Autor Daniel Wisser
Interview

Autor Daniel Wisser: "Alles überstrahlende Ichs"

Daniel Wisser hat einen Erzählband geschrieben, in dem er ausschließlich Geschichten über Frauen erzählt.

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profil: Herr Wisser, müssen neuerdings Frauen von Männern erfunden werden?

Wisser: Alle literarischen Figuren werden von ihren Autorinnen oder Autoren erfunden – und enthalten zugleich gemachte Erfahrungen. Dieser Spielraum zwischen Fiktivem und Faktischem macht den eigentlichen Reiz des Erzählens aus, egal ob in der Literatur oder in einer Fernsehserie. Diese Freiheit der literarischen Fiktion muss heute absurderweise verteidigt werden.

profil: "Königin der Berge" erzählte die Geschichte eines MS-Kranken, 2021 erschien Ihr Untergangsepos "Wir bleiben noch". Warum nun diese Erzählungen über Frauen?
Wisser: Es war mir wichtig, nach der Brisanz eines Familienromans etwas Leichtes herauszubringen. Mir fehlt in der deutschsprachigen Literatur oft die Unbeschwertheit im Erzählen. Ganz offensichtlich fällt der deutschsprachigen Prosa die Auslassung und Unmittelbarkeit schwerer als der englischsprachigen Literatur.

Der Spielraum zwischen Fiktivem und Faktischem macht den eigentlichen Reiz des Erzählens aus.“

Daniel Wisser

profil: Wie schwierig war es für Sie, überzeugende weibliche Charaktere zu gestalten?

Wisser: Es war deshalb nicht schwierig, weil ich mich auf Schilderungen und Selbsterlebtes verlassen konnte. Ich würde es nie wagen, mir ausschließlich etwas auszudenken. Meine Arbeit besteht darin, Dinge so zu erzählen, dass unterschiedliche Sichtweisen entstehen. Die "erfundene Frau" kommt als Erfindung einer meiner Figuren in einer der Geschichten vor, als Fiktion in der Fiktion.

profil: "Ich bin Madame Bovary", soll Gustave Flaubert auf die Frage geantwortet haben, wer das Vorbild seiner berühmten Romanfigur sei. Sind Sie die Roswitha und Tatjana aus "Die erfundene Frau"?

Wisser: Ich bin stets vorsichtig, solch wuchtig – knappe Ansagen für bare Münze zu nehmen. Gerade Flaubert tüftelte ja äußerst präzise und dialektische Erzählungen aus. Der österreichischen Literatur, die mittels Monolog, Suada und dem Wüten eines alles überstrahlenden Ichs große Schreibende hervorgebracht hat, mangelt es gerade an Dialektik – also an der fortlaufenden Infragestellung von Sachverhalten und deren Deutung.

profil: "It's a men's world" war gestern. Einverstanden?

Wisser: Es ist in Sachen Gleichberechtigung viel geschehen, vor allem seit den 1970er-Jahren, aber noch lange nicht genug. Wenn die amtierende Frauenministerin allen Ernstes sagt, der Feminismus habe den Frauen mehr geschadet als genutzt, darf massiv daran gezweifelt werden, ob wir uns tatsächlich in einer Zeit des Fortschritts befinden.

profil: Die kombinierte Google-Suchabfrage "Österreich" und "Frauen" listet aktuell als beste Treffer Hinweise zum heimischen Frauenfußballnationalteam. Was läuft hier verkehrt?

Wisser: Was falsch läuft, ist die Monopolisierung von Information. Nicht das Suchergebnis ist das Problem, sondern dass es dazu keine Alternativen gibt. Es ärgert mich stets, wenn gesagt wird, heute sei jede Musik, jeder Film, jeder Text im Netz erhältlich. Das stimmt nicht, ganz im Gegenteil. Konzerne wie Amazon und Google lassen längst verlauten: Was bei uns nicht zu finden ist, existiert nicht. Inzwischen folgen unsere Rechtschreibregeln den Google-Treffern-und nicht linguistischen Gesichtspunkten.

profil: In "Tausend kleine Traurigkeiten" zitieren Sie die "Arbeiter-Zeitung" von 1895: "Ist denn der jüngste Tag schon da? / Aus ihren Augen reibt den Schlummer, / Emporgescheucht, Frau Austria." Reibt sich Frau Österreich angesichts steigender Femizide nicht allmählich die Augen wund?

Wisser: Es handelt sich um ein gravierendes Problem, das die Machtlosigkeit der Politik augenscheinlich macht. 27 Jahre mussten von der nominellen Abschaffung des Mannes als Familienoberhaupt 1970 bis zur Möglichkeit der Wegweisung gewalttätiger Männer anno 1997 vergehen. 27 Jahre im Grunde progressiver Politik, die sich um einen breiten Konsens bemühte. Dieser Konsens ist out. Die rechten Parteien verhöhnen ihn bereits öffentlich.

profil: Seit 2009 führt der Duden das Wort "Frauenversteher". Wäre es nicht an der Zeit, den Ausdruck aus dem Lexikon zu verbannen?

Wisser: Alle Wörter, die mit "-versteher" enden, sollte man nicht verwenden – weil sie kein Verständnis, sondern eine Sympathie insinuieren, die vom Sprecher eigentlich kritisiert wird. Es gibt so viel lexikalischen Müll – siehe "Flexitarier". Selbst dieses Unwort bringt es bei Google auf 112.000 Treffer!

Daniel Wisser, 51,

hat bislang sechs Romane veröffentlicht, darunter "Königin der Berge",der 2018 mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Neben der Kolumnensammlung "Tausend kleine Traurigkeiten" hat Wisser, der seit 1994 auch als Musiker mit seiner Band Erstes Wiener Heimorgelorchester glänzt, soeben den Erzählband "Die erfundene Frau" veröffentlicht.

Daniel Wisser: Die erfundene Frau. Erzählungen. Luchterhand, 237 S., EUR 20,70

 

 

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.