Boris Bukowski: "Bilderbuch finde ich schnuckelig"
profil: Herr Bukowski, nachträglich alles Gute zum Geburtstag. Wie bleibt man mit 69 Jahren derart fit? Boris Bukowski: Ich habe ganz gute Gene. Meine Mutter wird im Oktober 100 und hat mir immer versprochen, mit 100 hört sie auf zu rauchen. Jetzt hat sie ihr Versprechen vorgezogen und schon mit 99 aufgehört. Ich habe auch aufgehört zu rauchen - heuer zu Silvester.
profil: Der erste Versuch? Bukowski: Nein, aber diesmal hat meine Freundin mit mir gemeinsam aufgehört. Daher klappt es besser. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder einige Tage nicht geraucht, manchmal fünf, sechs oder sogar zehn Tage hintereinander. Aber spätestens nach dem dritten Achterl Wein musste ich nach einem Tschick greifen. Am nächsten Tag ist es mir dann immer dreckig gegangen, egal wie viele Zigaretten es waren. Jetzt können meine Freundin und ich uns aber gut in Schach halten. Wir beide bechern manchmal ganz gern ein Flascherl zusammen, und zu später Stunde frage ich dann hin und wieder: 'Zigaretterl?' Sie will aber nicht die Schwächere sein und sagt konsequent: 'Nein, also ich brauche keine.' Da kann ich dann natürlich auch nicht einfach sagen: 'Aber ich schon.'
Ö3 verkauft sich wie ein Waschmittel
profil: Sie haben eine drahtige Radfahrerstatur. Bukowski: Ich bewege mich gerne. Wenn ich keinen Termin habe, mache ich ungefähr eine Stunde pro Tag Gymnastik oder gehe Radfahren.
profil: Letztes Jahr haben Sie als Gast einen Preis bei den Amadeus Music Awards verliehen. Welchen Eindruck haben Sie dabei vom Zustand der österreichischen Musikwelt gewonnen? Bukowski: Wenn Ö3 keine österreichische Musik spielt, ist alles zum Scheitern verurteilt. Ich finde es okay, dass es den Bewerb immer noch gibt, die bemühen sich. Aber die Misere mit Ö3 ist anscheinend noch nicht bis zu den Politikern durchgedrungen. Die Politik reißt sich den Arsch auf, um Beschäftigungsmöglichkeiten für Österreicher zu finden, und gleichzeitig gibt man einen ganzen Wirtschaftszweig auf. So etwas gibt es in keinem anderen Land. Hier gehen unglaubliche Summen verloren und die heimische Werbung und der Fremdenverkehr würden den Boden küssen, für jeden Falco den unser Land hervorbringt. Ich habe jedoch den Eindruck, den ORF-Chefs ist es ziemlich wurscht, was Ö3 macht, solange der Sender schwarze Zahlen liefert.
profil: Bräuchte die Popmusik ähnliche Förderungen wie hierzulande das Theater und die Oper? Bukowski: Ich habe nichts dagegen, Hochkultur zu fördern. Zeitgenössische österreichische Popkultur müsste man nicht einmal fördern, sie bräuchte nur - wie in anderen Ländern auch - ein Forum. Die heimischen Musiker und Musikerinnen finanzieren sich schon selber, da mache ich mir keine Sorgen. Sie müssen nur vorkommen dürfen. Österreich hatte immer und hat auch heute großartige Musiker. Ich wundere mich manchmal richtiggehend, dass diese nicht aufgeben.
profil: Ist das Radio heutzutage wirklich noch so wichtig? Bukowski: Alles steht und fällt mit Ö3. Wenn man auf dem großen Mainstream-Radio nicht läuft, dann kommt man auch in den Printmedien nicht vor. Wer soll über Musiker und Bands schreiben, die nicht gespielt werden. FM4 reißt uns da leider auch nicht raus. Der Alternativsender spielt zwar brav zeitgenössische österreichische Popmusik, ist mit seiner Reichweite von rund zwei Prozent allerdings zu klein, um einen Unterschied ausmachen zu können. Ein normal produziertes Album, eines, das man im Studio mit Musikern einspielt und nicht einfach zuhause am Computer programmiert, kann sich nicht rechnen, wenn es nur auf FM4 gespielt wird.
profil: Wie geht es Ihnen persönlich damit? Bukowski: Meine neuen Sachen werden eigentlich nicht im Radio gespielt. Die alten Sachen laufen in den ORF-Regionalradios und hin und wieder auf Sendern wie zum Beispiel Radio Arabella. Ich verdiene zwar nach wie vor Tantiemen, aber meine neuen Stücke sind was Airplay anbelangt nahezu für die Katz’.
profil: Neue österreichische Popbands wie Bilderbuch, Ja, Panik oder Wanda sind derzeit – gerade auch in Deutschland – sehr erfolgreich. Verfolgen Sie diese neue Entwicklung? Bukowski: Ja, und ich finde das toll. Ich habe mir gerade das neue Album von Bilderbuch angehört und finde es hervorragend produziert. Das finde ich schnuckelig und gut gemacht. Wanda gefällt mir ebenfalls, obwohl das eher normaler Indie-Rock ist. Ja, Panik finde ich auch spitze, Anna F. ebenso. Es gibt viele gute neue Sachen und es ist toll, dass die Konzerte dieser Bands mittlerweile auch in Deutschland ausverkauft sind. Schade ist diese totale Abgrenzung von Ö3 zu FM4. Da heißt es, wenn eine Band zu FM4 passt, dann soll sie dort bleiben. Bilderbuch zum Beispiel, die mittlerweile breitenwirksam sind, ohne fad geworden zu sein, hätten sich locker einen Platz auf Ö3 verdient.
profil: Woher kommt diese strikte Trennung? Bukowski: Prinzipiell habe ich den Eindruck, dass Ö3 überhaupt kein Interesse hat, österreichische Musik zu spielen. Warum das so ist, weiß ich nicht genau. Mitte der 1990er-Jahre wurde Bogdan Roscic zunächst als neuer Musik- und wenig später als Senderchef bei Ö3 installiert. Roscic hatte damals Angst, als provinziell zu gelten, und hat einiges umgebaut. Als erste Änderung wurde der Dialekt aus Ö3 verbannt, im Irrglauben, auf Österreichisch zu singen, habe etwas Provinzielles. Nichts ist jedoch provinzieller als die übergroße Angst, provinziell zu sein. Seither hat sich nichts an diesem Zugang geändert. Ö3 ist eine bloße Abspielstation der internationalen Musikmultis, wie sie auch in Kasachstan stehen könnte. Ein derart großer Sender in einer der wichtigsten Kulturstädte der alten Welt müsste jedoch mehr sein. Er müsste mit den zeitgenössischen Musikern des Landes nach Wegen suchen, wie die Popmusik verändert werden kann. Stattdessen wird Ö3 verkauft wie ein Waschmittel.
profil: Sie und viele andere Musiker haben in den 1970er- und 1980er-Jahren versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Einigen jungen Bands in das in den letzten Jahren sehr erfolgreich gelungen. Sehen Sie Parallelen zwischen Ihren damaligen Versuchen und den heutigen Erfolgen? Bukowski: Es gibt viele Überlegungen, warum damals auf einmal so viele Bands - auch aus der Provinz - ins Rampenlicht gerückt sind. Vor allem die steirischen Bands wie Magic 69, STS oder auch EAV sind lange nicht wahrgenommen worden. Der Semmering und der Wechsel waren da sicherlich eine Sperre zwischen der Provinz und dem Wasserkopf Wien. Einige Musiker haben dann aufgegeben, andere haben sich durchgebissen, sind noch besser und schließlich erfolgreich geworden. Das sehe ich schon Parallelen: Denn aktuelle Bands wie Bilderbuch oder Ja, Panik sind auch ausgeschwärmt und haben geschaut, wo sie es probieren könnten. Und schließlich haben sie ihre Fühler nach Deutschland ausgestreckt. Denn es gibt wahrscheinlich kaum oder nur ganz wenige Musiker und Bands, die nur in Österreich bleiben und von der Musik leben können. Da hat sich nicht viel geändert.
profil: Was war für Sie die dunkelste Zeit in Ihrer Musikerlaufbahn? Bukowski (überlegt lange): Am schmerzlichsten war es sicherlich, dass es nicht möglich war, die Mutterfirma meiner Plattenfirma EMI, die ihren Sitz in Köln hatte, dazu zu bewegen, etwas für mich zu tun. Einmal war ich jedoch ganz nah dran. 1990 war ich gerade sehr erfolgreich mit meinem neuen Album „100 Stunden am Tag“, das Goldstatus erreichte und dessen Single „Trag meine Liebe wie einen Mantel“ ein wirklicher Hit wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es einen neuen Chef in der Popabteilung von EMI in Köln. Dieser Mann ist dann mit seinen acht wichtigsten Mitarbeitern zu einem meiner Konzerte in die Wiener Stadthalle gekommen. Alle waren begeistert. Der Plan war, mich in Deutschland ordentlich zu promoten. Wir haben dann versucht, ihnen das bestmögliche Material zu geben und haben einen Sampler aus den ersten drei Alben gemacht und dazu ein paar Remixes, um nichts anbrennen zu lassen. Als nach Monaten endlich alles fertig war, ist dieser Typ, der auf mich gestanden ist, in die Klassikabteilung hochgelobt worden und für seinen Nachfolger war ich wieder nur irgendwer, der tausend Kilometer entfernt wohnt und von dem er gar nicht weiß, wie er aussieht. Fazit: Kampagne abgeblasen. Das war schon bitter.
profil: Wie sind Sie aus diesem Loch wieder rausgekommen? Bukowski: Es hat seine Zeit gedauert. Kurz darauf ist zwar mein viertes Album erschienen, gleichzeitig begann aber auch die Misere mit Ö3. Ich habe in der Folge acht Jahre lang keine Liveauftritte mehr gespielt.
Umso schlechter sich ein Reim ausgeht, desto lustiger ist er
profil: In den 1980er-Jahren habe Sie im Rahmen der TV-Show „Die Großen Zehn“ landauf, landab in zahlreichen Dorfdiscos gespielt. Gegenwärtig spielen Sie erneut sehr viele Konzerte in kleinen Orten – von Großwarasdorf über Gamlitz bis Kitzbühel. Was erwartet Sie dort? Bukowski: Derzeit spiele ich zwei Arten von Gigs. Zum einen spiele ich mit meiner gesamten Band; diese Konzerte sind aber relativ selten, weil sie recht aufwendig sind und eine ordentliche Gage kosten. Zum anderen habe ich vor etwas mehr als einem Jahr ein Anekdotenbuch veröffentlicht mit Geschichten aus meinem Leben und dem Musikgeschäft. Diese Storys kombiniert mit meinen Songs eignen sich irrsinnig gut für Kleinkunstbühnen. Von denen gibt es sehr viele - und die grase ich alle ab. An diesen Auftritten habe ich großen Spaß. Was mich erwartet? Mein Publikum ist zwischen 20 und 70 Jahre alt. Gemeinsam ist ihnen, dass sie irrsinnig gut zuhören und anscheinend wegen meiner Texte kommen. Ich bin ja nicht so der typische Sänger, mir geht es eher um die Botschaft. Ich staune immer wieder, wie lieb die Leute bei meinen Konzerten sind. Da gibt es keine Idioten. Deshalb bleibe ich auch immer solange, bis der letzte Fan sein Autogramm bekommen hat. Das geht dann oft bis zu einer Stunde nach dem Konzert.
profil: Zwei Ihrer langjährigen Weggefährten – die EAV sowie Peter Weibel mit seinem Hotel Morphila Orchester – haben kürzlich nach langer Pause neue Alben veröffentlicht. Interessiert Sie das noch? Bukowski: Auf jeden Fall. Peter Weibel fand ich als Performer immer grandios. Und Thomas Spitzer ist ein Hero für mich in vielerlei Hinsicht. Er ist der legitime Nachfahre von Christian Morgenstern: Umso schlechter sich ein Reim ausgeht, desto lustiger ist er. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich in Köln im EMI-Haus eines meiner Alben gemastert habe und mein Studiopartner zwischendurch auf einen Sprung in der Kantine war. Gleichzeitig ist dort Herbert Grönemeyer mit Entourage aufgetaucht, hat sich unter anderem über die EAV unterhalten und gesagt: ‚Also, diese Zeile: Du, nur du, gib mir mein Apfelmuh. Ich weiß nicht, das reimt sich doch nicht.’ Aber auch die Deutschen haben dann die EAV ins Herz geschlossen. Reime wie, ‚Es kroch der Efendi, mehr tot schon als lebendi’ finde ich einfach genial. Außerdem liebe ich Thomas Spitzer dafür, dass er eine Haltung aus unserer Anfangszeit in das Gegenteil verkehrt und nie über Mitbewerber gespottet hat. Er sah und sieht in jedem Mitbewerber immer das, worin dieser wirklich gut ist. Und er findet immer irgendwas. Das ist insofern von Bedeutung, denn wenn du auf deine Mitbewerber herabschaust, dann gibt es für dich keinen Grund besser zu werden. Aber nur wenn du dich daran orientierst, was einen anderen Musiker einzigartig macht, dann musst du dir auch selber immer wieder in den Arsch treten, um besser zu werden. Das fand ich immer toll.
profil: Apropos besser werden. Schenken Sie sich zum 70. Geburtstag ein neues Album? Bukowski (lacht): Ich lege es darauf an. Ich habe schon einiges an Material, aber immer noch nicht genug. Meine größten Erfolge hatte ich damit, traurige Situationen zu schildern. Ich glaube jedoch, dieser Traurige bin ich nicht mehr. Mittlerweile mache ich mich eher lustig über mich und meine alten Haberer.
Wenn der Buttenhansl uns unbedingt holen will, dann muss er sich schon auf die Bühne bemühen
profil: Mit Pensionierung ist also nicht zu rechnen? Bukowski: Auf keinen Fall. Ich habe zwar schon einen Pensionsanspruch, spiele aber sicherlich so lange, bis ich nicht mehr kann. Wie hat der Ostbahn Kurti einmal gesagt: 'Wenn der Buttenhansl uns unbedingt holen will, dann muss er sich schon auf die Bühne bemühen.'
Zur Person Boris Bukowski (69) veröffentlichte als Schlagzeuger und später Sänger der Band "Magic 69" (1969-1982) drei Alben und zahlreiche Singles. Den Durchbruch schaffte der gebürtige Steirer 1985 mit seinem ersten Soloalbum "Boris Bukowski". Es folgten sechs Studioalben mit Hits wie "Kokain", "Trag meine Liebe wie einen Mantel" und "Ich bin müde". Sein bislang letztes Album, "Bukowski & Freunde", erschien 2005. Im Jahr 2013 veröffentlichte Bukowski ein autobiographisches Buch mit Anekdoten aus seinem Leben und dem Musikgeschäft ("Unter bunten Hunden").
Unter bunten Hunden, Edition Megafon (2013) Magic 69, Rockarchiv Steiermark, Bandgeschichten Band 1, edition kürbis (2013)