Salzkammergut 2024: „Das Blaue vom Himmel versprochen“
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Die Ergebnisse einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts Spectra, das im Auftrag der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS) im November des Vorjahres 800 Personen befragte, sind ernüchternd. An beachtlichen 84 Prozent der Menschen in Oberösterreich, so das IWS, sei das Kulturhauptstadtjahr 2024 spurlos vorbeigegangen. Im Kern- und Umland – in den Bezirken Gmunden, Vöcklabruck, Kirchdorf und Wels – waren ebenfalls wenige zu begeistern: 75 Prozent aller Befragten nahmen vom Kultur-Großprojekt „Salzkammergut 2024“ trotz niederschwelligen Angebots – der überwiegende Teil der Veranstaltungen fand bei freiem Eintritt statt – keinerlei Notiz.
Die wirtschaftliche Bilanz lässt ebenfalls zu wünschen übrig: Von Jänner bis Oktober 2024 steigerte sich die Zahl der Ankünfte in der gesamten Region um lediglich 3,6 Prozentpunkte im Vergleich zu 2023. Das Nächtigungs-Plus betrug bescheidene 2,2 Prozentpunkte. „Diese Zahlen spiegeln nicht den großen Aufbruch wider, der für dieses Jahr und im Nachklang prognostiziert wurde“, urteilt IWS-Chef Gottfried Kneifel.
Zerflederung und Zerfransung
Spectra-Geschäftsführer Stephan Duttenhöfer führt die ausgebliebene Breitenwirkung auf folgenden „Kardinalfehler“ zurück: 23 Gemeinden der Region mit ihren 140.000 Bewohnern taten sich zur europäischen Kulturhauptstadt zusammen – woraus vor allem „Zerflederung und Zerfransung“ resultierten. 31 Millionen Euro betrug das Kulturhauptstadtjahr-Budget, wovon rund die Hälfte ins künstlerische Programm geflossen ist; 15,2 Millionen Euro wurden für Personalkosten, Verwaltung und Marketing ausgegeben. Die finanzielle Bezuschussung der einzelnen Gemeinden, die sich in Oberösterreich und der Steiermark zusammenfanden, lag in Summe bei 2,6 Millionen Euro. Hat sich das Investment gelohnt? Mitnichten. Für viele kleine Gemeinden war das Hauptstadtjahr im besten Fall ein Nullsummenspiel. Bad Ischl steigt immerhin besser aus – allerdings nur kurzfristig. Das Plus an Nächtigungen von fast zehn Prozent lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass das Gros der 2800 Projektbeteiligten und Künstler aus 73 Ländern, dazu 700 Medienvertreterinnen und -vertreter aus 21 Ländern sowie zahlreiche Delegationen in der Bannerstadt abgestiegen sind.
Viel Schwammiges, wenig Konkretes
Das sogenannte Bidbook war die Grundlage der Salzkammergut-Bewerbung. Neben viel Schwammigem ist darin wenig Konkretes abgebildet: So sollte der geschichtsträchtige Bad Ischler Casino-Keller, ein mittelalterliches Souterrain in desolatem Zustand, zum offenen Kulturzentrum umgestaltet werden. Geplantes Investitionsvolumen von 2021 bis 2023: eine Million Euro. Vorhaben gescheitert, ebenso wie das sogenannte Leuchtturmprojekt Lehár-Theater in Bad Ischl. Das altehrwürdige Haus, seit 2023 im Besitz der Stadtgemeinde, sollte laut Bewerbungsbuch 2022/23 um 7,5 Millionen Euro saniert werden und pünktlich zu Beginn des Kulturhauptstadtjahrs neu erstrahlen. Die wenigen Veranstaltungen, die in den Räumlichkeiten des stillgelegten Theaterhauses passierten, fanden indes ohne Sanitäranlagen und funktionierende Heizung statt. Die Wiedereröffnung wurde auf 2027 verschoben, die Kostenschätzung liegt aktuell bei zehn bis zwölf Millionen Euro.
Gmunden ist die Sanierung des Stadttheaters durchaus gelungen – wenn auch nicht, wie geplant, bereits 2020, sondern im Hauptstadtjahr, mit allerdings dramatisch überzogenem Budgetrahmen: aus den geplanten 0,3 Million Euro wurden am Ende 4,4 Millionen.
Der Titel „Kulturhauptstadt“ habe Gmunden geholfen, ist sich zumindest ÖVP-Bürgermeister Stefan Krapf sicher. Diese Auffassung teilen auch die Bürgermeisterinnen von Bad Ischl (Ines Schiller, SPÖ) und Steinbach am Attersee (Nicole Eder, ÖVP). Beide sind davon überzeugt, dass die Verwirklichung ihrer jeweiligen Projekte – die Sanierung der Lehár-Villa und des Ischler Stadtmuseums beziehungsweise die Renovierung der in die Jahre gekommenen Steinbacher Sporthalle – auf die Kulturhauptstadt zurückführen sei. Zur näheren Erläuterung: Es floss keineswegs dank des Hauptstadttitels EU-Fördergeld, vielmehr zeigte sich das Land Oberösterreich großzügig.
Bewerbungs- oder Märchenbuch?
Stephan Rabl, der erste Intendant der Kulturhauptstadt, der im November 2020 geholt und im März 2021 vor die Tür gesetzt wurde, bezeichnet die Erwartungen, die geschürt worden waren, um einzelne Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der teilnehmenden Gemeinden zu überzeugen, schlicht als „verwerflich“: Man habe ihnen, um sie für die gemeinsame Idee zu gewinnen, das Blaue vom Himmel versprochen. „Auf dieser Grundlage wurden die jeweiligen Gemeinderäte überzeugt“, kritisiert Rabl nun im ersten Interview nach seinem Rauswurf.
Aus dem Protokoll einer Sitzung des Gemeinderats der Stadtgemeinde Laakirchen vom 24. September 2019 geht etwa hervor, dass man den Kommunen für den Einsatz ihrer finanziellen Mittel hundertprozentigen Rückfluss versprach, 75 Prozent sollten in Cash für kommunale Projekte refundiert werden. Außerdem stellte man in Aussicht, dass die restlichen 25 Prozent zwischen 2020 und 2025 in Form von Förderungen zurückfließen würden. Ein Versprechen, das sich in vielen der 22 Gemeinden nicht erfüllt hat.
Das Bewerbungsbuch, das diese großen Pläne beschreibt, war nicht mehr als ein Märchenbuch. Die Organisationsstruktur, die vorgeschlagen worden war? Letztlich völlig anders aufgestellt. Ursprünglich war keine künstlerische Leitung vorgesehen, stattdessen sollte ein siebenköpfiges Direktorium als oberster Entscheidungsträger eingesetzt werden. Damit wollte man sich vom bisher üblichen Einzelintendanz-Konzept abheben. Es kam anders. Die Kulturmanagerin Elisabeth Schweeger wurde zur Intendantin ernannt.
Entsprechend schlecht sei die Stimmung von Anfang an gewesen, erinnert sich Rabl. Die offizielle Erklärung, Rabls Rauswurf betreffend, lautete: Man müsse sich aufgrund „unterschiedlicher Zugänge zur inhaltlichen Ausrichtung des Projekts sowie zur Kommunikation nach innen und außen trennen“. Bis heute macht man Rabl für den grandios missglückten „Open Call“ verantwortlich, bei dem von 1000 eingereichten Projektvorschlägen 900 abgelehnt wurden. Der „Open Call“, versichert Rabl, sei ursprünglich die Idee von Hannes Heide gewesen, der für die SPÖ im Europaparlament sitzt und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl war. „Der Open Call war schon deshalb absurd, weil der Großteil des Budgets bereits verplant gewesen war, weshalb von Anfang an klar war, dass viele zusätzliche Projekte nicht umgesetzt werden können“, sagt Rabl.
Was bleibt?
Graz 2003 und Linz 2009, die bisherigen Europäischen Kulturstädte Österreichs, hatten es finanziell betrachtet weitaus leichter als das Salzkammergut. Die Budgets betrugen rund das Doppelte, zudem wurden mehrere Hundert Millionen Euro zusätzlich in Plätze, Straßen und Gebäude investiert. Bis heute erinnern in Graz die Murinsel, das Kunsthaus, die Listhalle, die Stadthalle, das Kindermuseum und das Literaturhaus daran. Das um fast 30 Millionen Euro erweiterte Linzer Ars Electronica Center wurde pünktlich zum Start des Linzer Kulturhauptstadtjahres wiedereröffnet, ebenso der Südflügel des Linzer Schlosses, damaliger Kostenpunkt: 24 Millionen Euro.
Abgesehen von diesen Großprojekten „überlebten“ auch Linz09-Formate wie der „Höhenrausch“. Die Ausstellung über den Dächern der Stadt war mit mehr als 270.000 Besuchern bis ins Jahr 2021 hinein ein Publikumsmagnet. Immerhin konnte sich das eine oder andere Projekt in den 2009-Folgejahren aus dem mit rund 1,7 Millionen Euro dotierten Restmitteltopf im Linzer Veranstaltungskalender einen Platz sichern.
Einen solchen gibt es nach Ende des Kulturhauptstadtjahres im Salzkammergut nicht. Das 31-Millionen-Budget ist restlos aufgebraucht. Rien ne va plus. Bei der Abschlusspressekonferenz vor wenigen Wochen stellte die kaufmännische Geschäftsführerin Manuela Reichert klar, dass Gelder über 2024 hinaus gar nicht fließen dürften. Für jene Projekte, die sich bewährt hätten – siehe „Hammer“ in Scharnstein, „Der Weg des Salzes“ in Hallstatt, das Ischler „Wirtshauslabor“ –, müsse deshalb eine eigene Nachfolgeorganisation gegründet und „frisches Geld“ aufgestellt werden. Woher dieses kommen soll, bleibt unklar. Dass sich die betroffenen Gemeinden noch einmal bereit erklären werden, in ihre Kassen zu greifen, darf bezweifelt werden.
An das Experiment, erstmals einer ländlichen Region den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ zu verleihen, schließt in der 40-jährigen Kulturhauptstadtgeschichte nahtlos die Premiere eines länderübergreifenden Zusammenschlusses an, Städte in Italien (Gorizia) und Slowenien (Nova Gorica) sowie das deutsche Chemnitz mit dem Titel zu adeln. Guter Rat ist zuweilen nicht teuer: Man möge sich 2025 nicht der Illusion hingeben, mehr als einen Veranstaltungsreigen hinzubekommen.