Hotel Edelweiss
In Obertauern, 200 Einwohner, hochalpine Lage, selbst ernannter schneereichster Wintersportort Österreichs, gehören die Beatles heute zur Dorfmöblierung. Vor dem „Hotel Edelweiss“, in dem die Musiker abgestiegen waren, thronen Figuren von Paul, George, John und Ringo wie kolossale Zinnsoldaten, am Berg dürfen die Standbilder der Fab Four Schabernack treiben. Zwölf Kleinbildfilme, rund 350 Fotos, von denen bislang 41 den Weg an die Öffentlichkeit fanden: Das ist Christian Skreins Beatles-Bilanz.
Obertauern hat Skrein nie ganz losgelassen. Er hat die Wiener Gruppe als Ensemble finster dreinblickender Männer, den Künstler Joseph Beuys als Biedermann und die Schauspielerin Catherine Deneuve in einem zerwühlten Hotelbett fotografiert. „Vogue“ und „Harper’s Bazaar“ beauftragten ihn. Skrein war dabei, als Fürstin Grace Kelly in Hinterbrühl bei Wien ein SOS-Kinderdorf besuchte, er inszenierte den Dichter Oswald Wiener inmitten von Häuserruinen als Mann mit Schlosserhammer. Skrein, der, ausgenommen für Familien- und Katzenfotos, seit Jahrzehnten keine Kamera mehr anrührt, besitzt außerdem eine der großen privaten Fotosammlungen der Welt: Neil Armstrongs Fußabdruck im Mondstaub 1969, Cartier-Bressons Eunuch am Hof des chinesischen Kaisers 1949, Alfred Eisenstaedts Kuss am Times Square 1945, Alberto Kordas revolutionären Che Guevara 1960, dazu Hunderttausende Schnappschüsse anonymer Fotografen. Doch da ist und bleibt immer auch Obertauern.
„Jeder berühmte Fotograf hat ein wirklich bekanntes Bild, das ihn unsterblich macht“, sagt Skrein, der von Selbstzweifeln und falscher Bescheidenheit nie im Übermaß angekränkelt war. „Mein Foto sind die Beatles am Airport.“ In Skreins Geschichten verrutschen bisweilen die Maßstäbe. Viel Skrein. Bisschen Beatles. Irgendwann räumt er schelmisch ein, dass wohl keiner der vier Musiker seinen Namen je gekannt, geschweige denn sich gemerkt hätte. Ausschlaggebend war allein, dass jemand die Ski-Hokuspokus-Performance auf 35-mm-Film bannte.
Pilzkopf mit Echthaar
13. März 1965, Salzburger Stadtteil Maxglan, 14.18 Uhr. Die Beatles landen in Österreich. Gekreische und Protest am Flugfeld, Plakate mit Herzchen und „Beatles go home“-Banner. Beatlemania versus Moralmanie. Als die Beatles auf dem Rollfeld die Treppe hinuntersteigen, steht Skrein mit seiner Leica und mitgebrachtem Steirerhut in der ersten Reihe. Steirerhut auf Pilzkopffrisur, Skreins ursprüngliche Idee, lässt sich jedoch nicht verwirklichen. Auf Skreins bekanntestem Foto, das seit Jahrzehnten durch internationale Museen wandert, sind schließlich die vier Musiker auf der Gangway zu sehen, am linken unteren Rand ragt der Steirerhut ins Bild. „Der Hutträger war ein Journalistenkollege, der später ein wichtiger Berater und Mitarbeiter in der Präsidentschaftskanzlei am Wiener Heldenplatz werden sollte“, lüftet Skrein ein letztes Geheimnis. Skrein, der grundsätzlich exakte Daten und Zahlen parat hat, irrt jedoch in diesem Fall. Auf Nachfrage von profil erklärt der vorgebliche Steirerhutträger, er sei bei der Ankunft der Beatles nicht am Flughafen gewesen, habe aber später als Journalist bei der Pressekonferenz im Salzburger Hotel „Österreichischer Hof“, bei der John Lennon unter anderem wissen wollte, wer denn dieser Mozart gewesen sei, auf Aufforderung George Harrison an den Haaren gezogen, um zu beweisen, dass diese echt gewesen seien. Es war eine andere Welt. Es klingt wie ein Show-Stück aus ferner Märchenzeit.
Ebenfalls fast sagenhaft, wie Skrein Beatles-Berichterstatter am Berg wurde. Er war auf Besuch in Hamburg, als er die Band zum ersten Mal nach einem Konzert im Backstage-Bereich traf. Herumalbern und Gelächter. Irgendwann das Spiel „Winner & Loser“. Ob Chris, warf ein Beatle die Frage in den Raum, wohl ein Gewinner oder Verlierer sei? Die vier Musiker stimmten per Handzeichen ab. Skrein war ein Gewinner. Er könne, wenn er wolle, deshalb gern in diesem österreichischen Alpendorf fotografieren, wo bald irgendein Film mit ihnen, Paul, George, John und Ringo, gedreht werde. Von da an ist die gemeinsame Geschichte von Christian Skrein und den Beatles kaum mehr voneinander zu trennen, auch wenn die Erinnerung daran mit Sicherheit nur noch ab und zu in Skrein zu wühlen scheint. Den Beatles selbst war Skrein stets ein Unbekannter. „Die Beatles waren faul und zum Skifahren völlig untalentiert“, erinnert er sich. „Alles geschah während der Dreharbeiten in Obertauern rein zufällig, wie es sich gerade ergab. Ein Drehbuch stand offiziell für all jene zur Verfügung, die glaubten, einen Film hier zu drehen.“ Ist er als Herr über Hunderttausende Fotos, die in seinen Archiven lagern, eigenen und gesammelten, enttäuscht, vor allem für das eine Beatles-Bild vom Salzburger Flughafen bekannt zu sein? Er scheucht mit einer Handbewegung die Frage aus dem Zimmer, auf den Wolfgangsee hinaus. „Es soll einem nichts Schlechteres passieren, als mit einem Foto, auf dem die Beatles samt Steirerhut zu sehen sind, international bekannt zu werden“, sagt Skrein. Immer Gewinner.