Eröffnung der Ausstellung: "Aus dem Leben gerissen. Schicksale österr. Jüdinnen & Juden nach dem Anschluss 1938"
Kunst

„Ich glaube, dann könnte es nie wieder Krieg geben“

Die Ausstellung „Aus dem Leben gerissen“ gedenkt dem Schicksal österreichischer Jüdinnen und Juden. Ein Pflichtbesuch.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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In der Mitte der Säulenhalle im österreichischen Parlament steht ein recht unscheinbarer hölzerner Klappstuhl. Vor rund 86 Jahren gehört er Melanie Rabinowitsch. 1938 lebt die Jüdin in Wien, zweiter Gemeindebezirk, kleine Sperlgasse. Nachdem der jüdischen Bevölkerung verboten wird, sich auf öffentlichen Parkbänken niederzulassen, nimmt Melanie einen kleinen Faltstuhl in den Wiener Park mit, wenn sie mit ihrem neugeborenen Sohn spazieren geht. Und jetzt, 2024, steht dieser Klappstuhl hier, mitten im Parlament, als eine Art Mahnmal, aber vor allem als Erinnerung.

Mit dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland veränderte sich der Alltag von österreichischen Jüdinnen und Juden radikal. Leben 1937 noch über 200.000 von ihnen in Österreich, sind es nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur mehr zwischen 5.500 und 7.000. Über 65.000 wurden durch die Shoah ermordet, tausende müssen aus Österreich flüchten.

Die Ausstellung „Aus dem Leben gerissen“ erzählt nun entlang von persönlichen Gegenständen ihre Geschichten. Geschichten wie jene von Melanie Rabinowitsch, die gegen Ende 1938 in die Schweiz und später in die USA emigrieren kann. Oder von Marta Byk, die zum Zeitpunkt des Anschlusses vierzehn Jahre alt ist. Obwohl ihre Mutter ein Einreisevisum für die USA ergattern kann, trennt sich Marta von ihrer Familie. Sie ist Zionistin und will sich anderen Jugendlichen anschließen, die nach Eretz Israel (britisches Mandatsgebiet Palästina) fliehen möchten. In einem Brief an ihren kleinen Bruder Herbert schreibt sie:

„Mein lieber kleiner Herbert! Jetzt haben wir uns schon so lange nicht gesprochen, nicht geohrfeigt, nicht sekkiert, nicht an den Haaren gezogen. Nichts haben wir gemeinsam gemacht, rein gar nichts. Im Juli setzte sich mein kleiner Bruder in ein Taxi, verabschiedete sich von seiner großen Schwester, machte winkewinke, adieu auf Wiedersehen!? – und dann war er weg. Die Wege hatten sich getrennt.

Aber siehst du, ist es nicht eine große Dummheit, dass die Menschen sich immer trennen müssen? Das sie immer sagen wollen, hier Palästina, hier Amerika – wir wollen einer vom anderen nichts wissen; hier Juden, hier Christen, hier Schwarze, hier Weiße. Das ist doch dumm! Wir werden das ganz anders machen! Die Kinder werden den Anfang machen. Meinst du nicht auch, dass es eine schöne Idee wäre, wenn alle Kinder der ganzen Welt versuchen würden sich kennenzulernen und sich zu verstehen. Ich glaube, dann könnte es nie wieder Krieg geben.

Was meinst du, Herbert?“

1941 wird Marta Byk in einem Lager in der Nähe von Belgrad von Nationalsozialisten ermordet.

Die Ausstellung „Aus dem Leben gerissen“ wurde von der internationalen Gedenkstätte Yad Vashem konzipiert und ist noch bis zum 11. November geöffnet. Ein Pflichtbesuch. 

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.