Klassik

Alles dreht sich: Wiens Strauss-Jahr 2025

Das Strauss-Jubiläumsjahr hat vielstimmig begonnen. Ein Lokalaugenschein auf den Spuren des Wiener Walzerkönigs in der Silvesternacht und im Neujahrskonzert.

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Strauss kommt man nicht aus. Zumindest nicht, wenn man mit Austrian Airlines fliegt. Ein Strauss-Walzer tönt da aus den Flugzeuglautsprechern, in die Welt soll schon frühmorgens gewalzert werden, im noch völlig menschenleeren Flughafen Schwechat: Um-ta-ta-Geträufel als Tourismus-Sedativum.

Kein Mozart, kein Beethoven, kein Brahms lassen das Wiener Herz so heftig schlagen wie der Strauss-Schani und seine Dynastie. Deshalb soll sein 200. Geburtstag (am 25. Oktober 2025) heuer mit Pomp und 22-Millionen-Euro-Etat als bombastische Lustbarkeit zelebriert werden. Und die Party hat bereits in der Silvesternacht begonnen.

Am Rathausplatz wurde mit der Pummerin 2025 eingeläutet, mit Strauss und Braus auch das Walzerinferno als Festjahr. Martin Grubinger, eigentlich frühpensionierter Percussion-Weltstar, hat drei Monate lang zahllose Hobbymusiker aus allen Bezirken via App zu einer Band verschmolzen, die den Donauwalzer in neuem Gewand klöppelte und sang. Dies stand am Beginn des Wiener Silvesterpfads, der an acht Musikstationen quer durch die Innere Stadt 800.000 Feiernde vereinte. Am Graben drehten sich unter Tanzschulanleitung Walzerpaare. Das viele Jubiläumsgeld soll, so Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, vor allem „ein Trampolin“ sein, um die Menschen dieser Stadt der Vielfalt dank des toten Rhythmusbeschleunigers friedlich zu vereinen.

Was ja immer schon der Strauss’sche Lebenszweck war, den nun als städtisch-offizieller Vergnügungsbeauftragter, als Chef des Strauss-Festjahrs Roland Geyer, langjähriger Intendant des Theaters an der Wien, mit 65 Produktionen an 69 Locations zu neuer Blüte bringen will. Und all dies soll endlich in der angeblich korrekten Schreibweise mit dem doppelten S am Namensende passieren. Dabei hatte die Musikerfamilie mit dem scharfen ß doch so ein wunderbares Unterscheidungsmerkmal zum Bayern Richard Strauss und zu Oscar Straus, dem Wiener König der silbernen Operette. Egal.

„Argloser Glückseligkeitsverschwender“

Karl Kraus nannte Johann Strauss einen „arglosen Verschwender so vieler Glückseligkeiten“, und selbst der ewig eifersüchtige Richard Wagner bescheinigte ihm, „der musikalischste Schädel der Gegenwart“ zu sein. Strauss war ein Popstar, lange bevor das Wort erfunden war. Einer, der Geld scheffelte, seiner Nation eine klangliche Identität gab, der Welt einen Rhythmus schenkte und ihren ersten Schlager erfand. Ein Lied, uraufgeführt am 15. Februar 1867 im Dianabad am Donaukanal. Eine Alutafel erinnert dort heute daran, was hier seinen Anfang nahm, damals noch mit den tiefsinnigen Textzeilen „Wiener, seid froh! Oho, wieso?“

Der Walzer „An der schönen blauen Donau“ wurde zum resistentesten der 479 Strauss-Werke – und zu Österreichs inoffizieller Nationalhymne. Der erste Komponist der zivilisierten Welt dirigierte seinen globalen Hit in Gastgärten und auf Hofbällen. Elf Sommer lang musizierte er ihn mit seinem eigenen Orchester im zaristischen Russland, bei den Nachmittagstees im Pawlowsk, mit 400 Geigen aufgezwirbelt auch in New York. Und alles tanzte, drehte und vergaß sich im Wirbel.

Die „Fledermaus“, die das Operetten-Genre 1874 zu ihrer frühen Vollendung führte, erschien kurz nach einem brutalen Börsenkrach und einer Cholera-Epidemie – und hat sich schnell in die DNA Wiens gefräst. Deshalb gab es natürlich auch zum Jahreswechsel das frivole Flattertier an der Wiener Volks- und Staatsoper gleich doppelt: zum 610. Mal am Währinger Gürtel in der durch diverse Asiengastspiele leicht abgenutzten Inszenierung von 1993, zum 188. Mal im Haus am Ring in der pompös-staubigen Lustbarkeit von 1979. In der Volksoper war mehr Schmäh, präzise Ensemble-Pointenkunst mit einem wunderbaren Walzerdrechsler in Gestalt von Alfred Eschwé am Pult. Und mit einer zur Fröschin mutierten, politfrechen Gerichtsdienerin: Katharina Straßer heimste für zu viele Kickl-Pointen sogar Buhs ein.

Das Sirren der Geigen

In der Staatsoper war mehr Glanz, da sirrten mondän die philharmonischen Geigen, da regierte die Opulenz, auch wenn die Gesangskräfte eher isoliert vor sich hin alberten. Im Konzerthaus läuteten die Wiener Symphoniker um Punkt Mitternacht das Jubiläumsjahr zum „Anpfiff mit Strauss“ ein. Deren Chef Petr Popelka wünschte auf gut Tschechisch „Prosit“, angestoßen wurde im Publikum mit ausgeteilten Plastiksektflöten und Piccolo im Papiersackerl. Die Sphärenklänge des Kunstpfeifers Nikolaus Habjan wallten durch den Saal, und die als Barockprimadonna angetretene Ankathie Koi grölte Strauss’ Schwipslied, ehe sie aus ihrer Hochperücke Bierdose und Wurstsemmerl zog.

Am Neujahrsmorgen, pünktlich um 11.15 Uhr per ORF in 90 Länder digital verschickt, stand schon der publikumsträchtigste Strauss-Jahreshöhepunkt an: das 85. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Wieder keine Frau am Pult, sondern – zum siebenten Mal – der 83-jährige Riccardo Muti, der dieses Orchester seit über 50 Jahren dirigiert. Dafür war hier erstmals Damenwahl in der Musikzusammenstellung – mit dem Werk einer Zwölfjährigen, einem neu orchestrierten, netten Ferdinandus-Walzer der Komponistin Constanze Geiger (1835–1890).

Diesmal waren die leisen Stellen die schönsten des Neujahrskonzerts, gegründet unter dem NS-Regime, das den jüdischen Strauss-Urgroßvater aus dem kirchlichen Geburtsregister wegfälschte (in der Jubiläumsausstellung im Theatermuseum sind Original und Kopie zu sehen): Melancholisch süß schwebte das Klarinettensolo in der „Zigeunerbaron“-Ouvertüre, und den venezianischen Lagunenwalzer legte der Apulier Muti säuselnd dezent an. Am Ende wünschte der nachdenkliche Dirigent der ganzen Welt „Frieden, Brüderlichkeit und Liebe“.

Praterstraße, Pärchensauna

Reise zu den einstigen Wirkungsstätten des Johann Strauss – und zu den laufenden Jubiläumsausstellungen.

Abgesehen von den Gräbern der Tanzmusikfabrikantendynastie Strauss auf dem Zentralfriedhof, Feld 32A im Musikerhain, und der auf Betreiben der dritten Gattin des Jubilars 1921 errichteten güldenen Statue im Stadtpark erinnert im heutigen Wien wenig an Johann Strauss. Seine letzte, feudale Residenz im 4. Bezirk, in der Johann-Strauß-Gasse, wo seine Witwe Adele noch 30 Jahre lang als „Walzerkönigin“ residierte, wurde von Weltkriegsbomben zerstört. Im Hof des Nachfolge-Sozialbaus steht eine anrührend hässliche Strauss-Statue aus Beton. Um die Ecke wartet die „Pärchensauna Harmony“. Die Hietzinger Villa gegenüber der Schönbrunner Schlossmauer, in der Strauss seine „Fledermaus“ komponierte, ist in Privatbesitz; eine Zeit lang hat dort die Sopranistin Anna Prohaska mit ihrer Familie gewohnt; Strauss’ Geburtshaus hinter dem Volkstheater steht schon lange nicht mehr. Bleibt die elegante Etagenwohnung in der Praterstraße, wo das Wien Museum eine Gedenkstätte eingerichtet hat. Links unten lockt das Café „3/4-Takt“ mit Johann-Strauss-Schnitzeln. 
Der Wiener macht eben sein Geschäft. Eine immersive Schau namens „Johann Strauss – New Dimensions“ wurde unlängst im ehemaligen Verkehrsbüro bei der Wiener Secession eröffnet. Auf rund 800 Quadratmetern und zwei Etagen wird für 29 Euro in sieben Akten Leben und Karriere des Meisters erzählt: routiniert, beengt, unlustig. 
Lieber raus nach Döbling, ins Casino Zögernitz, dem einzigen noch authentischen Vorstadt-Ort, an dem Strauss einst aufspielte. In dem schön renovierten Biedermeiersaal gibt es Konzerte, gutes Essen und im ersten Stock eine witzige, liebevolle Strauss-Ausstellung – ohne Originale, aber sachkundig gemacht. Weniger überraschend wird der Komponist im Theatermuseum aufbereitet. „Johann Strauss – die Ausstellung“ ist wie ihr Titel: gediegen, mit vielen Originalen bis hin zur „Fledermaus“-Partitur, aber eigentlich nur ein Reload des 1999, zum 100. Todestag im Wien Museum abgehaltenen Biografie-Parcours. 

Johann Strauss Sohn starb 1899 übrigens als evangelisch-deutscher Bürger von Sachsen-Gotha – um nach der Affäre seiner zweiten Frau mit einem Theaterdirektor seine dritte, die äußerst geschäftstüchtige Adele, heiraten zu können.