Britney Spears' Memoiren: „Fuck you, Traumgirl!“
Britney Spears war 19 Jahre alt, als sie vor Schmerzen schreiend auf dem Badezimmerboden lag und tatsächlich fürchtete zu sterben. Sie war schwanger von ihrem damaligen Freund, dem Popstar Justin Timberlake, der sich neben sie legte und verstört auf seiner Gitarre zupfte. Eine geleakte Abtreibung hätte dem Sauberimage des Traumpaares schweren Schaden zugefügt. Deswegen schluckte Spears zu Hause, ohne medizinische Hilfe, die Abtreibungspille. „Wenn ich sage, dass es wehtat, beschreibt das nicht im Ansatz die Schmerzen, die ich empfand. Sie waren unglaublich. Ich kniete vor der Toilette und hielt mich daran fest. Lange Zeit konnte ich mich nicht bewegen. Bis zum heutigen Tag gehört das zu den schlimmsten Erfahrungen meines Lebens“, schreibt sie in ihrer 300 Seiten starken Autobiografie „The Woman in Me“, die vor wenigen Tagen unter PR-Getöse in siebzehn Sprachen erschien. Das Buch liest sich wie ein intimer Befreiungsschlag, aber auch als eine Attacke auf all jene, die die Popprinzessin für ihre Zwecke missbrauchten und instrumentalisierten.
Vor den Augen der Welt erwachsen
Der „Rolling Stone“ nannte Spears „die bis heute unerreichte Ikone des Teeniepops“. Sie wurde als Teenagerin berühmt, besonders ihre ersten beiden Alben „… Baby One More Time“ (1999) und „Oops! … I Did It Again“ (2000) machten sie zu einer der erfolgreichsten Musikerinnen der 2000er Jahre – eine Party ohne ihre Hymnen, die bis heute in Dauerschleife gespielt werden, war unvorstellbar. Vor ihrem 20. Geburtstag hatte die im tiefen Südosten, in Louisiana aufgewachsene Spears, die von ihrer Mutter zum Kinderstar gedrillt worden war, bereits mehr als 30 Millionen Platten verkauft. Mittlerweile verkaufte sie laut „Billboard“ mehr als 167 Millionen Tonträger, wurde mehrfach mit Platin ausgezeichnet und staubte vom Grammy bis zu den MTV Awards so ziemlich jede verfügbare musikalische Auszeichnung ab.
Nun wurde Britney Spears vor den Augen der Welt aber nicht nur berühmt, sondern auch erwachsen. Und damit waren viele augenscheinlich unglücklich. Sexismus, Mobbing und Demütigungen wurden zu ständigen Begleiterscheinungen ihrer Karriere – ob aufgrund ihres Aussehens, Gewichtsproblemen, ihrer Männerbeziehungen oder ihrer Rolle als Mutter. Vielen wäre lieber gewesen, die niedliche Pop-Princess hätte nie aufgehört Kindfrau zu sein und wäre für immer eine Lolita-Projektionsfläche für männliche Fantasievorstellungen geblieben.
Dass ihr Leben zu einem biografischen Katastrophengebiet mutieren musste, scheint da nahezu unausweichlich. Erfolge in der Stratosphäre des Popbusiness müssen oftmals mit harten Abstürzen bezahlt werden. Die Tabloids lebten über Jahre von der gescheiterten Beziehung zu Justin Timberlake (der sich per SMS verabschiedet hatte), die an Desastern reiche Ehe mit dem No-Name-Rapper Kevin Federline, dem Sorgerechtsstreit um die beiden Söhne, die über 13 Jahre währende Vormundschaft ihres Vaters James Spears, die vor Gericht endete, die Entzugsaufenthalte, der kahl geschorene Kopf.
„Mir meinen Kopf kahl zu scheren, war eine Möglichkeit, aller Welt zu sagen: Fuck you. Ich soll für euch hübsch sein? Fuck you. Ich soll euch zuliebe ein guter Mensch sein? Fuck you. Ich soll euer Traumgirl sein. Fuck you.“
Die Kahlrasur, die um die Welt ging, war entsprechend symbolisch aufgeladen. 2007 machte Britney Spears kurzen Prozess und rasierte sich den gesamten Kopf kahl. Das Paparazzofoto wurde zum Sinnbild für ihren psychischen Verfall, für ihr Ende als funktionierende Perfektionsmaschinerie, eine Ruhm-Ruine, die auch ihre Fähigkeit zur Mutterschaft abgesprochen wurde. Heute schreibt sie über diese Zeit: „Mir meinen Kopf kahl zu scheren, war eine Möglichkeit, aller Welt zu sagen: Fuck you. Ich soll für euch hübsch sein? Fuck you. Ich soll euch zuliebe ein guter Mensch sein? Fuck you. Ich soll euer Traumgirl sein. Fuck you.“
Wahrscheinlich liest sich ihre Autobiografie auch deshalb wie eine öffentliche Versöhnung mit ihrem authentischem Ich und ein Abschied vom Sweetheart-Image. „Wem hatte ich versprochen, für den Rest meines Lebens siebzehn zu bleiben?“, fragt sie einmal in „The Woman in Me“. Und sie reflektiert dabei nicht nur ihre eigene Situation, sondern die aller Frauen und Mädchen in Hollywood, und wie unterschiedlich sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen von der Unterhaltungsindustrie behandelt werden: „Natürlich hat Hollywood Männern schon immer viel größere Freiheiten zugestanden als Frauen. Und ich weiß auch, dass Männer sogar dazu ermutigt werden, allen möglichen Mist über Frauen zu erzählen, nur um berühmt und mächtig zu werden.“
Der große Gott
Abseits von ihrem Frausein zelebriert Britney Spears in „The Woman in Me“ auch ihren Glauben. Durch die gesamte Autobiografie ziehen sich religiöse Anspielungen, Analogien und Metaphern. So beschreibt sie ihre Kahlrasur als „beinahe religiösen Akt“, ihren Vater, der sie entmündigte, als Anführer einer Sekte und sich selbst als seine Jüngerin; sie betet während jeder Tour, bei jedem Klinikaufenthalt. Die Zeit zwischen der über sie verhängten Entmündigung 2008 bis zum Ende der Vormundschaft 2021 versteht sie fast als eine Art Prüfung, die sie ausschließlich mit Gottes Hilfe überstehen kann. Es wirkt fast so, als wären ihr Selbstbild als Frau, ihre Freiheit und ihr Glauben an das Gute mit der Zeit ineinander verschmolzen – als gäbe es das eine ohne das andere nicht.
Das lässt sich zum Teil sicher auch auf die anfangs beschriebene illegale Abtreibung zurückführen. „Wenn er (Timberlake) nicht Vater werden will, dann habe ich keine große Wahl“, beschreibt Britney Spears rückblickend ihren Entschluss. Nachdem ihre Beziehung mit Timberlake zu Ende ging, wurde sie von dessen PR-Team zur fremdgehenden Popschlampe denunziert, um das Image des Popmusikers zu rehabilitieren. Ihre gesellschaftliche Außenwahrnehmung stand plötzlich in einem absoluten Gegensatz zu ihrem Selbstbild. Und der Versuch, diesen Riss zu kitten, ist eigentlich das Leitmotiv ihrer Lebensgeschichte.
„Freiheit bedeutet, niemandem etwas vorspielen zu müssen, ob auf der Bühne oder abseits davon. Meine Freiheit ist es, so wunderbar unperfekt sein zu dürfen wie alle anderen auch.“
Autonomie über die eigene Geschichte
„The Woman in Me“ ist also nicht nur eine Autobiografie, sondern vor allem der Wendepunkt der globalen Erzählung „Britney Spears“. Mit ihr nimmt die Musikerin die eigene Geschichte wieder selbst in die Hand, und so chaotisch und bizarr das manchmal auch sein mag, so ehrlich ist sie dabei auch. Es sind eben nur ihre eigenen Fehler, die sie macht. Es ist ihr eigener Körper, mit dem sie immer wieder virale Hits auf Instagram landet, weil ihre Choreografien parodiert werden. Es ist ihr eigenes Geld, mit dem sie ihren Hunden Gucci-Mäntelchen kauft. Es ist ihre eigene Geschichte, die sie mit „The Woman in Me“ veröffentlicht hat und es war ihre eigene Entscheidung, dabei so ehrlich, irritierend und auch schockierend zu sein, wie sie wollte.
Und wahrscheinlich ist diese neugewonnene Freiheit, die sie so schonungslos auslebt, das viel größere „Fuck you“ als der abrasierte Kopf aus 2007. Oder um es mit den Worten von Britney Spears zu sagen: „Freiheit ist, sich auch mal eine Auszeit von Instagram nehmen zu können, ohne dass irgendwer gleich den Notruf wählt. Freiheit ist, Fehler machen zu dürfen und aus ihnen zu lernen. Freiheit bedeutet, niemandem etwas vorspielen zu müssen, ob auf der Bühne oder abseits davon. Meine Freiheit ist es, so wunderbar unperfekt sein zu dürfen wie alle anderen auch.“