Aus dem Weltall: Andreas Dorau veröffentlicht seine Erinnerungen
Mit einem Spielzeugraumschiff kam er an, direkt aus dem Weltall der Neuen Deutschen Welle (NDW). Im Sommer 1981 war das, als er 17-jährig, mit erbsgrün geschminktem Gesicht, winkend und sinister grinsend, in einem Kulissendorf aufsetzte, um Sekunden später im Bildhintergrund des Amateurvideoclips einen eckigen New-Wave-Tanz mit sich selbst zu wagen. Ein desinteressierter Mädchenchor, genannt "Die Marinas", gab leiernd seine Geschichte wider: die Fabel des schönen jungen Mannes vom andern Stern, der - weil er gar zu sehr begehrt wird - die Erde wieder hinter sich lassen muss, mit freundlicher Roboterstimme aber seine baldige Wiederkehr ankündigt.
"Hans Albers der 1980er-Jahre"
Das ist die Urszene des Hamburger Pop-Alien Andreas Dorau: der als Schulprojekt entstandene SciFi-Ohrwurm "Fred vom Jupiter", als Single erschienen auf dem Düsseldorfer Indie-Label Ata Tak. Den Erfolg, der über Dorau daraufhin hereinbricht, nennt er heute "traumatisierend". Er reagiert mit einer Kunst der subtilen Absurdität: Sein Debütalbum nennt er "Blumen und Narzissen", vom Cover aus lächelt er einem sehnsüchtig im "Bravo"- Stil entgegen. Die Medien sehen in dem Teenager den "Hans Albers der 1980er-Jahre", tatsächlich aber ist er näher am konzeptuellen Schlagerfuturismus von befreundeten NDW-Dissidenten wie Der Plan und Palais Schaumburg. Doraus eigentliches Debüt hat da ohnehin niemand wahrgenommen: Die bereits im März 1981 veröffentlichte EP "Der lachende Papst" entsteht eher zufällig, weil er Gitarrenunterricht bei Palais-Schaumburg-Gründer Holger Hiller nimmt, der seinem wenig begabten Schüler aus Langeweile zeigt, wie man mit einer Vierspur-Bandmaschine Musik macht.
So beginnen die Grenzen zwischen Pop und bildender Kunst früh zu verschwimmen. Martin Kippenberger-Intimus Albert Oehlen, mit dem Dorau 1982 im Hamburger Künstlerhaus eine Krachnacht namens "Evergreens of Psychoterror" konzipiert, gehört ebenso zu seinen Mentoren wie die Berliner Künstlergruppe Die tödliche Doris. Er treibt sich im abschüssigen Gelände zwischen Kunst und Unterhaltungsmusik herum: ein Traumtänzer, der Projekte verfolgt, die niemand zuordnen kann, und der wie ein Kind Musik einspielt, die lästig und faszinierend zugleich erscheint.
Die Geschichten seines schrulligen Lebens breitet Andreas Dorau nun in einem autobiografischen Erzählband aus, den er gemeinsam mit Sven Regener, dem schreibenden Mastermind der Band Element of Crime, verfasst hat. Memoiren sind es nicht, die sich in "Ärger mit der Unsterblichkeit" finden, eher eine lose Sammlung verstreuter Anekdoten aus dem Dorau'schen Leben. Er sei nicht darum gegangen, "geschwätzig und larmoyant das eigene Leben auszubreiten" ("erst mal 50 Seiten über die glückliche Kindheit bei Tante Mimi und dann im Klageton die Verhältnisse kritisieren?"), sondern Storys ohne große stilistische Raffinesse wiedergeben, hart an den Fakten bleiben wollen.
"Ein zweites Mal aufgeblüht"
Im Retro-"Café Espresso" an der Wiener Burggasse blickt Andreas Dorau, 51, treuherzig in den Raum und berichtet von seinen beiden "Erweckungserlebnissen": Ende der 1970er-Jahre habe er den deutschen Musik-Underground kennengelernt - ein Jahrzehnt später stößt er auf Techno und House, "wo erneut Nicht-Musiker so taten, als seien sie Musiker. Es ging plötzlich nicht mehr um Komposition und musikalisches Handwerk, man gründete eigene Labels. Da bin ich ein zweites Mal aufgeblüht." Die Klischeeform des Schlagers ist seinen Liedern, die er mit leicht quäkender Stimme intoniert, bis heute eingeschrieben: In der Frühzeit der NDW habe man die alten Schlagersingles neu entdeckt, "aber ohne sie zu ironisieren". In den Tagen nach dem Punk war diese Attitüde nicht salonfähig. "Wir fanden aber im Schlager der 1950er- und 1960er-Jahre Juwelen." Diese Geste der respektvollen Aneignung des kulturell scheinbar Wertlosen, der ernsten Umarmung des Kitsches ist neuerdings wieder sehr schick: Leute wie der Schweizer Liebesschwulst-Spezialist Dagobert und der deutsche Banalitätsmeister Friedrich Liechtenstein wildern heute in ähnlichen Territorien wie einst Andreas Dorau. Als Musiker hat sich dieser indes nie betrachtet. Auch der Begriff "Künstler" behagt ihm nicht. "Vermutlich waren meine Interessen der Kunst einfach sehr verwandt. Und was bin ich denn nun? Etwa Buchautor?"
Wenn ich mich 24 Stunden täglich nur mit mir befasste, täte das meiner Seele nicht gut
Nach zwei Alben und einer Handvoll Singles macht Dorau 1984 vorläufig Schluss mit Musik, inskribiert an der Münchner Filmhochschule, wo er 1992 mit der TV-Show-Travestie "Schlag dein Tier" seine Abschlussarbeit vorlegt. Er beginnt als Videoberater zu arbeiten, auch aus Sehnsucht, "kreativ zu sein für andere Leute, in die zweite Reihe zurückzutreten", was er übrigens bis heute tut: "Wenn ich mich 24 Stunden täglich nur mit mir befasste, täte das meiner Seele nicht gut."
1988 macht er - als Andreas Dorau und Die Bruderschaft der kleinen Sorgen - mit dem Album "Demokratie" einen halbherzigen Anlauf zurück zur Musik, erkennt aber, dass er auf "Bandkram" keine Lust mehr habe und sowieso bereits alles gesagt und erreicht sei. Erst die Entdeckung der technoiden neuen Dancefloor-Musik führt 1992 zur Veröffentlichung seines vierten Albums. Dessen Erfolglosigkeit hält Dorau nun nicht mehr davon ab, weiter zu produzieren - zwar alles andere als auf Hochdruck, aber doch mit einer gewissen Konsequenz. Fünf weitere Tonträger sind seit 1994 entstanden, der jüngste heißt "Aus der Bibliotheque" (2014) und enthält Liedgut von entwaffnender Naivität mit bisweilen gruseligen Untertönen: Songs vom Eintreiben des Flaschenpfandes, von Bienen am Fenster und Leichenteilen in Plastiksäcken. Und man erkennt: Dieser Mann ist nicht zwangsoriginell, sondern naturbizarr.
In Hamburg, der Stadt seiner Kindheit, lebt Andreas Dorau immer noch; morgens gehe er "wie ein Hanseat" aus seiner Etagenwohnung zur Arbeit, setze sich an den Schreibtisch, den ihm Anwaltsfreunde überlassen hätten, und warte darauf, dass ihm Ideen begegnen. Suchen dürfe er nicht, da verkrampfe er sich nur unnötig. Nervös raucht er eine Zigarette nach der anderen und erzählt in stolpernden Wortkaskaden aus einem Leben, das seit der Ankunft jenes Spielzeugraumschiffs in der Kulissenwelt des Meta-Pop mehr als ein bisschen außerirdisch erscheint.
Andreas Dorau, Sven Regener: Ärger mit der Unsterblichkeit Galiani Berlin, 192 Seiten, EUR 17,50