Autorin Kate Tempest: Keine Angst vor dem Pathos
Die Kritiken der großen deutschen Zeitungen waren schon lange nicht mehr so hymnisch, wenn es um einen Debütroman ging. Von einem "neuen Wunderkind der Literatur" war die Rede ("Die Welt"), die "vielleicht wichtigste Sprachkünstlerin ihrer Generation" nannte sie der "Spiegel". Das ist dick aufgetragen. Auf den ersten Blick erzählt die Britin Kate Tempest nichts, was man nicht anderswo auch schon gelesen hätte. Die Autorin begann ihre Karriere als Rapperin und brillierte auf Poetry-Slams. In ihrem Roman "Worauf du dich verlassen kannst" bleibt sie ihrem zentralen Thema treu: Junge Londoner, deren Karrieren nicht so recht in Fahrt kommen, schlagen sich trotzdem durch und beobachten, wie ihre Stadt immer mehr von Spekulanten in Beschlag genommen wird, wie Freiräume mehr und mehr verschwinden.
Außenseiterfiguren
Es ist die Geschichte des Tomboys Harry, einer Drogendealerin, ihres arbeitslosen Bruders Pete und der erfolglosen Tänzerin Becky, in die sich sowohl Harry als auch Pete verlieben. Sie sind Mitte 20, wollen erfolgreich sein, sind aber nicht bereit, sich dafür zu verbiegen. Die Sympathie ist also schnell auf der Seite von Tempests eigenwilligen Außenseiterfiguren. Am meisten aber überrascht ihre direkte Sprache: Die Autorin hat keine Angst vor Pathos, da fliegen Blitze durch den Raum, wenn der Zauber der ersten Verliebtheit beschrieben werden soll, und auch die Sprache entgleist.
Erstaunlicherweise üben diese schiefen Bilder, die überhitzten Formulierungen, die überbordenden Sätze einen eigenen Sog aus. So zynisch der Blick auf den Niedergang Londons gerichtet ist, so erfrischend nahe ist Tempest ihren strauchelnden Figuren.
Kate Tempest: Worauf du dich verlassen kannst. Aus dem Englischen v. Karl und Stella Umlaut. Rowohlt, 400 S., EUR 15,50