegtbildern und Ausstellungen – Politisches und Soziales ebenso wie Philosophisches und Mediales.
Der Begriff „Community of Aliens“ sei „bewusst mehrdeutig gehalten“, sagt Edlinger im profil-Gespräch: Es gehe um „togetherness und Freundschaft“, um Möglichkeiten des Zusammenseins mit jenen eben, die ganz anders seien als man selbst. Und er zitiert den israelisch-deutschen Denker Omri Boehm, der sich unlängst dafür ausgesprochen hat, „die Brüderlichkeit unter Gleichen zu überschreiten zugunsten einer Freundschaft mit Anderen“. Diese Idee könnte, so Edlinger, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Konfliktlagen, produktiv werden: „Wir müssen uns ja fragen, wie wir den aktuellen Blockbildungen, die uns unentwegt zur Parteinahme für das eine und gegen das andere nötigen wollen, im künstlerischen Feld etwas Drittes, Unbestimmtes entgegensetzen können.“
Regierungsprosa, pikant
Das Leitmotiv des Donaufestivals entbehrt in einem von der FPÖ mitregierten Bundesland nicht einer gewissen Pikanterie. Wenn Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner in ihrem Vorwort zum Programmheft davon schreibt, dass am Donaufestival nun „das Gemeinsame im Fremden unter die Lupe genommen“ werde, kommt man kaum umhin, die Ironie solch politwolkiger Regierungsprosa wahrzunehmen. Mikl-Leitner weiter: „Das diesjährige Leitmotiv lädt zum Nachdenken ein, wie eine Gemeinschaft, die nicht aus Gleichen, sondern aus einander Fremden besteht, funktionieren könnte.“ Man möchte gar nicht wissen, wie eine Politikerin, deren Stellvertreter gern von „Zwangsislamisierung“ fantasiert und die selbst dafür eintritt, „integrationsunwillige“ Familien mit Geldstrafen zu belegen, dies genau gemeint haben könnte.
Beim Donaufestival dringt man in das Thema der alienness, der Fremdheitserfahrung, lieber tiefer ein: In Sylvia Eckermanns und Gerald Nestlers „Mixed Reality“-Kunstprojekt „Like a Ray in Search of its Mirror“ etwa wird der ökologisch destruktive Mensch als gleichsam außerirdischer Aggressor von einem Musik-, Theorie- und Performance-Kollektiv unter die Lupe genommen. Die südafrikanische Künstlerin Candice Breitz lässt indes in ihrer Videoinstallation „Whiteface“, die in der Kunsthalle Krems zu sehen sein wird, Stimmen hören: Indem sie weiße Menschen über weiße Privilegien, weiße Empfindlichkeit, weiße Wut und weiße Schuld sprechen lässt, entfessle sie „ein Porträt des Weißseins im Zustand der Panik“, so Breitz. Ihre eigene gebleichte Präsenz – weißes Hemd, weißblondes Haar, tote Augen – dient dazu, den weißen Rassismus als Horrormotiv zu entlarven. Am 21. April wird Breitz zudem im Kino im Kesselhaus einen Vortrag zum Thema halten. Titel: „Some of My Best Friends are White“.
Der Begriff der Entfremdung hat, siehe Marx, eine lange linke Theoriegeschichte. „Inzwischen gilt die Entfremdung aber nicht mehr nur als das schlechthin Böse, sondern auch als eine Produktivkraft, als Umgangsweise mit einem Leben, das so oder so nicht mehr authentisch sein kann“, erklärt Edlinger. „Die Entfremdungserfahrung in den Künsten ist heute eine Ressource, daraus können innovative Schübe entstehen – etwa im afrofuturistischen Black Techno, der von der Idee ausgeht, dass der Umgang mit den Maschinen strukturelle Ähnlichkeiten mit der Behandlung schwarzer Menschen in den Jahrhunderten der Sklaverei aufweist.“
Das legendäre Detroiter Elektronikmusikprojekt Dopplereffekt und der Black-Techno-Aktivist DeForrest Brown Jr. werden diesbezüglich Vorschläge einbringen, über schwarze Körper im rassistisch organisierten Industriekapitalismus nachdenken.
Wie sehr Race und Weltpolitik zusammenhängen, verdeutlicht auch Christian Guerematchis Videoarbeit „Blaq Tito“: Sie bezieht sich auf die fiktive Figur eines schwarzen Tito-Wiedergängers. Der jugoslawische Präsident war einst Mitgründer der Bewegung der Blockfreien Staaten, er initiierte Kooperationen seines Landes mit afrikanischen Staaten, vor allem Ghana.
Das Donaufestival stelle „unmögliche Fragen“, sagt Thomas Edlinger. Wenn der Westen sich nun in die Rolle des Widerparts eines russisch-chinesischen Blocks gedrängt sehe, wie damals, im Kalten Krieg, so sei dies „keine erfreuliche Aussicht angesichts viel dringlicherer Probleme, die man längst gemeinschaftlich angehen müsste: die Fragen von Ökologie, KI, Energieversorgung. Das alles sind Themen, die nur transnational, in einem großzügig gefassten Gemeinschaftssinn lösbar wären. Nicht mit der Idee der Imperien des 19. Jahrhunderts.“
Politische Provokation gehört am Donaufestival zum Grundton: Die österreichische Kunstinterventions-Truppe Total Refusal beispielsweise, eine gemäß ihrer Selbstdefinition „pseudomarxistische Medienguerilla“, konzentriert sich auf apokalyptische Gaming-Welten, destilliert daraus filmisches „Agitainment“. In einer Live-Gaming-Lecture namens „Sons and True Sons“ wird sie den – in einem US-Videospiel vorweggenommenen – Sturm auf das Kapitol im Jänner 2021 thematisieren.
Neben der Spur
Dem vielschichtigen Musikprogramm des Donaufestivals, das heuer von den schottischen Noise-Poppern The Jesus and Mary Chain angeführt wird, kann man sich allerdings auch ohne Theorieüberbau gewinnbringend nähern: Aber die unorthodoxen elektronischen Kaskaden des britischen Duos Autechre oder die Klangattacken des HipHop-Trios clipping. aus Los Angeles erzählen ebenfalls, wenn man so will, von Entfremdung und Gegenläufigkeit.
Denn auch die Normen des „Fortschrittlichen“ kann man subversiv unterlaufen und kühner denken, „gewissermaßen produktiv neben der Spur liegen“, wie es Edlinger formuliert. Die Musikschiene seines Festivals sei „als ein loses Netz von Bezüglichkeiten gedacht, nicht als strenges Korsett. Es geht letztlich um Bandbreite und Vielfalt, auch um generationelle Diversität.“
Der französische Philosoph Fréderic Neyrat hat den „Kommunismus des Fremden“ theoretisiert, das aktuelle Erdzeitalter nennt er lieber „Alienozän“ als Anthropozän. Denn die radikale Fremdheitserfahrung sei die Signatur unserer Epoche. Das von Neyrat herausgegebene Magazin „Alienozene“ war ein maßgeblicher Einfluss für die Entwicklung des diesjährigen Themas, sagt Edlinger.
Die Angst vor dem Unbekannten ist kontraproduktiv, wie das diesjährige Donaufestival facettenreich versinnbildlicht. Der Respekt vor dem Fremden und die Faszination für das Andere führen zu erhöhtem Weltverständnis und einem besseren Leben. Schon Pop-Superstar David Bowie, der die Rolle des vom Himmel Gefallenen verinnerlicht hatte, plädierte für Empathie im Umgang mit dem außerirdisch Anmutenden: „Loving the Alien“, das ist der entscheidende Schritt aus der Enge der Provinzialisierung und den Sackgassen der Selbstsucht.
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.