Bilanz der Wiener Festwochen: Kontrollfreak im Gemüsegarten
Die Wiener Festwochen hatten lange eine komplizierte Struktur, die ihnen allerdings inhaltliche Breite garantierte. Der französische Starregisseur Luc Bondy leitete sie ab 2002, inszenierte selbst und lud etablierte Regie-Freunde ein, während seine Schauspielchefinnen Marie Zimmermann (2002-2007) und Stefanie Carp (2008-2013) für ein innovatives Performance-und Schauspielprogramm sorgten. Auch der Pianist Markus Hinterhäuser (2014-2016) hatte als Intendant renommierte, eigenständig agierende Festivalexperten wie Frie Leysen und Stefan Schmidtke an seiner Seite. Mit Tomas Zierhofer-Kin (2017-2018) begann die Zeit der heillos überforderten Alleinintendanten. Was man dem glücklosen Zierhofer-Kin allerdings lassen muss: Er hat das überalterte Festwochenpublikum deutlich verjüngt.
Eine der ersten Amtshandlungen von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler war 2018 die Kündigung von Zierhofer-Kin mit anschließender Ernennung des belgischen Kurators Christophe Slagmuylder zum neuen Intendanten. Der 55-Jährige hatte zuvor das Kunstenfestival in Brüssel geleitet, eine performancelastige Veranstaltung, die Einkäufer aus aller Welt anlockt. Die Wiener Festwochen aber waren schon immer ein Publikumsfestival. Ihre Aufgabe war es, künstlerische Lücken zu schließen, die der Rest des Kulturjahres offengelassen hatte. So ist einst die Kunsthalle am Karlsplatz als Provisorium entstanden, weil vorher bestimmte Ausstellungen nicht in Wien Halt gemacht hatten. Um die Festwochen sinnvoll zu programmieren, braucht es also eine Analyse der heimischen Kulturlandschaft. Slagmuylder aber, der laut Insidern als Kontrollfreak und Einzelkämpfer gilt, möchte ein Kunstenfestival XXL machen: kleine bis kleinste Performances und Tanz – all das, was es in Wien ohnehin zur Genüge gibt. Mit innovativem Schauspiel, das auch deshalb hierzulande fehlt, weil das Burgtheater unter Martin Kušej eher freudlos dahindümpelt, kennt der Festwochen-Intendant sich nicht aus. Davon zeugt auch das Gastspiel des gefeierten deutschen Regisseurs Christopher Rüping. Mit "Der Ring des Nibelungen" wurde eine wenig dynamische Arbeit präsentiert, die vor allem aus Monologen besteht. Rüping kann szenisch deutlich mehr. Warum lädt man für sein Wien-Debüt keine aussagekräftigere Inszenierung ein?
Slagmuylder steht für Tanz, der oft in Ethnokitsch abgleitet, wie heuer in "Encantado" von Lia Rodrigues aus Brasilien, das zwar tänzerisch mitreißend, aber diskursmäßig aus der Zeit gefallen wirkte, weil indigene Tänze und Musik als "exotische" Lebensfreude beim Wiener Publikum ankamen. Das Festival verliert sich auch in exzentrischen, oft zu minimalistischen Liederabenden. Slagmuylder betreibt die Festwochen wie einen kleinen Gemüsegarten, alles muss nach seinem Geschmack sein. Er kuratiert mitunter wie ein Zen-Mönch: Je weniger auf der Bühne passiert, desto besser. Vieles ist weder sinnlich noch intellektuell herausfordernd. Zwei Tiefpunkte: Der Schönberg-Liederabend "Friede auf Erden" – im Programm wurde ein synästhetisches Gesamtkunstwerk angekündigt, obwohl kaum etwas szenisch gestaltet war. Auch Caroline Peters enttäuschte mit "Die Maschine steht nicht still", einem Monolog, der recht oberflächlich mit altbekannten Sci-Fi-Retro-Elementen spielte.
Sieben Arbeiten, die heuer beim Kunstenfestival zu sehen sind, finden sich nun auch im Programm der Festwochen – sonderlich exklusiv ist das nicht. In Brüssel sind diese Produktionen zudem billiger zu sehen. Die Festwochen-Preise sind zu hoch für das Gebotene. Es gelang den Festwochen heuer nicht einmal, seine Stars zu vermarkten. Kaum jemand wusste, dass die französische Filmschauspielerin Adèle Haenel in "Der Teich" zu Gast war – die stärkste Arbeit bislang. Isabelle Huppert zog zwar das Publikum in einem eher konventionellen "Kirschgarten" an, aber niemand vermittelte, dass mit Alex Descas, der schon mit Claire Denis und Jim Jarmusch gedreht hatte, ein weiterer Filmstar auf der Bühne stand. Die Festwochen sind hermetisch geworden, sie haben ein reales Kommunikationsproblem. Man weiß zudem nicht, welches Publikum sie ansprechen wollen – am ehesten noch ImPulsTanz-Begeisterte, was allerdings unter "Wildern in fremden Jagdgründen" fällt. Ein Programm, das nur dem Intendanten gefällt, ist eben eindeutig zu wenig.