HOCHAUS HERRENGASSE, 1931: Die schwarze Bundesregierung setzte ein Prestigeprojekt ins "Rote Wien".

Architektur: Das "schwarze Wien"

Die Bauten des Roten Wien der Zwischenkriegszeit sind bekannt. Aber was kam danach? Ein neues Buch dokumentiert die Bautätigkeit des autoritären Ständestaats

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Die Stadträte wurden verhaftet, wo man sie gerade antraf, Bürgermeister Karl Seitz wurde von der Polizei aus seinem Arbeitszimmer im Wiener Rathaus geholt.

An jenem 12. Februar 1934, an dem die gesamte Führungsspitze der Sozialdemokraten auf die Gefängnisse der Stadt aufgeteilt wurde, war das Rote Wien endgültig Geschichte. 35 Wiener Nationalrats- und Bundesratsabgeordnete und zwölf Bezirksvorsteher internierte man in den folgenden Tagen in Anhaltelagern.

Mehr als ein Jahrzehnt lang war in der Bundeshauptstadt der Sozialismus probiert worden, gestützt auf Gemeinderatswahlen, die den Sozialdemokraten meist um die 60 Prozent der Stimmen brachten. Bis heute sind die Bauten dieser Zeit symbolhaft: Der Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt, der Reumannhof in Margareten, der Winarskyhof in der Brigittenau.

Die gewaltigen Gemeindebauten waren den politischen Gegnern des Roten Wien immer ein Dorn im Auge gewesen. Sie seien wie Festungen konzipiert, kritisierte die christlich-soziale Presse; es sei kein Zufall, dass man sie - wie am Friedrich-Engels-Platz - direkt neben einen strategisch wichtigen Donauübergang gebaut habe. Kurzum: Hier bereite sich eine Partei auf den Klassenkampf vor.

Der autoritäre Ständestaat, der auf das Rote Wien folgte - also der Austrofaschismus -, machte mit all dem Schluss: Ebenfalls symbolhaft wurden am 12. Februar 1934 die Gemeindebauten von der Bundesheer-Artillerie beschossen.

Gebaut wurde danach auch wieder, aber eben ganz anders. Wie das aussah und welche ideologischen Ziele dabei verfolgt wurden, hat nun der architekturkundige Historiker Andreas Suttner in einem Buch über "Das schwarze Wien" zusammengefasst.

Das Rote Wien war politisch eine Insel: In allen anderen Ländern waren die Christlich-Sozialen bei Landtagswahlen stärkste Partei - oder diese traten gemeinsam mit den Großdeutschen auf einer Einheitsliste an, um eine sozialdemokratische Mehrheit zu verhindern. Entscheidender noch war die bürgerlich/bäuerliche Mehrheit im Bund, wo sich Christlich-Soziale, Großdeutsche und Landbund ab 1920 die Macht teilten.

Breitner-Steuern

Wien war 1922 ein eigenständiges Bundesland geworden und erhielt damit neben dem Anrecht auf einen Teil der Bundessteuern (heute nennt man das Finanzausgleich) auch eine eigene Steuerhoheit. Die wurde von Finanzstadtrat Hugo Breitner schon im Jahr darauf mit der Einführung einer progressiven und zweckgewidmeten Wohnbausteuer weidlich ausgenützt: Die Mieter der 90 größten und teuersten Mietobjekte zahlten dabei ebenso viel wie die 350.000 Bewohner von Substandardwohnungen. Dazu kamen Luxussteuern auf Reitpferde, Bälle, Champagner und Hauspersonal. Die Breitner-Steuern finanzierten nicht nur Wohnungen, sondern auch Gesundheitseinrichtungen und die Elektrifizierung der Stadtbahn. Die Sozialdemokraten versuchten, die neuen Gemeindebauten, geplant von renommierten Architekten, womöglich auch in bürgerliche Bezirke zu pflanzen.

Die Wohnungen waren nicht groß, sie maßen zwischen 39 und 57 Quadratmeter. Aber sie hatten Strom, Fließwasser und Klosett - ungeheurer Luxus für die große Mehrheit der Wiener. Die in den tristen Gründerzeit-Häusern übliche Wohnküche blieb in den nach Heroen der Arbeiterbewegung benannten Gemeindebauten dennoch erhalten. "In Wien war die Feuerstelle, die mit Holz oder Kohle geheizt wurde, Wärmepol der ganzen Wohnung. Eine Trennung von Kochen und Wohnung war aus praktikablen Gründen nicht möglich", schreibt Andreas Suttner. Anders waren die Verhältnisse im bereits durchgehend mit Gas versorgten Frankfurt, wo die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky eine Küche erdachte, in der diese beiden Bereiche getrennt waren: die "Frankfurter Küche". Gleichzeitig unterbanden wirtschaftliche Schwäche und ein rigides Mietrecht in Wien weitgehend den privaten Wohnbau, für den es noch keine Fördereinrichtungen gab.

1929 beschloss die konservative Bundesregierung daher eine Reform des Mietrechts , welche die Kontrollrechte der Mieter schwächte und die Stellung des Eigentümers stärkte. Unmittelbar danach wurde ein System der Wohnbauförderung eingeführt, das erstmals seit dem Weltkrieg private Bautätigkeit anregte.

Als erstes Prestigeobjekt unterstützte die Bundes-Wohnbauförderung 1931 den Bau eine Wohnhochhauses in der Wiener Herrengasse, im Herzen des Roten Wien; die Hälfte der 225 Wohneinheiten waren sogenannte "Ledigenwohnungen", die Mieten für Durchschnittsverdiener jedoch unerschwinglich: Eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Bad und Vorraum verschlang den gesamten Monatslohn eines Facharbeiters.

Nach dem blutigen Februar '34 war alles anders: Der gewählte Gemeinderat wurde durch eine 64-köpfige "Bürgerschaft" ersetzt, welche die Entscheidungen des neuen Bürgermeisters Richard Schmitz abzunicken hatte. Die Wohnbausteuer und die Luxussteuern wurden schon im Juni 1934 abgeschafft; die Mieten in den Gemeindebauten wurden um bis zu 70 Prozent angehoben, die Abgaben für Wasser und Müllabfuhr deutlich erhöht.

Baupolitik im Ständestaat

Die Baupolitik des neuen, christlichautoritären Ständestaats verfolgte zwei Ziele. Zum einen musste seinem dem Nationalsozialismus nicht abgeneigten Kernpublikum - Bürgertum und Beamten - geschmeichelt werden. Andererseits galt es, für das Heer der Arbeitslosen Beschäftigung zu schaffen, um die Linke einigermaßen ruhig zu halten. Der Ständestaat entschied sich zur Schaffung einer "verkehrsgerechten Stadt": Zwischen 1934 und 1938 wurden in Wien 14 Millionen Schilling für den Wohnbau, zehn Millionen für "Familienasyle" (kleine Armenwohnungen), aber 68 Millionen für Straßen und Brücken ausgegeben.

Das Paradeprojekt war die Wiener Höhenstraße, erbaut mit Bundesmitteln in den Jahren 1935/36. Es kamen dabei kaum Baumaschinen zum Einsatz, um ungelernten Arbeitskräften Jobs zu verschaffen - was die Kosten entsprechend hochtrieb. Das Programm war mäßig erfolgreich. "Von den 145.000 Arbeitenden des Baugewerbes waren 80.000 dauernd arbeitslos und rund 30.000 durchschnittlich nur 15 Wochen des Jahres beschäftigt", rechnet Buchautor Suttner vor.

Der Stararchitekt dieser Ära hieß Clemens Holzmeister (1886-1983), der nach der Fertigstellung des Wiener Krematoriums 1924 für mehrere Bauten in der neuen türkischen Regierungsstadt Ankara engagiert wurde. Holzmeister war im Ständestaat eine große Nummer - Präsident der Architektenvereinigung, Professor an der Meisterklasse Architektur, Rektor der Akademie, Stadtkulturrat.

In Wien betraute die Regierung den Tiroler mit dem Bau des Funkhauses in der Argentinierstraße. "Es war das einzige monumentale Profangebäude, das im Ständestaat fast vollständig fertiggestellt wurde", schreibt Suttner. Seine Dimension gewinnt das Funkhaus durch einen Fries aus geschlitzten Öffnungen unter dem Dachgesims. Ähnliche Elemente kamen bei den neuen Monumentalbauten in Mussolinis Italien zum Einsatz. Holzmeister habe 1935 auch beim Entwurf für eine "Frontführerschule" an "städtebauliche Planungen des faschistischen Italiens angeknüpft", analysiert Suttner. Eine Art Forum Romanum mit Sportstätten und Aufmarschplätzen sollte nach Holzmeisters Vorstellungen im Wiener Märzpark entstehen, etwa dort, wo später die Stadthalle errichtet wurde. Die Frontführerschule wurde nie gebaut.

Zurück zur Landwirtschaft

Ideologische Muster sind auch beim Projekt "Stadtrandsiedlungsbau" offenkundig. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit sollte ein Teil der Bevölkerung "entproletarisiert" und zurück zur Landwirtschaft geführt werden. So wurden in Hirschstetten, Aspern und Leopoldau am nordöstlichen Stadtrand Wiens Vollerwerbssiedlungen gefördert. Der Siedler musste selbst am Bau mitarbeiten; in der Leopoldauer Siedlung lag der verpflichtende Eigenanteil bei 4800 Arbeitsstunden. Der Standard der Häuser war schlecht. Es gab keinen Strom und keinen Kanalanschluss; die Wohnküche in Leopoldau maß etwas über zehn, der Schlafraum 9,5 Quadratmeter; dazu kam ein Dachboden mit 20 Quadratmetern; der obligatorische Kleintierstall umfasste zehn Quadratmeter.

Nicht nur die Wirtschaftskrise machte der Regierung des wenig populären Kanzlers Kurt Schuschnigg zu schaffen, sondern auch die fehlende Verankerung in der Bevölkerung. Die Christlich-Sozialen, die Träger des autoritären Ständestaates, hatten bei den Wiener Landtagswahlen 1932 bloß 20 Prozent der Stimmen bekommen, die ab 1934 verbotenen Sozialdemokraten fast 60 und die inzwischen ebenfalls verbotene NSDAP 17 Prozent.

Die zentrale Mobilisierungsinstitution für den Ständestaat war die katholische Kirche, was sich auch in der Bautätigkeit niederschlug. Zwischen 1934 und 1938 wurden in Wien zehn neue Kirchen gebaut. Mit den interessantesten Projekten wie der Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche in Wien-Fünfhaus wurde Clemens Holzmeister beauftragt. Zu den neuen Pfarrkirchen kamen die sogenannten "Notkirchen", die in den größeren Wohnhausanlagen des Roten Wien installiert wurden, die erste bereits 1934 im Sandleitenhof in Wien-Ottakring. Die Rekatholisierung der Arbeiterschaft gelang dem Ständestaat jedoch ebenso wenig wie die Deckung des Wohnungsbedarfs durch private Bautätigkeit. Ende 1937 gab Bürgermeister Schmitz in einer Sitzung des Pseudogemeinderats "Wiener Bürgerschaft" bekannt, man werde 1938 schweren Herzens wieder mit der Errichtung von Gemeindebauten beginnen.

Dazu kam es nicht mehr.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 18 vom 28.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Herbert Lackner

war von 1998 bis zum Februar 2015 Chefredakteur von profil. Heute schreibt der Autor mehrer Bücher als freier Autor für verschiedene Medien, darunter profil.