Birgit Minichmayr: „Ich hatte Angst vor Stillstand”
profil: Sie sind kürzlich von München nach Wien gezogen. Wie ist es, wieder daheim zu sein? Birgit Minichmayr: Ich genieße es gerade extrem. Ich habe meine Wohnung im 9. Bezirk ja nie aufgegeben, auch als ich an der Volksbühne in Berlin gespielt habe oder in München engagiert war. Ich arbeite seit einem Jahr frei, nach 16 Jahren Ensemblearbeit möchte ich nicht mehr fix an ein Theater gebunden sein. Das ist unglaublich befreiend.
profil: Muss man als Ensemblemitglied ständig darum betteln, besetzt zu werden? Minichmayr: Ich habe schnell schöne Rollen spielen dürfen. Bisher dachte ich, ich brauche ein Ensemble aus einem Zugehörigkeitsgefühl heraus. Gleichzeitig fand ich es immer mühsam, anfragen zu müssen, ob ich für einen Filmdreh frei haben könnte. „Machtspiel“ ist ein zu großes Wort, aber es gab immer einen Deal, den man eingehen musste. Ich wollte diese Deals nicht mehr.
profil: Man wird als Schauspielerin offenbar gern als „Besitz“ gehandelt. Zwischen dem inzwischen entlassenen Burg-Chef Matthias Hartmann und dem Residenztheater-Leiter Martin Kušej gab es 2011 einen testosterongeladenen Streit, wem die Minichmayr denn nun gehöre. Minichmayr: Ja, das war komisch, dieses Kommunizieren von Verträgen über die Presse, dieses Verkünden, wer nun bei wem sei. Ich hatte das Gefühl, das ist ein Stellvertreterkrieg, ich werde da in etwas hineingezogen, das ohnehin nichts mit mir zu tun hat.
profil: Die beiden Intendanten konnten nicht gut miteinander und stritten deshalb über eine Schauspielerin? Minichmayr: Das hatte ein bisschen etwas von „welcher Fußballclub hat welcher Spieler“. Ich habe mir diese Diskussion aber möglichst vom Leib gehalten. Im Theater geht es doch nicht um Besitz. Ich kannte das von Hartmanns Vorgänger Klaus Bachler gar nicht. Da gab es keine Ressentiments, als ich nach Berlin an die Volksbühne wollte. Bachler meinte bloß: „Bevor ich am Burgtheater aufhöre, wäre es fein, wenn du nochmals hier was machst.“ Das habe ich dann ja auch getan. Aber nicht aus Pflichterfüllung. Er hat verstanden, dass ich aus Wien weg musste, dass es für mich wichtig war, mich zu verändern. Ich war so jung, als ich ans Burgtheater kam. Die Vorstellung, dort ein Leben lang zu bleiben, hat mich beengt. Ich hatte Angst vor Stillstand.
profil: Sie wollen dereinst also nicht als Ehrenmitglied feierlich im Sarg um das Burgtheater getragen werden? Minichmayr: Es fällt mir jetzt schon schwer, meinen Geburtstag mit Freunden zu feiern. Ich weiß nicht, ob ein pompöses Begräbnis für mich das Richtige wäre. Aber vielleicht verändert sich diese Sicht ja, wenn die eigene Endlichkeit näher rückt. Gerade ist das alles viel zu weit weg. Der Gedanke, dass Leute vor der Burg Schlange stehen, um meine Leiche zu sehen, beschämt mich eher.
Es ist ja nicht so, dass man sich am Burgtheater bereichern konnte, zumindest nicht als Schauspielerin.
profil: Wie ist es, wieder am Burgtheater zu arbeiten: Spüren Sie die Nachwehen des Finanzskandals? Minichmayr: Es wurde leider wahnsinnig viel Porzellan zerschlagen. Wie es dazu kam, muss die Staatsanwaltschaft klären. Aber man merkt natürlich den finanziellen Druck. Das Ensemble wackelt noch ein wenig miteinander, diese Gespaltenheit für oder gegen Hartmann ist noch nicht ganz verschwunden. Es gibt viele Kränkungen, die ich nachvollziehen kann. Es wird sich weisen, wie das wieder zusammenwachsen kann. Aber ich bin sehr zuversichtlich.
profil: Ging eine gewisse Unbeschwertheit verloren? Minichmayr: Absolut. Wenn es keine Evaluierung gibt, wenn die Subvention nicht erhöht wird, müssen wir uns zu Tode sparen. Die Personalkosten steigen kontinuierlich. Es ist ja nicht so, dass man sich am Burgtheater bereichern konnte, zumindest nicht als Schauspielerin. Das klang in letzter Zeit nur immer so. Ob andere Boni bekommen haben, weiß ich natürlich nicht, aber es gab eine Höchstgage, die nicht überschritten wurde. Und, dass Matthias Hartmann jede Regie extra vergolten bekam, war doch anscheinend eine Vertragssache.
profil: War das System der Barauszahlungen nicht sehr undurchsichtig? Minichmayr: Man konnte sich eine Akontozahlung holen. Das wurde einem dann später vom Gehalt abgezogen. Das ist durchaus üblich, das gibt es auch bei den Salzburger Festspielen. Aber leider musste man – kurz bevor alles am Burgtheater kollabierte – bei Kollegen und auch bei einem selbst Unregelmäßigkeiten von Gehaltsüberweisungen feststellen. Das sorgte natürlich bei vielen für Unruhe.
profil: Hat der Finanzskandal das Medium Theater per se diskreditiert? Minichmayr: Der Ruf wurde eindeutig beschädigt. Ich habe die Geschichte ja nur aus der Münchner Außenperspektive mitbekommen. Da war schnell die Rede von Künstlern als Staatsschmarotzer. Kunst wurde grundsätzlich infrage gestellt: Warum braucht man das Theater, wo sich ohnehin nur größenwahnsinnige Regisseure austoben? Dieser Hass und diese Häme waren unangenehm. Ich glaube weiterhin, dass Kultur wichtig, eine Art Rückgrat unserer Gesellschaft ist.
profil: Hat das Burgtheater noch immer einen Sonderstatus unter den Theatern? Minichmayr: Als ich zu spielen begann, stand es noch im schönsten Glanz da. Ich hatte große Ehrfurcht. Ich war stolz, dort arbeiten zu dürfen, mit all den fantastischen Kollegen und Regisseuren, wie Klaus Michael Grüber, Dimiter Gotscheff oder Luc Bondy, um nur einige zu nennen.
profil: Galt nicht gerade jene Regiegeneration als tyrannisch und hierarchisch denkend? Minichmayr: Es gibt solche und solche. Aber natürlich hat man es nicht gerne, wenn der Schwächste in der Gruppe sämtliche Launen des Regisseurs abbekommt. Aber das gibt es auch beim Film. Damit konnte ich immer schlecht umgehen. Ich finde es nicht sonderlich souverän, wenn es jemand nötig hat, Techniker fertigzumachen, um den Druck vor der Premiere abzulassen. Dabei ist die Technik am Burgtheater fantastisch. Der junge australische Regisseur Simon Stone, mit dem ich gerade für die Wiener Festwochen „John Gabriel Borkman“ probe, hat sich die Pollesch-Inszenierung „Cavalcade or Being a holy motor“ angeschaut. Er war fasziniert vom Bühnenbild: Da schwebte ein riesiger Holzflieger in der Luft. Er konnte gar nicht fassen, dass man in den Burgtheater-Werkstätten so etwas tatsächlich bauen kann.
profil: Hat sich das Theater sehr verändert, seit Sie begonnen haben? Minichmayr: Früher konnte man noch einen ganz anderen gesellschaftlichen Diskurs führen. Heute sind wir in einem Unterhaltungsbetrieb stecken- geblieben. Die Auslastungsfrage übertönt jede ernsthafte Auseinandersetzung –, die man mittlerweile ohnehin nicht mehr führen kann, weil immer mehr produziert werden muss und dabei immer weniger Probezeit zur Verfügung steht.
profil: In Ibsens „John Gabriel Borkman“ geht es um einen Banker, der sich verspekuliert hat. Wird die aktuelle Finanzkrise Thema sein? Minichmayr: Martin Wuttke spielt die Hauptfigur, das Stück ist wie der letzte Atemzug eines sterbenden Mannes. Wir diskutieren gerade, von welcher Seite aus man diesen Totentanz anpacken könnte. Natürlich redet man da auch über Finanzhaie wie Bernard Madoff. Wir haben in der Vorbereitungsphase auch zusammen den US-Dokumentarfilm „The Queen of Versailles“ (2012) gesehen, da geht es um ein Ehepaar, das am größten Eigenheim Amerikas baut. Dann bricht die Finanzkrise herein, und alles steht still.
Ich kann Leute wie Roland Düringer gut verstehen, die sich von ihrem Besitz befreien wollen.
profil: Ist Ihnen Geld wichtig? Minichmayr: Es ermöglicht mir eine gewisse Freiheit. Ich kann es mir leisten, jederzeit einen Flug zu buchen, um Freunde zu besuchen. Und ich war eine Zeit lang überaus shoppingfreudig. Ich hatte eine Creme noch gar nicht aufgebraucht, schon wurde die nächste angeschafft. Bis ich feststellte, dass mich dieses konsumbesessene Verhalten belastet.
profil: Es war ein Zwang, permanent Dinge anzuhäufen? Minichmayr: Ich merke erst jetzt, wie angenehm es ist, sich von Sachen zu trennen. Ich habe kürzlich sogar Bücher aussortiert. Ich kann Leute wie Roland Düringer gut verstehen, die sich von ihrem Besitz befreien wollen. Brauche ich das sechste Paar Stöckelschuhe, die siebten Sneakers tatsächlich? Ich finde auch merkwürdig, wenn Kinder alles bekommen, was sie wollen. Wenn die Kinderzimmer vollgefüllt sind mit Spielzeug. Mir ist es lieber, in Haushalte zu kommen, wo die Kinder lernen, sich anders zu beschäftigen. Und nicht von einer Überfülle an Produkten bedrängt werden.
profil: Sie sind auf dem Bauernhof aufgewachsen, hatten Sie da viele Spielsachen? Minichmayr: Natürlich gab es mal eine Barbie-Puppe, und ich hab gern Lego gespielt. Aber die meiste Zeit waren wir in der Natur. Es ist doch verrückt, dass unser System nur auf Wachstum angelegt ist. Das kann nicht auf ewig funktionieren.
profil: Legen Sie Wert auf Bioprodukte? Minichmayr: Ich habe einen tollen Hofladen um die Ecke. Und ich merke, dass diese Produkte einfach anders schmecken. Ich lebe mittlerweile vegetarisch und manchmal auch vegan, allerdings nicht besonders streng. Meine Mutter und mein Bruder sind da viel konsequenter.
profil: War das daheim am Bauernhof schon ein Thema? Minichmayr: Ich war zehn Jahre alt, da haben wir unseren Hof bereits verpachtet. Aber natürlich habe ich noch mitbekommen, wie Schweine geschlachtet wurden. Und meine Großeltern haben dann alles verarbeitet. Mit 13 habe ich einen Film über Massentierhaltung gesehen, danach konnte ich aus moralischen Gründen kein Fleisch mehr essen. Damals gab es in Restaurants keine Alternativen: Reis mit Beilagensalat oder Champignons, die sicher in Schnitzelfett herausgebacken wurden. Mittlerweile ist das kein Problem mehr, sogar in traditionellen Gasthäusern gibt es gute vegane Alternativen. Mir ist gesunde Ernährung wichtig. Ich merke, wenn ich zu viele Milchprodukte esse, dass mir das einfach nicht so gut bekommt.
profil: Histaminintoleranz ist im Moment aber auch ziemlich hip. Minichmayr: Aber ich habe meine Ernährung nicht aus Modegründen umgestellt. Es kann sich nicht ausgehen, dass Fleisch so billig geworden ist. Irgendetwas leidet da zwangsläufig darunter. Ich komme von der Landwirtschaft, ich weiß, wie schlimm das alles sein kann. Wie verseucht der Boden von Pflanzenschutzgiften ist. Die möchte ich einfach nicht zu mir nehmen.
profil: Ihr Vater war nach dem Verkauf des Bauernhofs als Versicherungsbeamter aktiv. Sind Sie selbst auch bestens versichert? Minichmayr: Vor einem Jahr habe ich mich von meinem Vater zu einer Altersvorsorge überreden lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben sorge ich vor.
profil: Sie haben sich auch als Sängerin versucht, Ausflüge in die Musik unternommen. Wie breit ist Ihr Musikgeschmack eigentlich: Wie sieht es mit Helene Fischer und Andreas Gabalier aus? Minichmayr: Ganz ehrlich? Damit kann ich leider gar nichts anfangen. Ich möchte aber niemanden beleidigen. Meinetwegen kann Ö3 diesen „Mountain Man“ gerne rauf und runter spielen, generell bedauere ich es aber sehr, dass nicht mehr österreichische Musik auf den heimischen Radiostationen zu hören ist. Wir haben großartige Musiker wie Der Nino aus Wien, Wanda, Ja, Panik, Gustav, Soap&Skin und ganz viele andere. Die meisten Schlagertexte finde ich doch ziemlich reaktionär. Das ist genau jener Hüttenzauber, der mir schon auf den Hütten auf die Nerven gegangen ist.
profil: Wie sehen Sie Gabaliers Statement bei der Amadeus-Preisverleihung, man werde als Heterosexueller benachteiligt? Minichmayr: Das kann er persönlich ja durchaus so empfinden. Verstehen kann ich es allerdings nicht. Ich mag nicht, dass man von Menschen als „Manderl und Weiberl“ redet. Das sind Wörter, die ich schon als Kind gehasst habe. „Komm her, du Weiberl!“ Das klingt für mich fast untergriffig!
profil: Wie halten Sie es mit dem Feminismus? Minichmayr: Ich finde es grotesk, dass man 2015 überhaupt noch über solche Dinge reden muss. Dass es noch immer keine Lohn-Gleichberechtigung gibt. Ich verstehe, wenn Frauen einfordern, dass es mehr Regisseurinnen geben soll, mehr Drehbuchautorinnen. Karin Bergmann hat als Reaktion auf die Finanzkrise am Burgtheater auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet. Das würde kein Mann machen. Ich persönlich ehrlich gesagt auch nicht!
Birgit Minichmayr, 38,
wurde in Pasching bei Linz geboren. Schon während ihrer Ausbildung am Reinhardt Seminar, wo Klaus Maria Brandauer einer ihrer Lehrer war, wurde sie ans Burgtheater engagiert. 2004 ging sie nach Berlin an Frank Castorfs Volksbühne, 2007 kehrte sie an die Burg zurück. 2011 wechselte sie zu Martin Kušej nach München ans Residenztheater. Unlängst verlegte sie ihren Wohnsitz wieder nach Wien, möchte sich jedoch nicht mehr fest an ein Theater binden: Als freie Schauspielerin ist sie an der Burg, am Residenztheater, an der Volksbühne und am Hamburger Schauspielhaus tätig. Minichmayr wirkte in zahlreichen Filmen mit: etwa in „Abschied. Brechts letzter Sommer“ (2000), in Barbara Alberts „Fallen“ (2006) und Doris Dörries „Kirschblüten“ (2008), in Wolfgang Murnbergers „Der Knochenmann“ (2009), Maren Ades „Alle anderen“ und Lars Beckers „Unter Feinden“ (2013).