Angriff & Verteidigung: Kunst und Kultur in den Augen der Rechten
Sie texten Schlager neu, rappen gegen Homosexualität und propagieren Kunst fürs Volk: Welchen Begriff machen sich Europas rechte Kräfte von der Kultur?
Freitagnachmittag, zwei Tage vor der EU-Wahl, Abschlusskundgebung der FPÖ am Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten. Auf der Bühne müht sich die John-Otti-Band ab, mit einer Mischung aus volkstümelndem Pop, Boney M., amerikanischer Rockmusik und einer dramatisch geschmetterten Zucchero-&-Pavarotti-Hommage Stimmung aufkommen zu lassen, aber mehr als knapp 100 Unentwegte lassen sich nicht dazu hinreißen, hier länger zu verweilen und ihre rot-weiß-roten Papierfahnen zu schwenken; dabei haben sich die ranghöchsten Scharfmacher der Freiheitlichen als Redner angekündigt: Wien-Chef Dominik Nepp, Bundesparteiobmann Herbert Kickl und Europa-Spitzenkandidat Harald Vilimsky wollen hier und heute ihre Sicht der Dinge verkünden, den Kampf für die „Festung Österreich“ aufnehmen.
Es erscheint nicht ganz falsch, diesen Nachmittag auch als Kulturveranstaltung zu begreifen; denn bekanntlich gehört Kultur zu den zentralen Kampfbegriffen der rechten Kräfte Europas. Ein berüchtigtes Wahlplakat der Wiener FPÖ demonstrierte vor bald 30 Jahren die geradezu libidinöse Beziehung der Rechten mit der Gegenwartskunst: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Peymann … oder Kunst und Kultur?“, stand darauf zu lesen, und weiter unten hieß es noch: „Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler“.
Heute geht es in den Köpfen und Wahlprogrammen der Rechtspopulisten vor allem um die gefürchteten „anderen“ Kulturen, oder gar, wie es Dominik Nepp am Viktor-Adler-Markt so tragikomisch formulierte: um das Problem, das Menschen aus „kulturfernen Ländern“ darstellten. Die Kurzschlüsse der Neuen Rechten lassen zu, dass eine imaginierte „kulturelle Ferne“ zur „Kulturferne“ verballhornt wird. Aber kleine und größere Unschärfen sind hier kein Problem: „Noch immer kommen Millionen illegale Migranten tagtäglich zu uns ins Land“, bellt Petra Steger, Listen-Zweite der EU-FP, von der Bühne aus in Richtung Viktor-Adler-Markt ins Mikrofon. Niemand stößt sich am Surrealismus dieser Aussage, vermutlich weil niemand wirklich zuhört. Es geht hier nur um Selbstvergewisserung, um Applaus für Nationalismus, Xenophobie und „Remigration“, die Details sind nebensächlich.
Gerichtliche Gegenwehr
Die Kultur der Rechten, das ist auch eine Geschichte der Vereinnahmung. Der deutsche Schlager-Superstar Helene Fischer verklagte 2015 die rechtsextreme NPD, die den Song „Atemlos durch die Nacht“ bei Wahlkampfveranstaltungen gespielt hatte. Die Sängerin gewann. Im Jahr davor hatte die NPD bereits gegen die Band Wir sind Helden eine Niederlage vor Gericht erlitten. Auch Rainhard Fendrich und die Toten Hosen wehrten sich erfolgreich gegen die Beschallung des FPÖ-Anhangs mit Liedern wie „I Am From Austria“ oder „Tage wie diese“ in Bierzelten und auf Marktplätzen.
In der Musik findet zusammen, was die Heimatverbundenen, die Kulturnostalgiker und die Stammtischnörgler vereint: Volksmusiker wie Andreas Gabalier beherrschen, ohne explizit ins Politische abzudriften, das Spiel mit rechten Zeichen perfekt; ein Schelm, wer Gabaliers notorische Fotopose mit bizarr abgewinkelten Extremitäten in die Nähe eines Hakenkreuzes rücken wollte – und eiserne Kreuze finden sich in den Songtexten des Kärntners selbstredend nur auf Berggipfeln.
Der neurechte Kultur-Mainstream frönt dem Fremdenhass längst in aller Öffentlichkeit: Das Video von der Sylter Umdeutung eines alten Tanzboden-Knallers des italienischen Electro-Simplicissimus Gigi d’Agostino durch eine xenophobe Slogans grölende Urlauberhorde ging unlängst viral. Aus „Toujours l’amour“ wurde „Ausländer raus“, und „Deutschland den Deutschen“ fügte man gleich noch ein. Seither verbreitet sich die Neutextierung epidemisch, auch in Österreich: Erst vergangene Woche habe bei einer Party der Landjugend Uderns im Zillertal laut Medienberichten „der halbe Saal“ ebenjene Hetzparolen skandiert.
Die Distanzierung des Künstlers von der missbräuchlichen Verwendung seines Songs fiel übrigens seltsam handzahm aus: Sein Lied handle von der Liebe, erklärte Gigi d’Agostino, und es sei, wie er selbst, für alle da. Kein Wort der Untersagung, keinerlei Abgrenzung gegen rechts. Die Breitenwirkung seiner Komposition (490 Millionen Mal wurde das Musikvideo auf YouTube bereits aufgerufen) scheint d’Agostino, bei aller Liebe, nicht einschränken zu wollen. Seit sein Lied, nun ja: in aller Munde ist, erlebt es einen zweiten Höhenflug. In den iTunes-Charts steht es dieser Tage an zweiter Stelle.
Botschaften verfestigen
Der Politikwissenschafter und Journalist Christof Mackinger, ein langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene, erkennt im Kapern fremdenfeindlicher Onlinephänomene durch identitäre Hetzer wie Martin Sellner eine klare Strategie: Sie ziele darauf ab, „die eigenen ideologischen Grundsätze in möglichst jeden gesellschaftlichen Bereich einzuschleusen, sich im Populären und damit eben auch auf kultureller Ebene breitzumachen“. Den Eklat um d’Agostinos Song habe Sellner auf seinem Telegram-Kanal umgehend als großen Erfolg für seine Bewegung verbucht. „Wird einer der online verbreiteten Spins in der Öffentlichkeit aufgegriffen, legen die Rechtsextremen augenblicklich nach – um bestimmte Botschaften zu verfestigen und weitere ideologisch geprägte Begriffe und Erzählungen salonfähig zu machen“, sagt Mackinger.
Die „Metapolitik“ der Identitären, die auch von Intellektuellen wie Caroline Sommerfeld-Lethen vertreten wird – sie veröffentlicht ihre Bücher bei dem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek –, ist auch im Rechtspop spürbar: Krause Denker wie der US-Indie-Musiker Ariel Pink, der sich 2021 am Sturm aufs Kapitol beteiligt hat, spielen ihren Respekt vor Donald Trump als Zeichen ihrer Rebellion, ihrer Lust an der Aufkündigung demokratischer Übereinkünfte aus.
Grau und kalt
Gerhard Ruiss kam früh in Kontakt mit rechter Politik, die sich als Kunst tarnt, um dem Vorwurf der Wiederbetätigung durch die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Kunst – in Deutschland seit 1949, in Österreich seit 1982 – zu entgehen. Ruiss, 73, ist Lyriker, Musiker und Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren. Als er noch in einer Druckerei arbeitete, wurde dort in Schwarzarbeit ein Lyrikband gedruckt: Der Wiener Neonazi und verurteilte Holocaustleugner Gerd Honsik (1941–2018) ließ in der Verlagsanstalt seinen Gedichtband „Lüge, wo ist Dein Sieg?“ vervielfältigen – in erstaunlich hoher Auflage, wie sich Ruiss erinnert.
Rechtes Denken unter dem Deckmantel der Kunst findet sich auch in den Romanen „Der Graue“ und „Lob der Kälte“, die der rechtskonservative Denker Andreas Mölzer Anfang der 1990er-Jahre verfasst hat. Die Wiener Schriftstellerin Marlene Streeruwitz notierte über „Der Graue“ im Vorjahr für profil: „Die Figuren des Romans werden durch Rasse und Geschlecht bestimmt. Die Handlung folgt Motiven mittelalterlicher Heldenepen. Die vielen Vergewaltigungsszenen werden aus der Situation des ‚Grauen‘ begründet, dem solches zusteht. Er ist ja auf der Suche nach dem Gral.“
Mölzer, 72, ehemaliger Abgeordneter zum Europäischen Parlament und einer der bekanntesten Ideologen der FPÖ, veröffentlichte neben seinen Romanen auch zeitgeschichtliche Bücher mit eindeutiger Schlagseite, etwa „Das Waffenstudententum in Vergangenheit und Gegenwart: Sieben Aufsätze zur Geschichte und zur Ideologie des deutschen Korporationsstudententums“, erschienen 1980 im Aula-Verlag. Unter den Verlagen für rechte Publizistik in Österreich und Deutschland stechen außer dem Aula-Verlag der Ares Verlag sowie der von Kubitschek betriebene Antaios Verlag ins Auge, der zuletzt Sellners Buch „Remigration. Ein Vorschlag“ veröffentlicht hat.
„Der rechte Kulturbegriff geht von diesen Werten aus: Blut, Boden, völkisch, national, rassisch, rollengemäß“, sagt Gerhard Ruiss: „In Österreich drückt sich dieser hauptsächlich über den Kulturkampf gegen ‚Staatskünstler‘ und ‚linke Künstler‘ aus. Das hat in den 1980er-Jahren begonnen und hält bis heute an. Wenn aus dem Feld der Kunst Worte der Kritik an antidemokratischen Missständen laut werden, diffamiert man diese als ‚linke Umtriebe‘. Werden Nationalisten kritisiert, so erklärt man jene, die Einspruch üben, kurzerhand für psychiatriereif – wie es zuletzt wieder der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ergangen ist.“ Im September 2023 ließ Wiens FP-Kultursprecher Stefan Berger in einer Aussendung wissen: „Jelinek braucht keine Ehrenbürgerschaft, sondern [eine] umfassende Therapiemöglichkeit.“
Greta, Dieter und Peter
Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Jürgen Wirth Anderlan ist Vorsitzender der Bozener Liste JWA, benannt nach den Initialen ihres Gründers. Mit Sellner ist Wirth Anderlan weltanschaulich und freundschaftlich verbunden. Das Südtiroler Wochenmagazin „ff“ nannte Wirth Anderlan einen „Kanalarbeiter des Rechtsextremismus“. Im Weinkeller startete er seine Karriere als Rapper. Kostprobe: „Sie werden immer mehr, diese Heimatverräter / Nicht mal Respekt vor ihren eigenen Vätern / Sie kennen nicht den Ander, dafür die Greta / Im Park vor meinem Haus liebt der Dieter den Peter“. Die Bierzeltkultur à la FPÖ baut auf eine bestimmte Form der „Spaßkultur“, in der rechte Kampfrhetorik zuverlässig mitschwingt: Alles nicht so ernst gemeint! Man wird wohl noch einen Scherz machen dürfen!
Durchaus ernster nimmt der Maler und Grafiker Odin Wiesinger, der Landser und Burschenschafter gemalt und eine Lithografie mit dem Titel „Endsieg“ hergestellt hat, seine Arbeit; er war vor fünf Jahren der erste Künstler des Landes, der sich offen zur FPÖ bekannte. Wiesinger, 63, der Lieblingsmaler des einstigen FP-Bundesparteiobmanns Norbert Hofer, wurde damals zum weit über seinen Heimat- und Arbeitsort Andorf bekannten Gesicht der Freiheitlichen, als er in den oberösterreichischen Landeskulturrat berufen wurde – und nach einem profil-Interview für Landeshauptmann Thomas Stelzer plötzlich „nicht mehr tragbar“ war. Odin ist Manfred Wiesingers Künstlername – und sein Couleurname in der Burschenschaft Scardonia zu Schärding, deren Mitglied er seit Jahrzehnten ist.
Im Mai 2019 hatte der Innviertler Künstler in diesem Magazin unter anderem erklärt, dass ihm niemand weismachen könne, dass es keine Provokation sei, „wenn zum Beispiel ein Herr Muehl öffentlich kotet“. Genau dies habe auch die Schriftstellerin Elfriede Jelinek „mit Texten gemacht – und die FPÖ oft als Nazi-Truppe oder Braunstiefel-Arschlöcher umschrieben. Es wundert mich nicht, dass die dann auch sagen: ‚Jetzt sind wir einmal an der Reihe!‘ Angriff und Verteidigung!“
Subventionierte queere Lebensrealitäten?
Nachfrage im Büro des FP-Kultursprechers und Nationalratsabgeordneten Thomas Spalt. Er kämpft für Denkmalschutz, „Volkskultur“ und mit Verve auch für die Erhaltung einer historischen Eisenbahnsammlung. Er tritt gegen eine „links-alternative Kulturschickeria“ und gegen Subventionen für „queere Lebensrealitäten“ auf. Den Begriff der „Identitätsstiftung“ wählt Spalt in seinen Ausführungen gleich dreimal. Denn für die FPÖ „stehen die identitätsstiftenden Bereiche der Kultur im Vordergrund, die sich von der echten Volksmusik über die Wiener Sängerknaben bis hin zu den Wiener Philharmonikern erstrecken“. Eine exakte Definition der „Volkskultur“ sei „schwierig“. Wichtig sei „eine gerechte Verteilung im Kulturbereich“. Nur etwa 600.000 Euro – 0,09 Prozent des Bundeskulturbudgets – seien letzthin für Volkskultur, Heimat- und Brauchtumspflege aufgewendet worden. Der Bund habe hier „zusätzlich zu den Bundesländern seiner Verpflichtung nachzukommen“, um Österreichs kulturelles Erbe zu bewahren.
Kulturelles Erbe, das klingt so schön und kann doch so dämonisch sein: Denn auch die mörderische Geschichte des Nationalsozialismus gehört zum Erbe dieses Landes – und rechtsextreme Kreise sind beständig an der Arbeit, dieses zu wahren und zu feiern: In der Gaming-Szene blüht Nazi-Content der übelsten Sorte, etwa das 2020 veröffentlichte, bereits verbotene Computerspiel „Heimat Defender: Rebellion“, das als rechtsextrem, homophob und antisemitisch eingestuft wird. Martin Sellner, Björn Höcke (AfD) und Götz Kubitschek treten darin als Helden auf.
Vereinnahmte Mode
Um ihre Signale auszusenden, nutzen Rechtsextreme auch sonst gern die Popkultur: Modemarken wie Lonsdale, New Balance und Fred Perry haben Bomberjacken und Springerstiefel in rechten Kreisen weitgehend verdrängt. Den Herstellern selbst ist das nicht recht, aber sie werden nicht gefragt. Auch dies: eine Geschichte der Vereinnahmung.
Zurück zu FP-Kultursprecher Thomas Spalt: Österreich brauche eine Kulturpolitik, die „alle Österreicher“ anspreche, sagt er noch, „nur so kann das Verständnis für Kultur in der Bevölkerung wieder gestärkt werden“. Die Frage, woran er in Zeiten boomender Museen, Theater und Festivals die Behauptung festmache, es gebe zu wenig öffentliches Kulturverständnis, bleibt unbeantwortet. Nur ein Beispiel gibt Spalt, um die „Abgehobenheit in gewissen Kulturbereichen, die zumeist ohne hohe Förderungen nicht überlebensfähig wären“, zu illustrieren: Doris Uhlichs „Pudertanz“, der zur Eröffnung der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 in Bad Ischl aufgeführt wurde, sei „bei vielen Österreichern zu Recht auf Ablehnung und Unverständnis gestoßen.“
Die Choreografin arbeitet seit Langem mit Nacktheit auf der Bühne, zeigt dabei auch Menschen mit körperlicher Behinderung, bricht beherzt Schönheitsnormen. Für Spalt ist Uhlichs Performance, in der choreografierte nackte Körper mit viel aufgewirbeltem Puder hantieren, eine vergebene Chance, die Menschen „zu begeistern und zu verbinden“; so wende man sich „mit einem schrillen Programmstart von der eigenen Bevölkerung ab“.
Ist Doris Uhlich also Teil dessen, was von rechts gern als „linke Kulturschickeria“ diffamiert wird? Das Wort „schick“ passt auf ihre Arbeit kaum, schon weil sie nicht aus privilegierter Perspektive spricht und nicht auf Dekoratives, Modisch-Geschmackvolles setzt. Das tun längst andere: Der deutsche Schriftsteller Uwe Tellkamp („Der Turm“) etwa verharmlost die antidemokratische „Reichsbürgerbewegung“, betrachtet das Gendern als „Sprachvergewaltigung“ und Geflüchtete als größtenteils bloß Wirtschaftsprofiteure. In Europas Kunst- und Kulturlandschaften gibt es eben alles – sogar eine rechte Kulturschickeria.
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.