Der Arbeitstitel des Lassnig-Films lautete, etwas banal, „Im Land der starken Frauen“. Tatsächlich spielen Sie oft souveräne, durchsetzungsfähige Frauen. Denken Sie in Ihrer Rollenwahl Feminismus und Gender-Politik stets mit?
Minichmayr
Nein. Das ist zumindest nicht mein primärer Antrieb. Ich habe von jeher eine Form des Trotzes und der Sturheit in mir, durch Herkunft, Sozialisierung, warum auch immer. Das leuchtet vielleicht durch, weil ich manchmal auf Dinge gar nicht anders blicken kann als mit dieser Wehrhaftigkeit. Es lagen nur fünf Tage zwischen dem Drehschluss von „Mit einem Tiger schlafen“ und dem Beginn von „Andrea lässt sich scheiden“. Der Lassnig-Film war die forderndste Produktion seit Langem, auf vielen Ebenen. Ich war so froh, in der Arbeit mit Josef Hader Maria Lassnig wieder ablegen, in die Fiktion ausweichen zu können. Über Wochen in diesem Körper sein zu müssen, dauernd hochkonzentriert, das war so anstrengend! Es war manchmal ein echter Eiertanz, diese Frau nur aus dem Körper zu erzählen, es dabei nicht zu „hergestellt“ oder unglaubhaft wirken zu lassen.
Einen Film wie Haders Tragikomödie kann man vermutlich nur in Freiheit und Leichtigkeit herstellen.
Minichmayr
Und gleichzeitig hatte ich auch dort eine Bandbreite an Möglichkeiten zu spielen, um ihm die Möglichkeit zu geben, im Schnitt den Tonfall vom Lust- ins Trauerspiel kippen zu lassen. Die Überforderung, die darin liegt, zwei derart unterschiedliche Stoffe hintereinander zu spielen, interessiert mich. Denn Überforderung schaltet manchmal auch das Gehirn aus, und man reagiert so, als stünde man unter Drogen. Dieser Überforderungsrausch ist die einzige Droge, die ich beim Arbeiten legitim finde. Alkohol auf der Bühne interessiert mich überhaupt nicht – ich kenne genug Schauspieler, die damit experimentiert haben. Den puren, nüchternen Rausch und wie ich da hinkomme, das finde ich viel spannender. Die einzige Droge, die ich gelten lasse, ist die sogenannte Restfettn, wenn ich so sagen darf.
Der Restalkohol vom Vorabend?
Minichmayr
Genau. Übermüdet und verkatert kontrolliert man nicht so stark. Man reagiert auf die Dinge ganz intuitiv.
Im Theaterbereich sind Drogen wohl ein Thema, weil der Beruf auch angstbesetzt sein kann. Man braucht Mut, um sich auf einer Bühne über Stunden preiszugeben. Haben Sie manchmal Angst davor?
Minichmayr
Ich habe Lampenfieber. Aber das bringt mich auch in eine Hitze, die ich so gut finde! Ich ringe eben gern um die Dinge, kämpfe um sie, um etwas auszulösen in mir, um in diesen Ausnahmezustand zu kommen.
Neigen in diesem Beruf viele zur Selbstüberschätzung?
Minichmayr
Ich kenne Kollegen, die am Ende eines Abends sehr dramatisch zum Applaus marschieren, um nachhaltig zu demonstrieren, wie viel Blut, Schweiß und Tränen sie ins Schauspielen investieren. Das ist nicht so meins. Die Verführung interessiert mich viel mehr als die Selbstdarstellung.
Ist Narzissmus nicht Teil der Schauspielerei? Wer sich auf eine Bühne stellt, will angeschaut werden. Zugleich darf sich das Spiel nicht in Eitelkeit erschöpfen.
Minichmayr
Es ist weniger Eitelkeit, als eine Form des Exhibitionismus. Wenn ich sehr eitel wäre, hätte ich Maria Lassnig vermutlich nicht darstellen wollen.
In dem Film werden auch die dunkleren Aspekte des hohen Alters nicht verschwiegen – Lassnigs Paranoia etwa. „Mit einem Tiger schlafen“ ist keine reine Hymne an eine große Künstlerin, eher das raue Porträt einer Frau, die stets kämpfen musste und am Schluss wirklich wunderlich wurde.
Minichmayr
Ja! Wie oft ihr Assistent anrücken musste, weil angeblich wieder Einbrecher ihre Kinder stehlen wollten.
Sie betrachtete ihre Gemälde als ihre Kinder?
Minichmayr
Ja, und es gibt auch die Erzählung, dass sie jedes Mal, ehe sie ein Gemälde begann, mit einem Stift einen Punkt exakt auf Höhe ihres Nabels auf die Leinwand gesetzt habe. Der Malerei war sie wie durch eine Nabelschnur verbunden. Ich glaube, sie hat jedes ihrer Bilder regelrecht geboren.
Mussten Sie für den Film das Malen lernen?
Minichmayr
Ja, und ich bin wirklich unbegabt. Mara Mattuschka und Hans Werner Poschauko, die Lassnig einst assistierten, halfen mir sehr. Es gibt ein paar Zustände, die in Filmen wahnsinnig schwer darzustellen sind: Sex haben, schlafen, dirigieren und malen. Ich wollte es Anja unbedingt ausreden, mich beim Malen zu zeigen. Aber sie bestand darauf. Über reine gestische Nachahmung hab ich das dann gelernt. Ich musste ganz technisch vorgehen.
Sie glauben also an darstellerischen Realismus.
Minichmayr
An das perfekte So-tun-als-ob, klar. Der Pinselstrich ist doch entscheidend unter Kennern. Da gibt es viele Stolperfallen! Mich hat das wahnsinnig gemacht.
Was wünschen Sie sich von der Regie? Freiheit? Strenge? Oder kreatives Chaos eines Frank Castorf?
Minichmayr
Das lässt sich nicht verallgemeinern. Denn Castorfs Methode gehört nur ihm, weil er etwas ganz Bestimmtes will: nämlich das Ensemble an einen Punkt bringen, an dem es nicht mehr nachdenkt, an dem sich nur noch der Körper meldet. Diese Erschöpfung und Überforderung sucht er – und eben nicht das vorbereitete Schauspiel, das eine bestimmte Sprache perfekt wiedergibt. Ich weiß, was Frank mir abverlangt, wenn ich mit ihm arbeite. So wie es bei Luc Bondy um eine psychologische Sinnlichkeit ging, um eine Mise-en-scène mit viel Nebenbei. Alles passierte in Bondys Werken nebenbei.
Freiheit ist nicht alles.
Minichmayr
Nein, ich finde es manchmal sogar schrecklich, wenn alle demokratisch mitreden können. Es braucht eine strukturelle Hierarchie. Aber es gibt natürlich Leute, die schlicht sagen: Ich führe hier Regie, und ihr macht, was ich will.
Das ist aber auch öde.
Minichmayr
Mich interessiert das, ehrlich gesagt, gar nicht.
Sie wissen mittlerweile, wem Sie absagen müssen, um das nicht erleben zu müssen?
Minichmayr
Schon. Ich meine, es gibt auch Regiekräfte, bei denen ich eine Form der Kontrolle akzeptiere, weil ich sie nachvollziehen kann. Aber es gibt auch eitle Säcke, die mich nur herumkommandieren, als Material behandeln wollen. Das möchte ich aber nicht.
Es gibt da draußen offenbar einige solcher toxischer Egomanen, wie die aktuellen Debatten um Machtmissbrauch im Film und am Theater belegen.
Minichmayr
Ja, mit dem Regisseur Julian Pölsler zum Beispiel, dem gerade einiges vorgeworfen wird, fand ich es auch schwierig zu arbeiten. Er hat sich zwar bei mir nie im Ton vergriffen. Aber er wollte mich dauernd dirigieren, mir erklären, wie ich die Sätze sprechen soll. Ich empfand aber, dass er das nicht konnte. Ich habe Gott sei Dank nicht erlebt, dass er rumgeschrien hätte.
Haben Sie es bei anderen erlebt?
Minichmayr
Ich kenne viele solcher Geschichten, auch schlimmere. Aber sagen wir so: Es ist nicht Usus. Der Typus des genialischen Meisters …
… ist ein Auslaufmodell.
Minichmayr
Ja, wirklich, vor allem dieser testosterongesteuerte Deus ex machina, der alles mit einem machen zu können glaubt. Und manchmal geht es auch um Erniedrigungsspiele und sehr spezielle Persönlichkeitsstrukturen.
Es ist schwer vorstellbar, dass sich in einem sadomasochistischen Rahmen künstlerisch Bedeutendes ergibt.
Minichmayr
Aber genau so wird schlechtes Verhalten doch immer begründet: Er behandelt alle schlecht, aber er ist halt genial.
Kann man nicht darstellerisch nur florieren, wenn es gegenseitiges Verständnis und Einvernehmen gibt?
Minichmayr
Früher war es üblich, dass Schauspielerinnen und Schauspieler den Anordnungen der Regie bedingungslos zu folgen hatten. Der Regisseur war Gott, dem man sich zu unterwerfen hatte. Ich dagegen kam aus der Schule Klaus Maria Brandauers, der sagte, man sei als Schauspieler immer Mitregisseur. Aber natürlich erlebt man auch Kollegen, die ganz devot sind, das ist schrecklich mitanzusehen. Gott sagt ihnen, was zu tun ist, sie führen aus.
Können cholerische Ausbrüche je produktiv wirken?
Minichmayr
Ich habe nichts gegen Streit oder laut geführte Missverständnisse. Ich habe ein Problem, wenn das nur einer darf und die anderen nicht. Ich habe ein Problem, wenn es auf Kosten von Menschen geht. Solange es um die Sache geht, finde ich, ist alles erlaubt – sofern die Mittel bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Man muss die Sprache verstehen, wenn es zu Konflikten kommt, das macht es auch schwierig. Einem Außenstehenden ist es schwer zu erklären, warum es mir im einen Fall nichts ausmacht, im anderen schon.
Weil im einen Fall jemand für die Sache brennt, im anderen Fall nur persönlich beleidigt wird?
Minichmayr
Genau. Ich unterrichte ja gerade am Max Reinhardt Seminar. Und ich weiß mittlerweile auch, welche Fallen sich da auftun können. Man wird vorauseilend kriminalisiert, und ich muss zuerst beweisen, dass ich nicht kriminell bin?
Ein falsches Wort – und man ist raus?
Minichmayr
Offenbar. Man muss inzwischen anfragen, ob man die Studierenden im Unterricht berühren darf. Das ist auch in Ordnung. Ich habe selbst Übergriffe erlebt an der Schauspielschule, habe Hände an mir ein bisschen zu weit unten gespürt. Aber generell kriminalisiert zu werden, ist schwierig. Denn es macht einen vorsichtig, was aber kontraproduktiv ist . Und es ist ein intensiver Beruf, der viel mit Gefühlen und Leidenschaften zu tun hat.
Und mit Körpern.
Minichmayr
Ja. Natürlich kommen immer wieder Dinge vor, die traumatisierend wirken können. Aber es gibt auch eine Echtheit, die erst entsteht, wenn man verwundet worden ist; die über den Ausdruck, über das Erspielen von Verwundbarkeit hinausgeht. Deswegen gibt es die Form des Method Acting, der ich sehr kritisch gegenüberstehe. Aber wenn ich vor Kurzem verlassen worden bin, spielt sich eine Ehekrise anders, als wenn ich gerade eine gesunde, stabile Beziehung habe. Das empfinde ich schon so.
Man ist verletzlicher.
Minichmayr
Und das kann man nicht immer herstellen. Diese Verletzlichkeit kriegt man manchmal auch, weil man schlecht behandelt wird – oder weil einen jemand dorthin treibt.
Sie meinen: auch in der Arbeit?
Minichmayr
Ja, und ich würde auch sagen, dass Dinge bisweilen passieren dürfen, obwohl sie im Ansatz vielleicht missbräuchlich sind. Man muss gut mit sich sein, um das auch zu erkennen und sofort zu verwenden. Manchmal denke ich schon: Was ich alles für die Kunst mit mir anstelle! Durch Verletzungen aber kommt man an andere Zustände, die sich zwar auch herstellen lassen … Und da wird es ziemlich komplex. Denn natürlich spielen Erlebnisfähigkeit und Vorstellungskraft große Rollen, aber eben auch viel Tagesverfassung und die eigene Biografie; und es gibt Methoden, um mit sozusagen unlauteren Mitteln zu noch besseren Ergebnissen zu kommen.
Mit Ihrer Biografie und Ihrem Status können Sie leichter an Grenzen gehen, weil Sie ein solches Experiment jederzeit abbrechen könnten. Eine Anfängerin kann sich das vielleicht nicht leisten.
Minichmayr
Ich glaube, dass es nichts mit Status zu tun hat, sondern mit dem Ehrgeiz, gute Ergebnisse abzuliefern. Insofern weiß ich nicht, ob ich einen masochistischen Akt abbrechen würde, wenn ich weiß, dass er mich an mein Ziel führt. Verletzungen und Demütigungen lasse ich manchmal zu, weil ich weiß, dass sie in mir etwas anzünden, das ich so nicht erspielen kann.
Sie arbeiten doch ständig mit Leuten, die eben nicht verletzend agieren?
Minichmayr
Ja, schon. Unser Beruf ist aber ein Grauzonenthema. Ein Film wie „Blau ist eine warme Farbe”, bei dem es vor Missbrauch nur so gescheppert haben muss, kann trotzdem unfassbar gut sein. Die Frage ist nur, wie weit man beim Drehen schon ein Bewusstsein dafür haben konnte.
Da schwingt ein problematischer Satz mit: Der Zweck heiligt die Mittel.
Minichmayr
Aber das weiß man ja oft selber nicht. Ich bin ehrgeizig und fleißig. Weil ich künstlerisch etwas erreichen will. Ich bin aber vor allem wachsam in dieser Grauzone und lasse dies nur mit mir selber zu, benutze nie andere.
Demütigung am Set ist legitim, wenn die richtigen Ergebnisse produziert werden?
Minichmayr
Das wäre die Schlussfolgerung dessen, was ich gesagt habe. Das muss natürlich konsensual sein und kann auf keinen Fall missbräuchlich und machtorientiert verwendet werden.
Wurden Sie denn immer vorab gefragt, ob Sie eine bestimmte Zumutung ertragen wollten?
Minichmayr
Na ja, ich muss sie schon erleben, um damit kämpfen zu können oder auch zu einer großen Verletztheit zu kommen. Diese kreative Energie erkenne ich an, als Motor.
Weil sich aus Angst und psychischer Verletztheit Dinge ergeben, von denen Sie gar nicht geahnt haben, dass Sie sie spielen können?
Minichmayr
Genau. Zu den Zuständen, mit denen man aber auch arbeiten kann, zählen Schlaflosigkeit und Essensentzug – Methoden, die man einsetzen kann, um sich psychisch woandershin bringen zu können.
Solche Techniken wenden Sie auch an?
Minichmayr
Wenn ich für bestimmte Rollen unausgeschlafen ans Set komme, kann dies durchaus gewinnbringend sein. Als ich mit Josef Hader drehte, hatte ich gerade zu viele Baustellen in meinem Leben, ich schlief schlecht. Ich schlug ihm vor, meinen Schlafmangel auch der Figur zuzumessen. Ich fand, es passte hervorragend zu ihr, dass auch sie schlecht schlief.
Aber Sie hatten sich den Schlafmangel nicht auferlegt. Er fand einfach statt.
Minichmayr
Zum Teil machte ich das durchaus bewusst, um eine Erschöpfungsintensität hinzukriegen; weil sich eine reale Müdigkeit anders darstellt als eine gespielte Erschöpfung. Manchmal reicht es, so zu tun, als ob. Manchmal nicht.
Dahinter steht wohl auch die Idee, dass Ihre Kunst wichtiger als Ihr Wohlbefinden ist.
Minichmayr
Dazu gibt es bestimmt eine Neigung in mir, ja. Ein Schauspieler wie Joaquin Phoenix zieht sich drei Monate lang allein in einen Wald zurück, um sich dort in Johnny Cash zu verwandeln. Diese Prozesse verstehe ich gut, auch wenn ich Method Acting für sehr fragwürdig halte. Aber ich kann es verstehen.
Warum halten Sie es dann für fragwürdig?
Minichmayr
Weil es nicht gesund ist, wenn man etwa mit einer Verwandten oder einem Geliebten einen Streit provoziert, um solche Konflikte besser zu verstehen. Das ist eine Form von Selbstexperiment.
Und eine Form der Selbstzerstörung.
Minichmayr
Auch das.
Wie entkommen Sie ihr? Sie fügen sich bisweilen Leid zu, um eine Rolle besser zu spielen?
Minichmayr
Das nehme ich in jenen Momenten nicht als Leid wahr. Aber der Blick auf diese Dinge hat sich komplett verändert, seit ich Mutter bin. Jetzt habe ich eine ganz andere Verantwortung zu tragen. Früher hatte ich 24 Stunden am Tag nur mich zur Verfügung, und ich wäre für eine Rolle, die ich spannend fand, zu allem bereit gewesen. Mein Beruf stand über allem.
Jetzt nicht mehr?
Minichmayr
Doch, aber er hat starke Konkurrenz bekommen.