Aus fürs ORF-Funkhaus – ein letzter Streifzug durch das Geistergebäude
Anfang und Ende gehen ineinander auf. Es ist ein hübscher Zufall, dass an diesem Julisamstag Wagner erklingt, das Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Das Radio-Symphonieorchester (RSO) probt im Großen Sendesaal, während sich im Funkhaus Endzeitstimmung breitmacht. Jahrzehntelang waren im Sendegebäude in der Argentinierstraße 30, mittendrin im urbanen Wien, Menschen damit beschäftigt, Radio zu machen: Ö1, FM4, Radio Wien. Ein Tummelplatz der Information, der gehobenen Musikunterhaltung und des Wien-Infotainments, die Homebase des Kultursenders: „Morgenjournal“, „Im Gespräch“, „Kulturjournal“, „Menschenbilder“, „Diagonal“ entstanden hier. In mancher Hinsicht war das Funkhaus eine Trutzburg des guten Geschmacks, ein kulturpolitisches Koordinatenkreuz weit über den 4. Wiener Gemeindebezirk hinaus. Dazu ein architektonischer Markstein, eine Chiffre fürs Radiomachen.
Betonburg der Praktikabilität
Das Funkhaus ist ein Funktionsbau von karger Schönheit, eine Betonburg der Praktikabilität. Beiträge schneiden, Innenpolitisches recherchieren, Diskussionen moderieren, Hörspiele gestalten, Konzertantes und Kabarettistisches kultivieren: Das waren die entscheidenden Funkhaus-Faktoren. Wenig deutete bei der Inbetriebnahme vor fast 90 Jahren darauf hin, dass der Bau berühmt werden würde.
Seit Ende September 2022 ist die Funkhaus-Geschichte endgültig in ein Davor und ein Danach geteilt. Bereits im Oktober 2015 war das Funkhaus vom ORF zum Verkauf ausgeschrieben worden, im Juni 2016 ging die Liegenschaft an die Rhomberg-Immobiliengruppe, die laut Website „22 urbane Traumwohnungen mit besonderer Ausstrahlung“ plant. „On Air“, so nennt der Bregenzer Bauträger das Projekt: „Klangvoll leben am Funkhaus“. Manchmal schlägt Geschäftssinn jede Empathie. Immobilie ist Immobilie.
Von klangvollen Träumen ist das Wiener Funkhaus im Juli 2023 weit entfernt. Die Tristesse der vertrockneten Grünpflanzen. Die Schreibtische, endgültig aus der Zeit gefallen. Wahllos zusammengewürfelte Sitzensembles. Aufeinandergetürmte Ordner, Sträuße von nutzlos gewordenen Kabeln, lose flatternde Zettel und Bücher, deren Titel wie Kommentare zur unrettbaren Lage wirken: „Knockdown“ – „Es lebe der Tod“. Offenbar nach Widerstandsgeist räumten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze: die einen nahezu besenrein, andere hinterließen Chaos mit überfüllten Postfächern, „Ö1 muss im Funkhaus bleiben“-Plakaten.
Im September 2022 war die Übersiedlung der Ö1-Redaktion auf den Küniglberg abgeschlossen, FM4 war bereits im Herbst 2019 Funkhaus-Geschichte. Ohne Gegenwehr lief die Aktion Funkhaus-Aus nicht ab. Der Schriftsteller Robert Menasse kettete sich im November 2015 an die Eingangstür des Funkhauses. Die Autorin Marlene Streeruwitz las die Namen der ORF-Stiftungsräte vor, die gemeinsam mit der Intendanz von Alexander Wrabetz das Funk-Ende in der Argentinierstraße beschlossen hatten. Ein Chor von Protestierenden antwortete damals bei der Verlesung jeden Namens: „Was hast du dir dabei gedacht?“ Petitionen mit Zehntausenden Unterschriften wurden gesammelt, die damaligen ORF-Oberen Wrabetz, Karl Amon und Richard Grasl (heute stellvertretender „Kurier“-Chefredakteur und profil-Geschäftsführer) waren bereits Mitte Februar 2015 zum Umdenken aufgefordert worden.
Das Ergebnis ist bekannt. Allein das Landesstudio Wien, das RSO und die Institution RadioCafé sollen – nach Zwischenstation in Heiligenstadt – in das von 1935 bis 1939 im Auftrag des ORF-Vorgängers RAVAG errichtete, von Architekt Clemens Holzmeister geplante und inzwischen unter Denkmalschutz stehende Gebäude zurückkehren. Das RadioCafé erhält laut Insidern einen privaten Pächter. ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher spricht im profil-Interview von einem „Kulturcluster“, den das Funkhaus ab 2027 neu beherbergen soll. Aber viele Dinge, die in den kommenden drei Jahren, beginnend bereits im Herbst, abgewickelt werden sollen – Umzug, Umbau und Sanierung sowie Wiedereinzug –, sind immer noch ungewiss, es werde weiterhin „überlegt und berechnet“, „beschlossen“ aber sei, etwa was die geplante Wiederherstellung der Radiozonen im Funkhaus betrifft, noch nichts, sagt die Radiodirektorin selbst. Auch im Haus selbst zeigen sich die noch dort Arbeitenden größtenteils verunsichert, im Unklaren über die Zukunft ihrer Tätigkeitsbereiche. Mit ihnen sei darüber nicht gesprochen worden, man wisse nichts Näheres über die geplanten baulichen Aktivitäten und Umsiedlungsmodalitäten, nur: Im Herbst soll es angeblich losgehen.
Henrike Brandstötter, NEOS-Mediensprecherin, findet den Umgang des ORF mit dem Aussiedlungs- und Renovierungsprojekt Argentinierstraße „symptomatisch: Das ist ja auch ein Change-Projekt, da wird nicht einfach modernisiert, sondern wirklich erneuert, also könnte man auch neue Formen der Zusammenarbeit ins Auge fassen. Das müsste man viel ambitionierter und professioneller angehen.“ Das RSO, letzthin als potenzielles Opfer eines brutalen Sparkurses in den Schlagzeilen, ist nun lediglich bis Ende 2026 abgesichert. „Das RSO muss unbedingt erhalten bleiben“, sagt Brandstötter, „aber man muss es anders finanzieren, denn es ist eigenartig, dass es eins zu eins in der Zuständigkeit des ORF liegt und all die Kulturinstitutionen der Stadt Wien, die vom RSO profitieren,nicht in die Pflicht genommen werden.“
Kontrabass und Kleiderbügel
Ein Orchester wird gern als „Klangkörper“ umschrieben. Im Funkhaus zeigt sich, wie Klang und Körper zusammenkommen: Die Instrumente belegen viele Regalmeter, an Kleiderbügeln hängen schwarzer Frack und weiße Hemden, im Gang wartet eine Phalanx mächtiger Kontrabass-Boxen auf den Weitertransport. Im Keller lagern Notenbestände, die teils aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen und noch immer nicht inventarisiert sind. Kostet Zeit und Geld.
Die „Wien heute“-Redakteurin Gabi Hassler kennt das Funkhaus seit Jahrzehnten. Sie ist die ideale Cicerone auf dem Weg durch den weitgehend verwaisten Bau. Es ist eine Reise in die lange Geschichte eines Gebäudes, das wie ein lieblos kuratiertes Museum achtlos entsorgter Überbleibsel wirkt. Das Funkhaus sei ihr eine „Herzensangelegenheit“, sagt Hassler noch, sie blicke auf dessen Räumung mit Wehmut. „Für mich ist das Funkhaus ein kreatives Biotop, in das man jeden Tag neu eintaucht; ich habe es immeralsHerausforderung und gleichzeitig als Privileg empfunden, hier arbeiten zu dürfen.“
„Bitte leise gehen“
Das neue ORF-Gesetz, das vom Parlament vergangene Woche beschlossen wurde, bringt dem budgetär angeschlagenen Sender über die neue Haushaltsabgabe erhöhte Einnahmen, aber auch bessere digitale Möglichkeiten und Ausspielkanäle. Ein Gesetz, das bis zuletzt heftig umstritten blieb, das bis Ende Mai 2023, dem Abschluss der Begutachtungsfrist, über 5000 Stellungnahmen auslöste, zumeist negative. Die Einwände reichten von der Text-Beschränkung für ORF.at bis zum Ruf nach Entpolitisierung; der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) sieht darin eine Gefahr für den Medienpluralismus.
Ein Ö1-Journalist hat im verwaisten Funkhaus einen Zettel hinterlassen, auf dem er Interesse für einen Bürosessel anmeldet. Das Polsterteil steht nach wie vor staubbedeckt an seinem Fleck. Die Schreibtischlampe mit dem Hinweis „Flohmarkt“ scheint ebenfalls keine Abnehmer gefunden zu haben. „Radiodirektion“ verheißt ein Schild im dritten Stock. „Live/Sendung – Aufnahme: Bitte leise gehen!“, mahnt ein verblichenes Hinweisschild. Das Funkhaus hat ausgefunkt. Letzte Bilder bleiben.