Blut und Blödheit bei den 74. Filmfestspielen in Venedig
Aus Venedig berichtet Stefan Grissemann:
In Cannes wird leidenschaftlich gebuht, in Venedig kaum. Wo die französischen Cinephilen sich traditionell heftig ereifern können, geben sich die italienischen Kollegen auch angesichts gröberer ästhetischer Verfehlungen im Kino gerne abgeklärt. Am Dienstagvormittag war es dann aber mit der Contenance vorbei: Als Darren Aronofskys großmäuliger Schocker „mother!“ (siehe Bild) seine Pressevorführung im laufenden Wettbewerb der 74. Filmfestspiele in Venedig beendete, kam es zu einem am Lido unerhörten Buh-Orkan. Und man musste leider zugeben: nicht zu Unrecht. „mother!“ ist, trotz feiner Besetzungsliste (neben Jennifer Lawrence und Javier Bardem treten Michelle Pfeiffer und Ed Harris in Szene), ein Werk von schwer fassbarer Geistlosigkeit, eine reaktionäre, dabei nicht einmal ansatzweise mitreißende Horror-Parabel.
Aronofsky („The Black Swan“) versucht verzweifelt, ein uraltes Spuk-Genre, den Old-Dark-House-Thriller neu zu beleben, indem er die Geschichte einer jungen Frau, die davon träumt, ein Kind in die Welt zu setzen, aber von dem selbstbezogenen, an sich selbst leidenden Schriftsteller an ihrer Seite blockiert wird. Als eine absurde Familie, die den Poeten anbetet, sich in dem einsamen Haus, das sie bewohnen, einnistet, nehmen skurrile Ereignisse ihren entbehrlichen Lauf.
Aronofsky verwechselt in „mother!“ (ab 14. September auch in Österreich im Kino) überzogene Dramaturgie mit Radikalität – und Dauergetöse mit Spannung. Als blutige Groteske konzipiert, dürfte der Film die blamable Abrechnung eines Filmkünstlers mit sich selbst sein, der seine Hervorbringungen nun ernsthaft in Konkurrenz zum Kreationsakt des Gebärens setzt. Die nervöse Kamera klebt zwei Stunden lang an Schmerzensfrau Jennifer Lawrence, Aronofskys aktueller Geliebter, die in diesem Film nichts als Nestbau, Niederkunft und Rückzug mit dem Geliebten im Sinn hat, während ihr abseitiger Gemahl (Bardem) lieber den dichtenden Messias für seine Verehrergemeinde spielt.
So heftig wie dieser Film scheiterten die beiden anderen versuchsweise „bösen Komödien“ im Wettbewerb um den Goldenen Löwen nicht, aber auch George Clooneys sechste Regiearbeit „Suburbicon“ blieb hinter den Erwartungen zurück: Zwar mag man ihr einen gewissen politischen Mut zugute halten, der in Zeiten von Trump und white supremacy dringend nötig erscheint – aber das von den Coen-Brüdern geschriebene Sixties-Panorama macht eine erstaunlich unpersönlich dargestellte Rassismus-Studie zum Hintergrundrauschen für eine belanglose, in allzu breiten Blut- und Pinselstrichen realisierte Frauenmord- und Gangster-Farce in einer Reihenhaus-Antiidylle. Matt Damon, Julianne Moore und Oscar Isaac spielen das alles zwar mit sichtlicher Verve und Lust an der Geschmacklosigkeit durch, aber am Ende bedauert man doch sehr, dass nicht die Coens selbst hier die Regieverantwortung übernommen haben.
Um die aus unzähligen Coen-Comedies bekannte Schauspielerin Frances McDormand kreist schließlich „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, ein von dem Briten Martin McDonagh („7 Psychopaths“) inszeniertes Stück Americana. Auch er verirrt sich im unsicheren Gelände zwischen Lustspiel und Tragödie, findet an keiner Stelle die nötige Balance von realem Leiden und schwarzer Komödie. McDormand spielt eine verbitterte Frau, die nach der Vergewaltigung und Ermordung ihrer Tochter durch einen Unbekannten die lokale Polizei auf eigene Faust unter Druck setzt. Vor allem als Autor erscheint McDonagh nicht auf der Höhe seines Stoffs: Sein Stolz über die schlicht erhöhte Vulgarität seiner Dialoge und die Erfindung zu vieler „exzentrischer“ Charaktere ersticken alle nötigen Emotionswerte seines Dramas im Keim.