Bela B Felsenheimer: "Als Autor bin ich ziemlich gnadenlos"
profil: Herr Felsenheimer, als Leser weiß man anfangs nicht: Ist „Scharnow“ nun Horrorroman, Agententhriller oder doch Liebesgeschichte? Bela B: Für mich ist es am ehesten eine Heimat-Groteske mit Science-Fiction und Genre-Elementen. Es geht um Menschen, die in ihrer vermeintlichen Dorf-Idylle versuchen, mit dem Leben zurechtzukommen – und dabei gar nicht merken, welche fantastischen Dinge rund um sie herum passieren.
profil: Im Zentrum Ihres Debütromans steht ein Supermarktüberfall in der fiktiven brandenburgischen Provinzstadt Scharnow. Es geht aber auch um ein Attentat, Verschwörungstheorien, syrische Flüchtlinge und mordlüsterne Bücher. Wie sind Sie beim Schreiben vorgegangen? Bela B: Ich habe einfach drauflos geschrieben. Beim Schreiben war ich Autodidakt, wollte mir bewusst keine Regeln auferlegen. Effektiv habe ich zwei Jahre an meinem Roman geschrieben und habe viel Zeit in die Erschaffung der Figuren gesteckt. „Scharnow“ ist im besten Sinne ein Ensemblebuch.
profil: Zwischendurch haben Sie mit David Schalko noch die TV-Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gedreht? Bela B: Genau. Für die Dreharbeiten bin ich dann schon früher nach Wien gekommen, um in naheliegenden Cafés noch etwas Zeit für meinem Roman abzuzweigen.
profil: Im Vergleich zu Serienproduktion oder Konzerttourneen ist das Schreiben eine durchaus einsame Tätigkeit. Haben Sie diese Zeit genossen? Bela B: Das war ein großer Genuss. Ich habe mich zwischendurch nur mit meiner Lektorin getroffen, um bestimmte Handlungsstränge und Figuren zu besprechen. In meinem Roman kommen aber so viele Figuren vor, dass es wieder einer Crew ähnelt. Möglicherweise habe ich die Arbeit im Team doch so sehr vermisst, dass ich mir eins geschrieben habe.
profil: Eine zentrale Rolle in „Scharnow“ spielt der syrische Flüchtling Hamid. Soll Ihr Roman auch ein Statement sein? Bela B: Hamids Schicksal ist natürlich sehr aktuell. Auch der BsB (Bund skeptischer Bürger) oder die Fake-Nazis im Buch kann man so verstehen. Die Gegenwart wollte ich nicht verschweigen. Dennoch ist es eine Geschichte, die ich zuallererst für mich geschrieben habe. Als Künstler ist das für mich die einzig richtige Herangehensweise. Wenn ich einen neuen Song schreibe, komponiere ich ja auch ein Lied, das in erster Linie mir gefallen muss. Mit Hamid habe ich eine Figur kreiert, die für mich und den Leser neutral auf den ganzen Irrsinn in Scharnow schaut.
profil: Den syrischen Flüchtling haben Sie aber bewusst eingebaut, oder? Wollen Sie Ihre Leser auch wachrütteln? Bela B: Das geht vielleicht besser im direkten Gespräch. In Europa sind die Fronten im Moment so verhärtet, dass das Flüchtlingsthema nicht so leicht zu lösen ist. Wenn mein Buch ein Denkanstoß sein kann, dann vielleicht in der Hinsicht, dass auch die Seele der düstersten und menschenverachtendsten Typen nicht verloren sein muss.
profil: In Ihrem Roman gibt es den so genannten „Bund skeptischer Bürger“, eine militante Gruppe, die sich ihr Weltbild aus Verschwörungstheorien zusammenbastelt. Warum hängen viele Menschen kruden Weltverschwörungen nach? Bela B: Das hat viel mit Unsicherheit zu tun. Einer meiner Protagonisten wendet sich just gegen die einzige Person, die ihm nahe ist. Das ist durchaus tragisch. Das Misstrauen treibt ihn ins Internet, wo er sich in unterschiedlichsten Verschwörungstheorien verliert. Dieser Mensch könnte eigentlich glücklich sein, gibt sein Glück aber für Ideen auf, die ihn in seinem Misstrauen abholen. Ich habe das aber bewusst nicht alles ausformuliert. Unterfordern möchte ich meine Leser nicht.
profil: Dennoch sind selbst die unsympathischsten Typen in Ihrem Roman durchaus liebenswert. War das beabsichtigt? Bela B: Einige Figuren haben mich selbst überrascht. Im Prolog gibt es diesen Literaturblogger, ein schluffiger Typ, der von einer Erbschaft lebt und im Internet Bücher verreißt. Nicht der sympathischste Kerl. Ich habe ihm aber eine durchaus lyrische Fähigkeit angedichtet – das hat mir total Spaß gemacht. Dann gibt es einen Typen, der sich nur Sieben nennt, ein ehemaliger Hooligan, der immer mal gerne zuhaut – und dann doch plötzlich Glücksgefühle zulässt. Hinter einer Fassade kann sich viel offenbaren.
profil: Ihr Roman ist nostalgisch, ist aber auch im Hier und Jetzt verankert. Filmfreaks schauen sich Horror-Klassiker auf VHS-Kassetten an, während im Supermark ein syrischer Flüchtling arbeit. War es wichtig, dass die Geschichte einer genauen Zeit zuzuordnen ist? Bela B: Das war ausschlaggebend. Diese Geschichte rund um das Attentat und die Weltverschwörungsgeschichte hat ja mit der Gegenwart zu tun. Das Internet spielt eine große Rolle. Dem gegenübergestellt gibt es eine starke antidigitale Haltung, die speziell von den Aussteigern des „Pakt der Glücklichen“ gelebt wird.
profil: Sind Sie nostalgisch veranlagt? Bela B: Es ist nicht unbedingt eine Sehnsucht von mir, dass wir alle wieder Betamax-Videokassetten anschauen. Ich finde den Gedanken aber schön, dass Menschen ihre Ruhe in alter, vergangener Technik suchen. Ich selbst bin besessen von Vinyl zum Beispiel.
profil: In einer schönen Szene Ihres Buches weiß man nicht, was zwei frisch verliebten Teenagern wichtiger ist: die Schmetterlinge im Bauch oder die Klicks auf YouTube … Bela B: … ja, die Zerrissenheit der Jugend! Das ist für mich ein Trip back down memory lane. Ich bin ja selbst keine 17 mehr. Es gibt den ersten Kuss, dann passieren tragische Dinge, sie sehen sich wieder und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Das Mädchen ist in meinem Roman die Botschafterin aus der Moderne, die in diesem piefigen Dorf in einem Internet-Café sitzt und feststellt, dass sie über Nacht zum YouTube-Star geworden ist. Für sie ist das ein Sturm der Gefühle. Als Autor bin ich da ziemlich gnadenlos.
Die Arbeit an dem Buch habe ich ziemlich lange geheim gehalten. Ich wollte mir die Möglichkeit offen halten, immer noch einen Rückzieher machen zu können.
profil: „Scharnow“ haben Sie Ihrer eigenen Jugend in Spandau gewidmet. War der Berliner Westbezirk vergleichbar mit einer kleinen Provinzstadt? Bela B: Innerhalb Westberlins war Spandau außen vor. Es gab drei Straßen, die in die Stadt raus führten, wie die Spandauer sagten. Es gab eine Disco, in der es für uns immer eins aufs Maul gab. Dann gab es eine Hippie-Disco, in der sich Farin Urlaub und Bela B kennen gelernt haben – und es gab ein paar Jugendheime, wo zwar um zehn Uhr Abends Schluss war, dafür aber Punkrock gespielt wurde. Das Gefühl der Provinz kenne ich aus dieser Zeit nur zu gut.
profil: Hatten Sie beim Schreiben auch Zweifel? Bela B: Durchaus. Ein Ghostwriter kam für mich aber dennoch nicht in Frage. Die Arbeit an dem Buch habe ich ziemlich lange geheim gehalten. Ich wollte mir die Möglichkeit offen halten, immer noch einen Rückzieher machen zu können. Den Vorschuss hätte ich dann ohne Reue zurückgezahlt.
profil: Was hat Sie gerettet? Bela B: Ich hatte einmal ein tiefes Ideenloch von drei Wochen. Gerettet haben mich meine Figuren. Die waren schon so plastisch, so weit gediegen, dass sich die weiteren Handlungsverläufe ganz natürlich ergeben haben. Sie haben mich bei der Hand genommen und sind gemeinsam mit mir durch die Blockade gegangen.
Bela B Felsenheimer, 56
ist seit 1982 Schlagzeuger und Sänger der Band Die Ärzte. Der gebürtige Berliner und erklärte Horrorfilmfan tritt immer wieder auch als Schauspieler und Hörspielsprecher in Szene. Als Solokünstler hat er zudem vier Alben veröffentlicht. Am 1. April liest Bela B im Wiener Rabenhof Theater gleich zwei Mal aus seinem Romandebüt „Scharnow“.