Architektur: Moderne Gebäude sind massiv bedroht
Dem Mann stand der Zorn ins Gesicht geschrieben. "Ich will bei einer Führung mitgehen!“, schrie er: "Was ist das für eine miese Organisation?“ Die freundlichen jungen Leute am Eingang konnte er damit nicht aus der Ruhe bringen. Sie hatten an dem Tag wohl schon öfter Menschen abweisen müssen. Denn der Andrang war immens: 2500 Personen besuchten an diesem April-Wochenende - zum stolzen Preis von zehn Euro - das Haus Beer im 13. Wiener Bezirk, das in Privatbesitz ist und nunmehr auf Initiative des Architekturzentrums Wien (AZW) geöffnet hatte. Freilich konnte nur ein Bruchteil der Gäste, neben der Besichtigung der repräsentativen Räume im Erdgeschoss, auch an der Tour teilnehmen, die tiefer ins Innere des Gebäudes führte.
Der Wiener Architekt Josef Frank hatte das Wohnjuwel in den frühen 1930er-Jahren errichtet, und längst ist sich die Fachwelt einig über dessen Bedeutung. Auch der US-amerikanische Frank-Experte Christopher Long hält es für eines der wichtigsten Gebäude der Wiener Moderne. Anderswo sind Häuser solchen Ranges in erstklassigem Zustand und der Öffentlichkeit permanent zugänglich. An der Frank-Villa dagegen sind an Fenstern und Außenelementen Rostschäden erkennbar, da blättert im Inneren Farbe von der Wand, der Parkettboden hat Löcher. Einst hatte der Eigentümer - der Unternehmer Johannes Strohmayer - Pläne angekündigt, ein Besucherzentrum zu schaffen; wirklich ernst scheint es ihm damit nicht zu sein. Zudem wird das Haus derzeit bei mehreren Maklern zum Verkauf angeboten: Um 5,3 Millionen Euro zuzüglich Provisionen kann es erworben werden.
Seit 1987 steht die Villa Beer unter Denkmalschutz. Seither wurden Sanierungsmaßnahmen ergriffen. Das seit jeher problematische Flachdach wurde abgedichtet und saniert, die Fassade restauriert, ein Wasserschaden behoben, der Putz erneuert. Dies erläutert Oliver Schreiber, der im Bundesdenkmalamt (BDA) zuständige Referent. Und er sagt: "Es gibt optische Mängel, aber sicher keine Schäden.“
"Enorme Folgeschäden"
In den vergangenen Jahren wurden, wie profil in Erfahrung brachte, Teile des unbewohnten Hauses nicht beheizt. 2013 froren die Leitungen ein, Radiatoren platzten. Mittlerweile wurde das Heizungswasser abgelassen - Korrosion droht. Christopher Long fürchtet: "Wenn sich das nicht ändert, werden enorme Folgeschäden auftreten. Später könnte es viel kosten, diese zu reparieren.“ Iris Meder, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und ebenfalls Frank-Spezialistin, sagt: "Schon jetzt hat das Haus Beer durch den Leerstand stark gelitten.“ Das BDA kann Eigentümer denkmalgeschützter Objekte nicht dazu zwingen, diese in Schuss zu halten. Sie sind nur dazu verpflichtet, die Fenster und Türen verschlossen zu halten - und nicht willkürlich Um- und Zubauten zu errichten.
Immerhin hat das Amt ein Auge auf die Villa Beer. Denn es ist unübersehbar, dass Gebäude jüngerer Entstehungszeit im Allgemeinen weitaus gefährdeter sind als ältere - und viele von ihnen stehen immer noch nicht unter Denkmalschutz. Die Reihe jener architektonisch kostbaren Bauten, die - auch in jüngerer Zeit - bereits dem Verfall oder gar Baggern zum Opfer fielen, ist erschreckend. Zahlreiche weitere Häuser harren aktuell einer ungewissen Zukunft. Bürgerinitiativen und Bauhistoriker, Publizisten und pensionierte Denkmalpfleger kämpfen indes gegen den drohenden Verlust auch jüngerer Architekturjuwelen. Axel Hubmann etwa, einst selbst im Denkmalamt aktiv, ist nun Präsident des Österreich-Ablegers von docomomo ("documentation and conservation of buildings, sites and neighbourhoods of the modern movement“), einer Vereinigung, die sich für die Erhaltung moderner Architektur starkmacht. "Die Moderne hat einen schlechten Stand“, sagt Hubmann: "Im Gegensatz zu historischen Gebäuden. Es käme niemand auf die Idee, das Belvedere abzureißen.“
Spricht man mit jenen, die sich für die Moderne engagieren, so fällt stets ein Begriff: thermische Sanierung. "Eine der größten Gefahren für die moderne Architektur ist die Wärmedämmung“, meint Markus Landerer, Vorstandsmitglied des Wiener Vereins Initiative Denkmalschutz. Der Architekturhistoriker und -publizist Norbert Mayr erklärt: "Außendämmungen verändern die Proportionen und führen zum Verlust der originalen Putzhaptik und -optik.“ Prominentes Beispiel: der Winarsky-Hof, ein Wohnhaus aus der Zeit des Roten Wien, zu dessen Schöpfern prominente Planer wie Adolf Loos, Margarethe Schütte-Lihotzky, Josef Frank und Josef Hoffmann zählen. Vergleicht man historische Aufnahmen des Gemeindebaus mit dem gegenwärtigen Zustand, wird die nachteilige Veränderung augenfällig.
Bestimmte bauliche Maßnahmen können das Erscheinungsbild eines Gebäudes eben beeinträchtigen. So wurden beim Winarsky-Hof vor wenigen Jahren die Dachböden ausgebaut - dort ragen nun Fensterfronten heraus. "Das ruhige und klare Erscheinungsbild der Dachlandschaften wurde zerrissen“, sagt Mayr. Kollegin Iris Meder nennt den Ausbau am Winarsky-Hof "wirklich schlimm“.
Verlust der Schutzwürdigkeit
Missglückte Umbauten können zum Verlust der Schutzwürdigkeit führen; dem Abriss kann dann kein Riegel mehr vorgeschoben werden. Ein solcher droht derzeit der Villa Albrecher-Leskoschek in Graz. Herbert Eichholzer, ein bedeutender Vertreter der österreichischen Moderne, der 1943 als Widerstandskämpfer vom NS-Regime exekutiert wurde, errichtete das elegante Gebäude 1937, bald trafen sich NS-Gegner dort. Allerdings wurde das Haus vor Jahrzehnten so stark verändert, dass sein Originalzustand von außen kaum mehr zu erkennen ist. Sein aktueller Besitzer, die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft, möchte es durch einen Neubau ersetzen. "Das Haus Albrecher-Leskoschek ist ein einzigartiges Denkmal für Architektur, Kunst und Wohnkultur. Zudem ist es eine bedeutende Gedenkstätte für den Widerstand gegen ein mörderisches Regime. Das Haus sollte einer Verwendung zugeführt werden, die seiner Rolle in der Vergangenheit unseres Landes und der Stadt Graz gerecht wird“, heißt es in einer Petition zu dessen Erhaltung. Das Denkmalamt zeigt sich davon wenig beeindruckt: Aufgrund seiner vielen Änderungen kann das Haus nicht unter Schutz gestellt werden.
Ein ähnliches Schicksal erlitt das Felsenbad in Bad Gastein, ein brutalistischer Sixties-Bau des Architekten Gerald Garstenauer. Später wurde die Anlage verändert - nicht zu ihrem Vorteil, wie Axel Hubmann kritisiert. Er erzählt: "Das Felsenbad hat man umgebaut, ohne Garstenauer zu fragen, der ja noch lebt. Man hätte ihn als Berater hinzuziehen müssen.“
Nicht nur missglückte bauliche Ergänzungen bedrohen spannende Architektur, auch Leerstände sind ein Problem. BDA-Mitarbeiter Schreiber: "Wenn ein Gebäude leersteht, kann es zum Betätigungsfeld für Sprayer oder zur Partylocation werden.“ Ein Gebäude ungeheizt zu lassen und Feuchtigkeit eindringen zu lassen, sei "das Schlechteste, was man machen kann“, sagt auch Architekturpublizist Mayr und verweist neben der Villa Beer auf einen anderen Fall: Seit Jahren werde das Kongresszentrum in Bad Gastein nicht geheizt. "Es ist bereits ziemlich angegriffen, zum Glück ist aber die Betonstruktur robust.“ Seit 1999, so Mayr, fordere er, dass das Denkmalamt jenen Bau - ebenfalls von Garstenauer geplant - unter Schutz stelle. Bisher vergeblich.
Dem Kulturzentrum in Mattersburg (KUZ), errichtet von dem Architekten Herwig Graf, droht inzwischen gar der Abriss. Der 1976 eröffnete massive Bau könnte demnächst einem neuen Entwurf weichen: Das KUZ erfülle die aktuellen Nutzungsanforderungen nicht mehr, so die Argumentation. Eine Bürgerinitiative macht seit Jahren mobil für die Erhaltung des "Betonmonsters“, wie der Bau gern genannt wird. Kürzlich erhielt man prominente Unterstützung: Oliver Elser, Kurator am Deutschen Architekturmuseum und Kommissär des deutschen Pavillons der aktuellen Architekturbiennale in Venedig, schreibt in einer Stellungnahme: "Das Gebäude ist ein wichtiger und innovativer Beitrag zum Betonbrutalismus in Österreich.“ Dieser sei "vielerorts in Gefahr“, die verbliebenen Beispiele müssten "besonders gepflegt werden“. Zum Neubau, der da errichtet werden soll, formuliert Elser: "Es ist, als würde man eine Kirche abreißen und ließe anstandshalber den Kirchturm stehen.“ Auch der Landeskonservator des Burgenlandes, Peter Adam, spricht sich nachdrücklich für die Erhaltung des KUZ aus. Die letztgültige Entscheidung darüber ist allerdings noch nicht getroffen - zu viele Instanzen reden mit, zu viele neue Normen gilt es zu berücksichtigen.
Bei einem anderen wichtigen Gebäude jüngeren Datums kam internationale Schützenhilfe gerade noch rechtzeitig. Die 1995 errichtete Schule des Architekten Helmut Richter am Wiener Kinkplatz im 14. Bezirk sollte, so hieß es vor wenigen Jahren, umgebaut oder abgerissen werden. Flugs formierte sich ein Architekturkomitee mit Mitgliedern wie Zaha Hadid, Frank Gehry und Dominique Perrault: "Der möglichen Zerstörung dieses Zentralwerks moderner Architektur gilt es rechtzeitig vorzubauen“, heißt es darin. Nun stehen die Zeichen gut, dass die Schule demnächst saniert wird. Auch das BDA befasst sich damit.
"Allgemeine Unsicherheit in der Bewertung von Bauten"
Dass ein erst 20 Jahre altes Gebäude unter Denkmalschutz steht, stellt eine Ausnahme dar - wobei die Entscheidungsmuster der Behörden im Fall von Unterschutzstellungen oft unklar bleiben. BDA-Mitarbeiter selbst kommen zu jeweils unterschiedlichen Einschätzungen. So mancher erzählt hinter vorgehaltener Hand, dass er mit den Entscheidungen keineswegs einverstanden sei. Ex-Landeskonservator Axel Hubmann analysiert: "Es gibt eine allgemeine Unsicherheit in der Bewertung von Bauten. Ich hatte immer den Standpunkt: Wenn ein Bauwerk innerhalb von zwei bis vier Jahren breiteste internationale Anerkennung und Preise erhält, so ist es unter Schutz zu stellen. Sonst ist es möglicherweise zehn Jahre später völlig verändert - und 15 Jahre danach weg.“ Markus Landerer meint: "Die Problematik ist immer: Wie schnell stellt man etwas unter Schutz - und geschieht dies, bevor schon etwas verändert wird?“ Mayrs Befund klingt pessimistisch: "Es gibt Ausnahmen wie Oliver Schreiber und seinen Kollegen Wolfgang Salcher, aber das Interesse an der Erhaltung von Architektur des 20. Jahrhunderts ist im BDA nicht in ausreichendem Ausmaß vorhanden. Generell wird bei Gefahr im Verzug zu langsam reagiert.“ Als Beispiel nennt er die Wiener Villa des Architekten Karl Schwanzer - das Unterschutzstellungsverfahren kam zu spät, 2014 wurde das außergewöhnliche Wohnhaus abgerissen.
BDA-Mitarbeiter Schreiber hält dagegen: "Wir erkannten schon vor einigen Jahren, dass wir uns den gefährdeten Bauten der Moderne verstärkt widmen müssen, veranstalteten dazu 2012 auch ein Symposion, versuchten, den Bestand zu erheben und Sanierungsmöglichkeiten zu sondieren. Uns ist der Wert dieser Objekte bewusst. Aber haben wir die Kapazitäten, um sie im ursprünglichen Zustand zu erhalten?“ Sobald das BDA beschließt, ein Gebäude unter Schutz zu stellen, kann dessen Eigentümer juristisch dagegen vorgehen - lange Verfahren drohen. Zudem sei das BDA personell unterbesetzt.
Über 25.000 Gebäude wurden allein in Wien zwischen 1919 und 1944 errichtet, mehr als 107.000 Häuser nach 1945 erbaut. Gleichzeitig wird die Architektur kurzlebiger. Neueste Gebäude, schätzt Landerer von der Initiative Denkmal, seien auf eine Lebensdauer von 30 bis 40 Jahren ausgerichtet. Schreiber erklärt: "Wiens Zinshäuser haben ihren errechneten Lebenszyklus mehrfach überschritten und stehen noch immer. Das wird bei neueren Bauten nicht der Fall sein. Allein die Fassaden werden komplett erneuert werden müssen.“
Vor große Herausforderungen stelle ihn und seine Kollegen derzeit ein besonderes Detail: die Silikonfuge, die bei neuen Fassaden oft zum Einsatz komme und alle paar Jahre erneuert werden müsse. Auch die technologischen Anforderungen an Gegenwartsarchitektur wird den Denkmalschützern dereinst das Leben schwer machen: "Bei neuen Bürogebäuden verläuft die gesamte Technik unter den Böden oder über abgehängten Decken. Das sind hochkomplexe Systeme, die kaum in den Griff zu bekommen sind. Wenn man beispielsweise ein Kabel nicht mehr benötigt, zieht man es üblicherweise nicht heraus, sondern legt die neuen darüber. Nach einigen Jahrzehnten sind die Kabelstränge miteinander verwachsen, was große Probleme verursacht.“
Es sieht ganz danach aus, dass Denkmalschützer - ebenso wie jene, die ihnen auf die Finger schauen - auch in Zukunft gut beschäftigt sein werden.