Alter Wilder: Der Maler Hubert Scheibl
"Einmal verdickt sich die Farbe, um warme Erde zu werden, urbar gemacht und bepflügt durch den Künstler, während die Materie selbst noch vibriert, sich ausdehnt, sich zusammenzieht, einmal entzündet sie sich, flammt auf, verzehrt sich in plötzlicher Glut, die das Herz in der Brust zum Springen bringt und nach Tröstung durch eine Umarmung verlangt." Die Kunsthistorikerin Marilena Pasquali scheint von der Malerei Hubert Scheibls regelrecht überwältigt worden zu sein. Es kommt nicht selten vor, dass die gestisch-abstrakten Werke des 1952 in Gmunden geborenen Künstlers derart blumige Assoziationen hervorrufen. Wenn die Kunst selbst ungegenständlich ist, kann in sie sehr viel hineingelesen werden.
"Die Offenheit ist Teil meiner Arbeit", sagt Scheibl, der in den 1980er-Jahren als einer der "Neuen Wilden" gefeiert wurde und noch heute zu den wichtigsten lebenden Vertretern österreichischer Malerei gehört. "Allerdings führt diese oft auch zu einer Beliebigkeit in der Interpretation. Damit tut man sich als Künstler schon schwer." An diesem Nachmittag sitzt Scheibl an einem langen Tisch in seinem Dachatelier in Wien-Neubau. Sein Reich erstreckt sich über mehrere großzügige Räumlichkeiten, in denen eine charmante Mischung aus Ordnung und Chaos herrscht. Eine Fensterreihe gibt den Panaromablick auf die Stadt frei, von oben strömt Licht in den Raum. Auf dem Gang stapeln sich Kisten von Flaschen - es handelt sich dabei nicht um Mineralwasser; man ahnt, dass hier gern auch mal gefeiert wird. Afrikanische Statuen verteilen sich neben Haufen von Büchern; asiatische Papierfiguren - Geschenke von Scheibls langjährigem Freund, dem Schriftsteller Christoph Ransmayr - hängen an der Wand. Tierschädel, Hüte, Kinderfotos, elektronische Musikgeräte. Auch eine Sammlung botanischer Modelle besitzt der Künstler, sie wurden im 19. Jahrhundert von den Gebrüdern Brendel hergestellt. Scheibl ist seit Langem von ihnen fasziniert: "Die Brendel-Modelle sind Kleinkunstwerke, in einer gewissen Absichtslosigkeit entstanden. Ursprünglich dienten sie ja dem Schulgebrauch. Es sind schöne Objekte, erinnern mich an Architekturmodelle. Sie werfen die Frage auf, wie viel die Natur schon für die Kunst vorgebastelt hat." Als er einst auf diese faszinierenden Kleinskulpturen stieß, habe er sich an seine eigenen Arbeiten erinnert gefühlt, so Scheibl.
Vielfältige Techniken
Auf einem seiner Bilder schwebt eine gigantische bunte Schleife im dunklen Raum. Ein anderes zeigt eine silberne Pfütze. Scheibls Techniken sind vielfältig. "Die Silberbilder habe ich am Dach gemacht. Nicht nur, weil die Farbe so stinkt, sondern auch, weil der Wind die Farbe bewegt. Dadurch entstehen zufällige Verläufe - auch wenn ich das ein bisschen lenken kann." Auf einem anderen Bild ritzte er grafische Notationen in eine weißliche Schicht: "Hier habe ich ganz sparsame Eingriffe gemacht. Mich hat interessiert, wie wenig ein Bild braucht, um lebendig zu werden." Ein gewisses Risiko geht er dabei stets ein: "Es ist unmöglich, etwas zu korrigieren. Es ergäbe keinen Sinn." Das hat Konsequenzen: Eine Datei in seinem Computer heißt "Ruinen" - darin finden sich Fotos von Werken, die er zerstörte. Sie genügten seinen Ansprüchen nicht. Früher, meint er, war er noch strenger mit sich: "Aus zeitlichem Abstand muss ich ehrlich sagen: Manche Werke waren wirklich schlecht. Bei manchen war ich aber auch überkritisch, habe ihre Qualität nicht gesehen."
Für seine Ausstellung in der Orangerie des Belvedere, in der er Arbeiten der vergangenen Dekade zeigt, hat Scheibl einen ausgeklügelten Parcours entworfen, der das Publikum unvermittelt auf großformatige Gemälde prallen lässt, ihm dazwischen aber Pausen gönnt. Seine zeitlosen Malereien muss man sich erst erschließen. Sie entstehen im Pingpong-Spiel mit dem Betrachter, man muss sich ihnen nähern und sich von ihnen entfernen, sie regelrecht umkreisen. Sie entwickeln jedenfalls eine beträchtliche Sogwirkung - auch ohne Herzsprung und Umarmungstrost.
Unteres Belvedere, Rennweg 6,1030 Wien: Hubert Scheibl. Fly. Eröffnung: Dienstag, 8. November, 19 Uhr. Bis 5. Februar 2017. belvedere.at Galerie Charim, Dorotheergasse 12/1,1010 Wien: Hubert Scheibl. Fly Stanley Fly. Eröffnung: Dienstag, 15. November, 19 Uhr. Bis 14. Jänner 2017. charimgalerie.at