Bob Dylans jäher Aufstieg: "Like a Complete Unknown" im Kino
„How does it feel“, das ist hier die Frage. Bob Dylan hat sie einst gestellt, wohl auch sich selbst – und die gerade weltweit Furore machende Kinoarbeit, die um ihn kreist, stellt sie nun noch einmal. Wie fühlt sich das an, gerade noch ein introvertierter junger Mann aus Minnesota zu sein, ein vollkommen Unbekannter, der seine Gitarre überallhin mitschleppt, und plötzlich zum Idol aufzusteigen, von kreischenden Fans belagert zu werden und die eigene Stimme aus allen Radios schnarren zu hören?
„Like a Complete Unknown“ ist natürlich ein idealer Titel für einen Film über die Blitzkarriere des Sängers und Liedermachers Bob Dylan. Es ist eine Zeile aus „Like a Rolling Stone“, einem der berühmtesten Songs des Musikers, erschienen im Juli 1965 – vor bald 60 Jahren; und im Refrain jenes Stücks taucht eben jene alles entscheidende Frage auf: „How does it feel?“
Gefühlsnöte also, in einer Zeit des Aufbruchs: Die Jahre 1960 bis 1965 umspannt James Mangolds Kinobiografie (Österreich-Kinostart: 27. Februar) – von der Ankunft des 19-Jährigen in New York City bis zur umstrittenen Elektrifizierung der Protestlieder Dylans am Folk-Festival in Newport. Die Inszenierung ist eine kuriose Mischung aus streng Recherchiertem und freier Assoziation; zahllose Weggefährten Dylans – von seinem Idol Woody Guthrie und seinem väterlichen Freund Pete Seeger (grandios arglos: Edward Norton) bis zu seiner Kollegin Joan Baez und dem Country-Star Johnny Cash – werden hier unter Klarnamen dargestellt, aber die von Elle Fanning gespielte erste New Yorker Geliebte Dylans trägt, nur angelehnt an die reale Suze Rotolo, einen fiktionalen Namen.
Auf Tuchfühlung
Mangold, der 2005 unter dem Titel „Walk the Line“ bereits einen ganz ähnlichen Film über den jungen Johnny Cash gedreht hat, erzählt Dylans frühe Erfolgsgeschichte solide und detailreich, ohne Experimente und Schnörkel, immer auf Tuchfühlung mit seinen Figuren, und er versteht es, selbst Nebenfiguren prägnant zu zeichnen. Zu den Stärken dieses Zugriffs zählt zudem, dass die Songs hier nicht zu Beiwerk verkommen, nicht bloß als Hintergrundrauschen für die privaten Querelen und Aufstiegsbeklemmungen dienen. Es geht in „Like a Complete Unknown“ wirklich (auch) ums Musikmachen selbst, um den Drahtseilakt des akustischen Solovortrags in intimem Rahmen, um Text- und Studioarbeit und nicht zuletzt um die Spezifika des Konzertierens vor großem Publikum.
Wie es Chalamet geschafft hat, Dylans Kompositionen derart leidenschaftlich und nah am Original zu singen, weiß man zwar nicht, es tut dem Film aber gut, dass die Musik vom Ensemble selbst intoniert und nicht nur lippensynchron imitiert wird (auch Monica Barbaro frappiert als Joan Baez). Und Chalamet besteht darauf, in seinem Dylan-Porträt nicht nur in Charisma und Beharrlichkeit zu schwelgen, sondern auch das Asoziale und die Egozentrik zu betonen, für die der Künstler berüchtigt ist. Chalamets Dylan ist ein – wie auch immer populärer – Einsamer, ein in sich Gefangener, der in keinem Moment seines Aufstiegs umhinkonnte, sich dunkle Existenzfragen zu stellen, etwa jene, die in „Like a Rolling Stone“ anklingt: Wie fühlt es sich an, schutzlos und entwurzelt zu sein?