Autor David Grossman: "Wir haben viele Gründe, ängstlich zu sein“
Kaum sitzt der Dichter, beginnt er über Politik zu sprechen. Nach einer halben Stunde angeregten Polit-Talks stellt David Grossman etwas vorwurfsvoll fest, dass die Literatur im profil-Interview zu kurz komme. Dabei ist es der israelische Schriftsteller selbst, der bei jeder Gelegenheit von der Prosa zur Politik abdreht. Er brennt für sein Land und vor Wut und Scham darüber, dass nicht nur die Palästinenser den Frieden verhindern, sondern auch die eigenen Leute. Kein Wunder, dass alle mit ihm, dem Friedensaktivisten, über Politik reden wollen.
Neben Amos Oz gehört Grossman zu Israels bedeutendsten Autoren. Manche seiner Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt. 2011 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. So ringen der gefeierte Literat und der gefragte öffentliche Intellektuelle stets um die Vorherrschaft im Leben David Grossmans. Unter dem Titel "Vom leisen Schreiben des lauteren Worts“ wird der Autor am 4. Mai im Wiener Akademietheater auftreten. Grossman wird auf Hebräisch aus seinem neuen Roman "Kommt ein Pferd in die Bar“ (Hanser Verlag, 256 S., EUR 19,90) lesen.
INTERVIEW: TESSA SZYSZKOWITZ
profil: Der Titel Ihres neuen Romans - "Kommt ein Pferd in die Bar“ - klingt nach Witzebuch. Es dreht sich aber um den letzten Auftritt eines Stand-up-Komikers. Sollte es ein trauriges Buch werden? Grossman: Da die Geschichte so tragisch ist, wollte ich sie mit Witzen auflockern. Der Komiker Dovele besticht sein Publikum mit Scherzen, um die Härte der Geschichte abzumildern.
profil: Das klingt wie die Historie der Juden. Nachdem sie Tausende Jahre lang wie Dovele in einem Sandsack von einem zum anderen geworfen wurden, haben sie Humor entwickelt, um das Leben zu meistern. Grossmann: Wir haben noch andere gute Eigenschaften entwickelt. Wenn Sie nach Israel kommen, können Sie spüren, wie lebendig das Land immer noch ist. Es gibt so viele säkulare Wunder, die in Israel geschehen - in Kultur, Landwirtschaft, Industrie und Hochtechnologie. Mir erscheinen andere Länder oft blass im Vergleich.
profil: Sie und linke Autoren wie Amos Oz wurden unlängst von einer rechtsradikalen Randgruppe namens "Im Tirzu“ ("Wenn ihr wollt“) beschuldigt, "ausländische Agenten“ zu sein, weil Sie es wagten, die Regierung zu kritisieren. Grossman: Je mehr die Rechten von den Problemen, die sie nicht lösen können, frustriert werden, desto heftiger werden sie uns angreifen. Ich selbst kann nirgendwo anders hingehen. Ich möchte mein Leben an einem Ort verbringen, der mir etwas bedeutet.
profil: Ist Israel überhaupt noch Ihr Land? Grossman: Eine Gesellschaft, die wie die unsere in einer derart gewalttätigen Welt existiert, wird davon irgendwann infiltriert. Wir haben einen Premierminister, der wie ein Zauberer die realen Risiken mit den Echos der Vergangenheit zusammenmischt. Nach einigen Jahren ist es schwer, zu sagen, was die wirklichen und was die eingebildeten Gefahren für Israel sind. Vergessen Sie nicht, dass wir viele Gründe haben, ängstlich zu sein. Wir sind tief verhasst hier im Nahen Osten. Wenn ich arabische Autoren treffe, wird mir immer wieder klar, dass sie uns als verlängerten Arm des imperialistischen und kolonialistischen Westens sehen.
profil: Einst kämpfte Israel gegen die Palästinenser und die arabischen Nachbarn. Inzwischen sieht es so aus, als ob sich die Israelis auch gegen sich selbst wendeten. Grossman: Wir können beobachten, wie Israel von der tragischen Wunde des Judentums absorbiert wird. Wir sind eine traumatisierte Gesellschaft. Wir ignorieren komplett, dass wir nicht mehr das passive Opfer sind. Wir sind die stärkste Militärmacht in der Region. Und trotzdem sieht sich der durchschnittliche Israeli als ewiges Opfer. Er hält sich mindestens so sehr für ein Opfer wie die Palästinenser. Als gäbe es da ein Gleichgewicht.
Bei meinen Lesungen in Israel ist immer alles gut, solange ich über Literatur rede. Wenn ich von Politik anfange, reagiert das Publikum, als hätte ich es aus einem schönen Traum geweckt.
profil: War die Lage in Israel jemals besser? Grossman: Früher gab es immer noch die Hoffnung, dass wir mit den Palästinensern irgendwann normale Beziehungen pflegen würden. Heute glauben die meisten Israelis daran nicht mehr. Das ist gefährlich, weil ohne Hoffnung sich niemand mehr engagiert.
profil: In Ihrem Buch fragt Dovele seine Fans, woher sie kommen - und sie rufen: Ariel! Efrat! Also aus israelischen Siedlungen im Westjordanland. Er sagt: Wenn ihr hier seid, wer ist dann noch dort, um die Araber zu verhauen? Und dann merkt er, dass die Leute das überhaupt nicht lustig finden. Mehr noch: Sie wollen nichts über Politik hören. Ist das die Realität in Israel? Grossman: Bei meinen Lesungen in Israel ist immer alles gut, solange ich über Literatur rede. Wenn ich von Politik anfange, reagiert das Publikum, als hätte ich es aus einem schönen Traum geweckt. Die Leute kommen zu mir wie zu Dovele, um zu lachen, zu träumen und das wahre Leben zu vergessen. Ich kann aber nicht über Literatur reden, ohne über unsere politische und existenzielle Situation zu sprechen. Mehr und mehr lösen sich jene Leute, die früher der aktive Teil der Bevölkerung waren, von der Politik ab. Es entsteht ein politikleerer Raum. Die Fanatiker, Rassisten und Fundamentalisten füllen dieses Vakuum, diktieren unser Schicksal und die Zukunft unserer Kinder.
profil: Ihr Komiker murmelt einmal: "Abtreten, ja, die Schuhe an den Nagel hängen, kannst dich bei der Gelegenheit gleich daneben hängen.“ Wir wollen hoffen, dass hier nicht der Autor Grossman spricht? Grossman: Keineswegs, ich habe eben einen neuen Roman angefangen.
profil: Denken Sie über das Alter nach? Grossman: Es gibt einen Zeitpunkt im Leben, in dem man auf einer Wellenlänge mit der Welt ist. Dann merkt man plötzlich, dass sich alles beschleunigt, nur man selber nicht mehr. Das Internet macht alles so rasend schnell.
profil: Ihr Roman ist ein literarisches Experiment, alles passiert an einem Abend. Die Erzählung, die wie ein Witz beginnt, verwandelt sich am Ende in einen Thriller. Grossman: Ich habe lange nach einem Weg gesucht, wie ich diese Geschichte erzählen kann. Ein Bub fährt zu einem Begräbnis, aber es hat ihm keiner gesagt, wer gestorben ist: der Vater oder die Mutter.
profil: Als der Bub, von dem Sie erzählen, am Friedhof in Jerusalem ankommt, waren zumindest meine Nerven zerrüttet. Grossman: Verraten Sie Ihren Lesern bloß nicht das Ende!
profil: Würde mir nicht einfallen. Sie kommen am 4. Mai nach Wien. Ist Österreich für Sie noch ein spezieller Ort? Grossman: Die Echos der Geschichte kann man immer noch hören. Es ist allerdings erstaunlich, dass nach solch existenziellen Gräueltaten - und wie sonst sollte man den Holocaust nennen - Sie und ich hier so sitzen können. Sie kommen aus Österreich, ich bin Israeli, und wahrscheinlich denken wir sehr ähnlich über die Shoah und den Rassismus. Ich will hier keinen Vergleich zwischen diesen beiden historischen Situationen anstellen. Dennoch hoffe ich darauf, dass sich alles zum Guten wenden wird - auch für uns Israelis und unsere arabischen Nachbarn.
David Grossman, 62, ist einer der wichtigsten Autoren Israels. Unter seinen frühen Romanen ragen "Das Lächeln des Lammes“ (1983) oder "Stichwort: Liebe“ (1986) heraus. In "Aus der Zeit fallen“ (2013) verarbeitete Grossman, der auch als Friedensaktivist zu den prominentesten Stimmen Israels gehört, den Tod seines Sohnes im Libanonkrieg.