Anhänger der Vernunft
An der Aufgabe, Popmusik in Dokumentarfilme zu verwandeln, scheitert man leicht. Aber glücklicherweise nicht immer. Sven Regener fühlt sich diesbezüglich gerade sehr erleichtert. Vor ein paar Tagen erst feierte der in Berlin lebende Musiker und Schriftsteller im vollbesetzten Wiener Filmcasino bestens gelaunt die Österreich-Premiere eines Kinoporträts, das seiner Band – Element of Crime – gilt. Nun steht das Werk in einem Lichtspielhaus in Ihrer Nähe zur Begutachtung bereit.
Und der Besuch lohnt sich. Denn „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“, wie der Film heißt, hat mehr Licht und Herzenswärme zu bieten, als der Titel zu versprechen scheint. Regie führte der Schauspieler Charly Hübner, der 2017 in der Regener-Roman-Kinoadaption „Magical Mystery“ aufgetreten war; und sein Enthusiasmus färbte auf die Filmgestaltung ab. Regener, ein skeptischer Mensch, der auch seine eigene Strahlkraft gern bezweifelt, war stets gegen eine Element-of-Crime-Doku, aber Hübner habe eine Sicht auf die Band, „die so seltsam ist und auch so einzigartig, dass wir dachten, dem kann man vertrauen“.
Charlotte Goltermann, Regeners Managerin und Ehefrau, initiierte das Projekt – zunächst fast gegen den Willen der Band. Dabei hat sich diese seinerzeit sogar nach einem Film benannt, nach Lars von Triers surrealem Frühwerk nämlich, das 1985, im Jahr der Gruppengründung in deutsche Kinos kam. Warum es in den knapp 40 Jahren der Existenz dieser Band bislang nie einen Element of Crime-Film gegeben hat, erklärte Regener in einem Interview unlängst so: „Mein Ehrgeiz, was das Kino betrifft, war eigentlich immer gleich null. Drehbücher schreiben ist ja noch ganz interessant, aber den Film dazu muss ich dann nicht mehr sehen. So viel bedeutet mir Kino nicht – und Theater schon gar nicht.“
Ein Konzertfilm ist „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ zweifellos, aber nicht nur. Im Sommer 2023 unternahm Regener mit seinen beiden alten Mitstreitern Jakob Ilja und Richard Pappik (sowie ein paar jüngeren Kollegen) eine kleine Berlin-Tournee, eine Art „Magical Mystery Tour“ auch diese.
Insofern ist der Film auch ein Städteporträt sowie – über allerhand schönes Archivmaterial – zudem ein Blick in den Rückspiegel der Berliner Musikszene, der bis in die frühen 1980er-Jahre reicht. Dabei stellt Hübner aber auch auf die gegenwärtige Alternative-Popszene scharf, indem er jenen Acts Raum gibt, die das auf der Tour jeden Abend wechselnde Element-of-Crime-Vorprogramm gestalten, darunter die jungen Bands Isolation Berlin, Von wegen Lisbeth und Steiner & Madlaina. Der Österreicher Florian Horwath und seine deutsche Kollegin Maike Rosa Vogel tauchen ebenfalls prominent auf. Ein vielschichtiges (und wohlklingendes) Kino-Unternehmen also.
Sven Regener, der seit 2001 („Herr Lehmann“) sechs Romane vorlegte, hat dieser Tage übrigens ein neues Buch, eher nur ein Bändchen, über literarischen Humor veröffentlicht: „Zwischen Depression und Witzelsucht“ heißt es, erschienen ist es bei Galiani. Politische Deutungen seiner Musik scheut er wie der Dichter die Stilblüte: Kunst habe mit Gefühl zu tun, sagt er noch, Politik dagegen mit Vernunft; und das solle auch so bleiben. „So wenig ich will, dass im Bundestag gesungen wird, so wenig kann man ein komplexes politisches Thema in 20 Zeilen mal eben auf die Agitprop-Ebene bringen. Das kann ich nicht leiden, das nervt mich, dazu bin ich ein zu politischer Mensch, ein zu großer Anhänger von Vernunft.“
An der Melancholie, die man den meisten Songs von Element of Crime attestieren muss, hängt er aber auch. In der Musik sei diese am besten aufgehoben: „In der Kunst kann das Traurige eben auch schön sein. Im richtigen Leben eher nicht so."