Autorin Maja Haderlap über Haider, Kärnten und den Literaturbetrieb

Schriftstellerin und Bachmannpreis-Gewinnerin Maja Haderlap über das Charisma von Jörg Haider, die Endzeitstimmung in Kärnten und die Dramatisierung ihres Erfolgsromans "Engel des Vergessens“, mit der die neue Saison am Wiener Akademietheater eröffnet wird.

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2011 gewann die in Klagenfurt wohnhafte Autorin Maja Haderlap, 54, den Bachmannpreis für einen Text, der den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die deutsche Wehrmacht anhand der eigenen Familiengeschichte thematisierte. In dem daraus entstandenen, wenig später veröffentlichten Debütroman "Engel des Vergessens“ erzählt ein weibliches Ich von archaischen Landschaften, dem Alltag auf einem Bergbauernhof und den traumatischen Erlebnissen in ihrer Familie: Die Großmutter wurde im KZ Ravensbrück interniert, der schweigsame, zu Gewaltausbrüchen neigende Vater von den Nazis mit Schein-Exekutionen gefoltert, weil er sich als Jugendlicher den slowenischen Partisanen angeschlossen hatte. Haderlaps Text, der sich jedem Pathos verweigert, wird nun auch auf die Bühne gebracht: Premiere im Akademietheater ist am 8. September.

profil: War es für Sie schwierig, den eigenen Roman zu dramatisieren? Maja Haderlap: Es ist immer eine Herausforderung, einen erzählenden Text bühnentauglich zu machen. Bei eigenen Texten ist das noch komplizierter, deshalb hätte ich mein Buch ohne Impuls von außen auch nie dramatisiert. Gemeinsam mit Regisseur Georg Schmiedleitner versuchen wir, noch stärker als im Roman, die grotesken Elemente herauszuarbeiten. Mir war es wichtig, Kitsch zu vermeiden. Der Stoff muss eine eigene Dynamik entwickeln.

profil: Was finden Sie am Theater denn kitschig? Haderlap: Alles glatt Polierte, diese eindeutigen Gefühle, die hergestellt und nicht hinterfragt werden. Gefühle sind nie eindeutig, sondern immer komplex. Idyllen finde ich ebenfalls kitschig - etwa jene, bei denen an verlogene Heimatgefühle appelliert wird.

profil: Haben Sie keine Angst davor, Ihre eigene Familiengeschichte auf der Bühne präsentiert zu bekommen? Haderlap: Ich habe bereits durch den Roman eine große Distanz entwickelt. Die Figuren in "Engel des Vergessens“ haben durch ihre Rezeption ein überraschendes Eigenleben entwickelt. Vor dem Bachmannpreis dachte ich, das sei eine sehr spezielle Geschichte, die auf andere ziemlich fremd wirken müsse. Erstaunlicherweise konnten sich aber viele in den Figuren wiedererkennen. Es gibt anscheinend Identifikationsmomente, die nicht unbedingt auf die Situation der Kärntner Slowenen beschränkt sind.

Ich sehe mich nicht als Sprecherin einer Gruppe. Zuvorderst bin ich Autorin. Ein literarischer Text spricht und wirkt immer anders als die Politik.

profil: Sie gelten als Expertin für die Anliegen der Kärntner Slowenen. Fühlen Sie sich auf dieses Thema festgelegt? Haderlap: Natürlich habe ich einen Stempel. Meine Literatur bekommt Symbolfunktion. Dinge, die man politisch in diesem Land nicht aufgearbeitet hat, meint man plötzlich auf dem Weg der Literatur aufarbeiten zu können. Das ist ein gewagter, etwas riskanter Ansatz. Ich sehe mich nicht als Sprecherin einer Gruppe. Zuvorderst bin ich Autorin. Ein literarischer Text spricht und wirkt immer anders als die Politik.

profil: Fühlen Sie sich nicht als politische Autorin? Haderlap: Ich bin ein politisch denkender Mensch. Aber ich bin nicht ideologisch, was ja gern mit politisch gleichgesetzt wird. Ich schreibe nicht mit erhobenem Zeigefinger. Das überlasse ich anderen.

profil: Melden sich bei Ihnen Zeitungen und Fernsehen, wenn es Wahlergebnisse zu kommentieren gilt? Haderlap: Ich werde öfters gefragt. Aber ich bediene das nur sehr partiell. Ich steige nicht in jedes Fettnäpfchen.

profil: Was wäre denn ein solches? Haderlap: Man könnte sich in der Rolle gefallen, etwas öffentlich zu sagen zu haben. Es schmeichelt dem Ego. Wenn man eine Neigung zu gesteigerter Eitelkeit hat, tappt man leicht in die Falle: Man äußert unausgegorene Dinge - und das nur deshalb, weil man sich gern reden hört. Das finde ich schrecklich, davor bin ich auf der Hut.

profil: Eine gewisse Neigung zur Egozentrik hat doch jeder von uns. Haderlap: Gegen eine gesunde Portion Eitelkeit ist ja auch nichts einzuwenden. Man sollte aber stets einschätzen können, mit welcher Stimme man gerade spricht: was Literatur ist, welche Meinung ich als Staatsbürgerin habe, was Kunst und Literatur vermögen. Ich muss nicht überall meinen Senf dazugeben. Diese Freiheit nehme ich mir.

profil: Entspricht diese Haltung Ihrer individuellen Vorliebe, oder haben die Autoren als Gewissen der Nation inzwischen ausgedient? Haderlap: In den 1960- und 1970er-Jahren war die Rolle der Künstler sicherlich ganz anders definiert. Man empfand sich als moralisches Gewissen. Günter Grass war das Paradebeispiel für einen Autor, der zu nahezu allen politischen Fragen etwas zu sagen hatte. Die Zeiten haben sich geändert: Elfriede Jelinek ist als engagierte politische Schriftstellerin sehr wichtig, obwohl sie öffentlich nicht auftritt. Sie spricht vorrangig über ihre Literatur. Das gefällt mir. Aber nicht nur das Selbstverständnis der Schriftsteller hat sich verändert, auch die Rolle der Literatur in der Gesellschaft insgesamt. Autoren als Sprachkünstler sind marginalisierter. Heute schreibt man zunehmend für den Literaturbetrieb, für den Verkauf, ist Marketingstratege in eigener Sache. In diesem Spektrum muss man sich erst einmal zurechtfinden.

Es gibt den Trend, möglichst junge Talente zu entdecken und sie zwischen 20 und 45 Jahren zu begleiten. Wenn man aber die 50 erreicht, wird es für beide Geschlechter schwierig. Dann wird man schnell uninteressant.

profil: Ist es mittlerweile einfacher, als Frau auf dem Buchmarkt zu reüssieren? Haderlap: Ja, vor allem für junge, fotogene Frauen. Es gibt den Trend, möglichst junge Talente zu entdecken und sie zwischen 20 und 45 Jahren zu begleiten. Wenn man aber die 50 erreicht, wird es für beide Geschlechter schwierig. Dann wird man schnell uninteressant. Vielleicht aber ist alles nur eine Form des Sexismus, dem wir aufsitzen.

profil: Beim Wettlesen 2011 waren Sie knapp über 50 Jahre alt. Haderlap: Ich war beruhigt, dass ich nur die Zweitälteste war. Ich habe mich in der Literatur immer schon als eine Quereinsteigerin empfunden. Deshalb hatte ich weniger Angst vor der Veranstaltung. Ich wäre nicht verzweifelt gewesen, wenn mein Text nicht gewonnen hätte. Mein zweites Standbein ist ja nach wie vor das Theater.

profil: Wie sind Sie zum Theater gekommen? Als Bergbauerntochter scheint die Kunst nicht gerade ein vorgezeichneter Weg zu sein. Haderlap: Ich spielte schon im Kulturverein und in der Schule gern Theater. Vermessen, wie ich war, dachte ich, ich würde später Regie führen. Dann musste ich aber feststellen, dass mir dazu das Talent fehlte. Also studierte ich Theaterwissenschaften. Mich fasziniert noch immer die Energie des Theaters, diese direkte Kommunikation zwischen Zuschauern und Schauspielern, der lebendige Austausch.

profil: Sie haben in Wien studiert. Warum sind Sie nach Klagenfurt zurückgegangen? Haderlap: Ich wollte eigentlich nicht zurück. Ich hatte mich als Dramaturgin an verschiedenen Häusern beworben - dann ist es Klagenfurt geworden. Dietmar Pflegerl war am Klagenfurter Stadttheater ein engagierter Regisseur und Intendant. Er wollte etwas, und das war spannend. In Klagenfurt muss man kämpfen können. Naiv in die Stadt zu kommen und zu glauben, man mache auf einer Provinzbühne einfach nettes Programm: Das hätte niemals funktioniert.

profil: Pflegerl, der ab 1992 in Klagenfurt-Intendant war, setzte von Beginn an auf provokante Inszenierungen. Wie nahmen Sie die Publikumsreaktionen wahr? Haderlap: Mich haben diese Konflikte sehr angestrengt. Ich fand sie zwar wichtig, aber ich musste erst lernen, sie auszutragen. Gerade zu Beginn hatte ich das Gefühl, die ständigen Auseinandersetzungen bedrohten einen bis ins Existenzielle hinein. Das waren in erster Linie meine privaten, zum Teil auch unberechtigten Ängste. Die Reaktionen waren gerade in den ersten Jahren extrem heftig. Man spürte die Aggressionen. Die Leute sprangen 1993 während der Vorstellung von Martin Kušejs "Kabale und Liebe“ etwa schreiend auf. Über 50 Prozent stürmten aus dem Saal, und zwar tobend. Ich saß zitternd und mit Schweißausbrüchen im Theater.

Um gesehen zu werden, stiftete Haider oft ohne nachvollziehbaren Grund Unfrieden. Er hat Menschen gerne herabgewürdigt.

profil: Pflegerl und der damalige Landeshauptmann Jörg Haider trugen auch legendäre Wortgefechte aus. Wie war der Umgang der beiden miteinander? Haderlap: Sie haben sich auf eine Art verstanden, weil sie ähnlich funktionierten, sobald es um die Fragen der öffentlichen Inszenierung ging. Haider hätte das Stadttheater gerne für sich genutzt, musste aber bald einsehen, dass es ihm keine Plattform bot. Er war oft im Theater, aber er war dort nicht der Superstar. Das war für ihn sehr ungewohnt, dass nicht alle devot um ihn herumsprangen. Um gesehen zu werden, stiftete Haider oft ohne nachvollziehbaren Grund Unfrieden. Er hat Menschen gerne herabgewürdigt. Da hatte man als jemand, der zu den üblichen Verdächtigen gehörte, sowieso kein Mitspracherecht.

profil: Haiders berühmtem Charisma sind Sie nicht erlegen? Haderlap: Er war charmant, er konnte sich unter Menschen bewegen, hatte ein Gedächtnis für Namen. Aber dieser Charme war immer mit einer dunklen Seite gepaart. Das erzeugte Verunsicherung und Angst. Er war stets doppelbödig, wenn auch ohne Tiefe. Ich fürchtete nicht ihn, aber seine Politik. Noch mehr musste man sich jedoch vor jenen fürchten, die es ihm rechtmachen wollten.

profil: Wie lebt es sich heute in Klagenfurt, im Schatten des Hypo-Schuldenbergs? Haderlap: Die strukturelle Schwäche des Landes ist offensichtlich, die Abwanderung der Jungen, das Sterben der Dörfer, das Aushungern des kulturellen Lebens. Am schlimmsten ist jedoch, dass die Perspektiven fehlen. Die Politik dieses Landes hat sich zu lange im Schatten des Minderheiten- und Volksgruppenkonflikts versteckt. Es war einfach, auf die nationalistische Karte zu setzen und die Interessen der Bürger gegeneinander auszuspielen. Man musste sich nicht mit den strukturellen Problemen der Region auseinandersetzen. Das fällt uns jetzt auf den Kopf.

profil: Warum wurde die Geschichte der Kärntner Slowenen so lange Zeit nicht aufgearbeitet? Haderlap: Weil man sich nicht damit abfinden wollte, dass es in Österreich zweisprachige Gegenden gibt. Man gaukelte den Menschen vor, Zweisprachigkeit sei ein Regelbruch, Einsprachigkeit die Norm. In einer Ausnahmesituation kann man aber nichts aufarbeiten, schon gar nicht eine so konfliktgeladene Geschichte, wie sie in Südkärnten stattgefunden hat. Seit Österreich Mitglied der EU ist, wird die Mehrsprachigkeit anders gesehen, sie wird etwas Selbstverständliches. Die alten Verschwörungsstrategien lösen sich langsam in Luft auf. Haider hatte noch die alten Muster bedient, und alle waren selig, und zwar nicht nur die Kärntner. Man tut jetzt immer gern so, als sei Haider ein Kärntner Phänomen gewesen. Aber da lügt man sich in die Tasche.

profil: Wie beurteilen Sie die enormen Stimmzuwächse der FPÖ in den Bundesländern? Haderlap: Das politische Unbehagen äußert sich in Österreich gerne als Ressentiment. Und die Menschen vergessen gern und schnell. Wenn etwas schiefgeht, will man vergessen, dass es eine Verantwortung gibt. Unter der Haider-Regierung herrschte lange die Stimmung: Politische Versprechen muss man ohnehin nicht einhalten. Man denke nur an das Hinauszögern bei der Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln. Machen wir Politik als Unterhaltung - und nachher ist es uns wurscht. Auf der einen Seite wettert man gegen Korruption, auf der anderen treibt man sie zur Spitze. Die Politik vertraut auf das Kurzzeitgedächtnis der Wählerschaft.

profil: In Ihrem Elternhaus in Unterkärnten wurde slowenisch gesprochen und viel politisiert. Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt? Haderlap: Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass die Politik gefährlich werden kann. Große Aufmärsche habe ich stets gefürchtet. Ich habe von den Eltern und der Großmutter viel Angst mitbekommen. Gleichzeitig hat man große Erwartungen in die Politik und hofft, dass sie gute Lösungen finden kann.

profil: Führt das nicht zwangsläufig zu Politikverdrossenheit? Haderlap: Im Gegenteil. Ich finde es fatal, dass die Position der Politik als gestaltende Kraft aus der Mode geraten ist. Politiker müssen um ihre Stellung in der Gesellschaft geradezu kämpfen. Man sollte deshalb auch mit vorschneller Politikerbeschimpfung vorsichtig sein, um engagierte Menschen nicht von vornherein abzuschrecken. Politiker zu sein darf kein Job sein, den keiner mehr machen möchte.

profil: Welche Fehler orten Sie bei den Großparteien? Haderlap: Sie denken nicht über den Tellerrand hinaus. Und mutieren zu Lobbyzentralen, die nur die engen Interessen ihrer Klientel im Auge haben, nicht mehr die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Die Politik müsste sich neu erfinden und zu ihren gemeinschaftlichen Grundsätzen zurückkehren. Es geht darum, Politik jenseits von Parteipolitik zu diskutieren. Im Moment aber geht es allein um Frustabfuhr - wovon einzig die FPÖ profitiert.

Maja Haderlap, 54, gilt als bedeutende lyrische Stimme unter den slowenisch schreibenden Österreicherinnen. Sie arbeitet als Übersetzerin und war von 1992 bis 2007 Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. 2011 gewann sie den Bachmannpreis mit einem Textauszug aus ihrem Roman "Engel des Vergessens“, der die Geschichte ihrer Familie und den Widerstand der Kärntner Slowenen thematisiert.

Karin   Cerny

Karin Cerny