Zeitgeschichte

Anna Hackl, die letzte Zeugin der Mühlviertler Menschenjagd

Im Februar 1945 wurden bei der sogenannten Mühlviertler Hasenjagd über 500 sowjetische Kriegsgefangene erschossen, erstochen und erschlagen. Nur wenige Männer überlebten das Massaker.

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Anna Hackl erzählt eine Geschichte, die mit einem leisen Klopfen beginnt und in einen Massenmord mündet. Hackl ist 93 Jahre alt. Eine schmale Frau mit runden Schultern und schlohweißen Haaren, die in Winden lebt, einem Weiler oberhalb der Gemeinde Schwertberg. Sie sitzt an einem verregneten Jännernachmittag auf der Wohnzimmerholzbank ihres Hauses, gleich beim Herrgottswinkel. Der liebe Gott war ihr immer ein guter Freund, auch wenn er in ihrem langen Leben immer wieder mal wegschaute.

Spricht Hackl übers Sterben, schnellt ihr rechter Zeigefinger hoch. Der da ganz oben, sagt sie dann, habe sie noch nicht geholt. Hackl ist die Letzte aus der Familie Langthaler, die im Februar 1945 unter Lebensgefahr zwei geflohene KZ-Häftlinge auf ihrem Hof versteckte. Die letzte Zeugin der sogenannten Mühlviertler Hasenjagd.

Die Nacht auf den 2. Februar 1945, der Ausbruch der russischen Offiziere aus dem Block 20 des Konzentrationslagers Mauthausen, dem sogenannten Todesblock. Bei jedem Wetter wurden die Gefangenen ins Freie gejagt, bei Regen mussten sie auf dem schlammigen Boden einen Teppich ausgemergelter Leiber bilden, damit die SS-Offiziere ihre Stiefel nicht beschmutzten. Wer in Block 20 kam, zählte nicht mehr als Mensch.

Über 500 sowjetische Offiziere waren im Februar 1945 am Massenausbruch beteiligt, etwa 100 wurden beim Kampf an der Lagermauer erschossen, über 400 Kriegsgefangenen gelang die Flucht. Bald wütete die SS durch Gassen, Straßen und Wälder, in einem Umkreis von mindestens 15 Kilometern, unterstützt von Gendarmerie, Feuerwehr, Hitlerjugend, Wehrmacht-Einheiten, SA-Abteilungen, Zivilisten. Die Menschenhatz wurde von der SS zynisch „Hasenjagd“ getauft.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.