Interview

„Ich ringe gern um die Dinge“: Minichmayr über Schauspiel und Grenzüberschreitung

Die Schauspielerin Birgit Minichmayr wagte sich an die strapaziöse Aufgabe, in dem Film „Mit einem Tiger schlafen“ die Künstlerin Maria Lassnig darzustellen. Im profil-Interview erzählt sie von den Höhen und Abgründen ihres Berufs, von Machtmissbrauch, Dünnhäutigkeit und Selbstzerstörung.

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In dem Film „Mit einem Tiger schlafen“ stellen Sie die Künstlerin Maria Lassnig dar – in stark experimenteller Form: Sie spielen sie von frühester Jugend bis ins hohe Alter äußerlich konstant, ohne Zutun von Maske und Make-up. Wie kam es zu dieser Idee?
Minichmayr
Anja Salomonowitz, die Regisseurin und Autorin, hatte sie. Ich hatte 2019 in der Albertina zur Lassnig-Ausstellung aus den Tagebüchern der Malerin gelesen. Anschließend eröffnete mir Anja, dass sie einen Lassnig-Film plane, in der die Heldin durchgehend von einer Darstellerin gespielt werden sollte und auch noch ohne Altersmaske. Ich wurde hellhörig, das klang unerhört. Es erschien mir stimmig, es passte zu Maria Lassnig. Und auch zu meinen Vorbehalten gegenüber biografischen Verfilmungen.
Die meist so tun, als kämen sie dem Wesenskern einer realen Person ganz nah.
Minichmayr
Das finde ich eben schwierig, auch übergriffig oder anmaßend. Mit all diesen kausalen Zusammenhängen, die da konstruiert werden, in denen alles in ganz kurzer Zeit erklärt werden soll, landet man stets, so fein das auch erzählt sein mag, in blanker Oberflächlichkeit.
Als verliefe jedes Leben ganz logisch, bruchlos.
Minichmayr
Wie so ein Ölteppich: Alles wird mit allem verschmiert.
Sie halten gern Distanz zu Ihren Figuren – um das Artifizielle solcher Konstruktionen zu betonen?
Minichmayr
Diese Distanz halte ich nur in Filmbiografien. Ehrlich gesagt, mein Grundimpuls angesichts solcher Projekte ist Desinteresse. Aber Anjas Regie, die zwischen Fiktion und Dokumentarismus balanciert, befreit einen davon, einen Abgleich zwischen der Porträtierten und mir suchen zu wollen. Dieser Film verspricht erst gar nicht, die „echte“ Maria Lassnig zu zeigen.
Ich nehme an, die Vorbereitungen für einen Film wie diesen laufen über das Studium Hunderter Stunden Interviews und Videos?
Minichmayr
Genau. Ich bin Lassnig nie begegnet, aber Sepp Dreissinger hat sie am Schluss oft porträtiert, die Ergebnisse hat er mir zur Verfügung gestellt. Das war extrem hilfreich, weil er sie in hohem Alter fotografiert hat, auch als sie 2013 den Goldenen Löwen der Biennale bekam, da war sie schon sehr alt und zerbrechlich, hatte bereits eine ganz schwache Stimme. Trotzdem ließ sie Hans Werner Poschauko, ihren Assistenten, auf Zettel schreiben: „Hilfe, holt mich hier raus!“ Sie hatte sich ihren genialen Witz bis zum Schluss bewahrt, weil sie stets ein zwiespältiges Verhältnis hatte zu Lobhudeleien und Preisverleihungen. Für sie waren diese per se oft eine Kränkung, weil sie immer zu spät kamen. All die verfügbaren Dokumente, auch Filme, habe ich ganz intensiv studiert.
Einerseits gibt es diese Distanz in Ihrem Schauspiel, eine klare Künstlichkeit auch in der Form, andererseits aber, sprachlich und körperlich, eine starke Mimesis. Dieser Konflikt wirkt irritierend.
Minichmayr
Genau das interessierte mich. Maria Lassnig verweigerte es ja, sich beim Malen fotografieren oder filmen zu lassen. Es gibt wenige, sehr gestellte Fotos, und nur eines, auf dem sie blind malt.
Man muss sich, wenn man „Mit einem Tiger schlafen sieht“, unentwegt fragen: Welche Phase Maria Lassnigs spielt Birgit Minichmayr gerade?
Minichmayr
Weil ich ja irgendwie immer gleich aussehe; aber es gab diesen Körper, der sich veränderte, dessen Wandlungen sie auch so obsessiv gemalt hat. Das alles war für mich ein ganz intuitiver Akt: Was ist wichtig an einer biografischen Erzählung? Was ist die Schnittmenge zwischen Lassnigs Biografie und Anjas Drehbuch? Wo und wie komme ich da durch? Es ist schwer, darüber zu reden, was einen genau getriggert hat. Ich gehe mit einem prall gefüllten Rucksack zum Drehtag, trotzdem bleibt alles Schreibtischtäterei. Denn die eigentliche Arbeit findet erst am Set statt.
Schauspiel ist eine ungreifbare Kunst. Es ist unklar, was genau eine „gute“ Darstellung ausmacht.
Minichmayr
Ja. Ich bin eine Geschmackssache, das schützt mich auch. Es befreit mich von der Gefallsucht. Ich wollte mich stets lösen von diesem infantilen Wunsch, sich immer wieder, wie damals, das Lob der Kindergärtnerin abzuholen.
Intellektuelle Schauspielzugänge sind selten?
Minichmayr
Man kann großartig spielen und dumm wie Brot sein. Mit Intelligenz hat das nichts zu tun.
Mit emotionaler Intelligenz wohl schon.
Minichmayr
Nicht mal die braucht man. Aber am Zugang erkennt man schon, was Intelligenz ausmacht.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.