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Amazon-Prime-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo": Morbus Retro-Chic

Der Leidensweg der Christiane F. wird in der Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" treuherzig erneut gefeiert.

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Ein 25 Millionen Euro schweres deutsches Prestige-Projekt widmet sich nun, genau 40 Jahre nach Uli Edels sehr passabler Verfilmung des Christiane-F.-Bestsellers "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", wieder diesem Buch. Ab Freitag dieser Woche wird die achtteilige Serie (Regie: Philipp Kadelbach) auf Amazon Prime Video abzurufen sein, aber sie bringt motivisch wie filmkünstlerisch wenig Neues: Großaufnahmen von erhitzten Heroinlöffeln und Nadeln in Venen, 08/15-Szenen von häuslicher Gewalt und überschießender Jugend. Neben Jana McKinnon, die Christiane F. ein wenig zu treuherzig anlegt, geben sich fünf weitere Pseudo-12- bis 15-Jährige (sie sind tatsächlich alle Anfang 20) die Ehre, den gemeinsamen Absturz in Verwahrlosung, Prostitution und Heroin nachzuspielen.


Dabei ist der Stoff untadelig, denn er hat verbrieften historischen Wert: Den verlorenen Teenagern Deutschlands blieb in den bleiernen Jahren zwischen 1968 und der kathartischen Punk-Ära, die 1976 begann, nur die Abzweigung in die von den einstigen linken Bewegungen glorifizierten Drogen. Das Problem dieser Neuauflage des-gar nicht "soziologisch" gedachten-autobiografischen Selbstversuchs der Christiane F. ist ihr Mangel an Dringlichund Glaubhaftigkeit. Und ihre Ahistorizität.


Die Musik und das Imago David Bowies sind wie bereits in Edels Film, der noch auf den legendären Briten selbst als Darsteller zurückgreifen konnte, dauerpräsent. Die Trostlosigkeit, die man so dringend bräuchte, wird trotzdem nicht plastisch. Alles aufgeräumt und abgezirkelt. Die Disco-Euphorie ist die einer späteren Zeit, die pumpenden Electro-Tracks, die durch den Tanztempel böllern, sind den 1970er-Jahren absichtlich weit entrückt.

Das Bemühen, "zeitlos" zu erzählen, die Chronologie "interessant" zu brechen, führt nicht weit. Und die Serie leidet unter dem im deutschen Kino-Mainstream permanenten Überdruck extrabunter Kostüme, unter dem Morbus Retro-Chic (siehe "Feuchtgebiete", "Lindenberg!", "Der goldene Handschuh", "Enfant terrible" etc.).Darüber hinaus herrschen hier bloß TV-Biedersinn und Daily-Soap-Dramatik.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.