Brot und Spiele: Szenarien an Wiener Theaterbuffets

Was isst der Intendant am liebsten? Wird bei Premierenfeiern viel gestohlen? Nirgends erfährt man besser, wie es hinter den Kulissen zugeht, als in den Kantinen und Pausenfoyers. Ein Besuch in Wiens Theatertankern, der Burg, dem Volkstheater und der Josefstadt.

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Regisseure sind mitunter sehr naiv. Sie glauben tatsächlich, die Zuschauer kämen ihrer Inszenierungen wegen ins Theater. In Russland wird diese Hybris bereits architektonisch in die Schranken gewiesen. Das Buffet im berühmten Moskauer Künstlertheater ist mindestens so imposant wie die Bühne. In Tschechows Heimat ist die Pause noch heilig: Nach jedem Akt gibt es eine Unterbrechung, die Buffetkräfte warten dann bereits in ihren altmodischen Uniformschürzen; Stehtische, die vor der Vorstellung reserviert wurden, biegen sich unter Cognacgläsern, Champagnerflaschen und Brötchen. Theater heißt schließlich nicht nur sehen, sondern auch gesehen werden. Die Pause ist die schönste Möglichkeit, selbst zum Star zu werden: Nirgends glitzert das neue Brillantencollier prächtiger als am Theaterbuffet. Die beste Besetzung sind wir selbst.

Während in Moskau die Welt noch in Ordnung ist, geht im deutschsprachigen Raum ein Gespenst um. Burgtheater-Urgestein Martina Hochstöger, seit 25 Jahren Betreiberin der Pausenbuffets und Kantinen in der Burg und am Akademietheater, kann eigentlich nichts aus der Ruhe bringen - weinende Schauspielerinnen, polternde Intendanten, Regisseure am Rand des Nervenzusammenbruchs: alles business as usual. Nur ein Wort treibt sogar der gelassenen Waldviertlerin Schweißperlen auf die Stirn: Durchspieler! So nennt man im Fachjargon Vorstellungen ohne Pause. Und die häufen sich in letzter Zeit. Performative Formate, well-made plays, filmische Zugänge oder einfach nur der Hang zur Verdichtung -das deutschsprachige Regietheater tendiert gerade zur kurzen Form. Die gute alte Pause wird zur Ausnahmeerscheinung. Deshalb hat Hochstöger eine Mission zu erfüllen: Sie nimmt sich Neulinge am Haus zur Brust, um ihnen zu erklären, was das Publikum erwartet: "Ob jung, ob alt, jeder will doch eine Pause! Ich kämpfe mit allen Regisseuren darum." Den Münchner Christian Stückl konnte sie überzeugen - seine Burg-Inszenierung von Goldonis Komödie "Der Diener zweier Herren" hätte ursprünglich einer dieser gefährlichen "Durchspieler" werden sollen. Der gebürtige Bayer aber, selbst kein Kostverächter, sah schließlich ein, dass das leibliche Wohl mindestens so wichtig ist wie die Kunst.

"Ich kann gut zuhören und trösten"

Martina Hochstöger ist eine Institution. Sie sitzt in der Burg-Kantine, die Krücken stehen neben dem Tisch - ihr Bein war gebrochen und möchte nun nicht recht verheilen. Ins Theater kommt sie trotzdem. Es vergeht keine Minute, in der kein Techniker, keine Regisseurin, kein Schauspieler vorbeikommt, um zu fragen, wie es ihr geht. Die Martina ist einfach beliebt: "Die Kantine ist die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, nach den Proben seinen Zorn rauszulassen. Und ich kann gut zuhören und trösten."

Mit der gestrengen Regisseurin Andrea Breth hat sie Nächte durchzecht, während sie Matthias Hartmann, dem 2014 entlassenen Burg-Chef, der immer auf Diät war und deshalb auf Kohlenhydrate verzichten wollte, erklären musste, dass Bohnensalat und Rotwein auch Kalorien haben - und mit dem als unberechenbar geltenden Starschauspieler Klaus Maria Brandauer war sie so streng bei einer offenen Rechnung, dass er sie seither innig liebt.

Eine Kantinenbetreiberin ist schließlich eine Autoritätsperson. Gibt es bei Proben mit Brandauer Probleme, dann freut sich jeder im Haus, wenn ihn Martina in der Kantine wieder besänftigt. "Im Theater musst du mit den Leuten können", bringt es Hochstöger auf den Punkt. Nur Claus Peymann war nicht so gerne in der Kantine, da "wienere" es ihm zu sehr, soll der legendäre Burg-Intendant (1986-1999) erklärt haben.

"Die Kantine ist das Wohnzimmer des Theaters", sagt sie. Hochstöger muss aber auch zugeben, dass die wilden Zeiten, als nächtelang durchgesoffen wurde, vorbei sind. Eine neue Generation an Regisseuren und Akteuren gibt sich diesbezüglich biederer. Man geht früher heim, trinkt weniger, selbst die verrauchten Vorhänge in der Kantine sind Geschichte. Klein Illmitz, jene berüchtigte Schlosserhütte tief in den Eingeweiden des Burgtheaters, in der nach Premieren auf den Tischen getanzt wurde, wo Schauspieler und Techniker gemeinsam zechten, existiert zwar noch, aber die einstigen Alkoholexzesse sind auch hier bereits Teil der Legendenbildung. Weißt du noch, damals!

Um im Theater zu arbeiten, muss man ein wenig verrückt sein - auf Buffetbetreiberinnen und Buffetkellner trifft dieses Klischee jedenfalls zu. Sie sind Theaternarren, selbst wenn sie die Bühne nur von hinten kennen. "Ich werde das Volkstheater immer lieben!", ruft Ivan Barnjak, der für die Rote Bar zuständig ist. Der gebürtige Bosnier hat eine unbändige Energie, seine Ehe wurde geschieden, weil er jeden Abend in der Roten Bar verbrachte. Er ist eine lebende Werbetafel für das Volkstheater, liebenswert durchgeknallt und derart präsent, als ob er selbst Schauspieler wäre. "Die Leute erzählen mir alles! Du bist wie ein Psychiater", sagt er fröhlich, kann aber auch streng sein, wenn es sein muss. Bei den Clubbings in der Roten Bar wurde einmal ein altes Gemälde gestohlen, erzählt er entsetzt. "Ich bin Leuten schon nachgerannt, die hatten Tische und Stühle bis zum U-Bahn-Eingang geschleppt!" Aber eigentlich ist er mit dem Publikum sehr zufrieden: "Die Gäste benehmen sich besser als in einer normalen Bar."

Theater zum Angreifen

Das Theaterbuffet ist eine gute Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, der Alkohol lockert die Zungen, jeder wird zum Kritiker. Und wenn man Glück hat, schneien auch jene Schauspieler herein, die man gerade noch ehrfürchtig aus der Distanz gesehen hat - und bestellen ein Gläschen. Das Buffet und die Kantine sind Theater zum Angreifen, mehr backstage geht nicht.

Gleich um die Ecke in der Josefstadt: Rund eineinhalb Stunden vor Vorstellungsbeginn setzt sich im Restaurant Maria Treu in der Piaristengasse eine kleine Brötchenkolonne in Bewegung. Lotte Reiter und ihre Mitarbeiter tragen die Buffetware in die Josefstadt, durch den Zuschauerraum geht es ins Pausenfoyer. Bioprodukte und veganes Essen sucht man hier - wie übrigens auch bei den anderen Häusern - vergebens. "Ich werde nie nach veganem Essen gefragt, das Ungesunde geht am besten", sagt Lotte Reiter. Selbst Hausherr Herbert Föttinger besteht bei der Premierenfeier auf das kleine Schnitzerl, da sei er konservativ. Beim Sportgummi allerdings scheiden sich die Geister. Direktor Föttinger war die klassische Süßigkeit nicht edel genug, er verbannte sie aus dem Buffet, obwohl sich das Produkt stets gut verkaufte. Stattdessen gibt es jetzt Weingummi, liebevoll in durchsichtige Plastikfolie abgepackt. Sieht schicker aus.

Schwierig sei es, wenn zu viele Stücke auf dem Programm stünden, in denen gestorben wird, erklärt Frau Reiter. Dann gehen die Leute in der Pause. "Tote auf der Bühne sind Stimmungskiller am Buffet", sagt sie. "Alte Leute wollen doch nicht sehen, dass sich jemand umbringt!" Wenn es nach den Buffet-Betreibern ginge, sehe der Spielplan ohnehin ganz anders aus: Komödien wären Trumpf. "Bei lustigen Stücken wird Sekt getrunken, bei mittelmäßigen Spritzer und Weißwein", analysiert Ivan. Und seine Kolleginnen können das nur bestätigen: "Eine Komödie macht einfach Gusto auf Sekt oder Champagner", meint die Burg-Buffetchefin. Obwohl es natürlich auch auf das jeweilige Abo und das Publikum ankommt. Wenn Kabarettisten wie Josef Hader am Burgtheater auftreten, beobachte man das "Spritzer- und Bierpublikum". Und eigentlich würde auch am Buffet immer mehr gespart. "Früher gab es das nicht, dass jemand zwei Gläser für ein Pago-Getränk wollte", sagt Hochstöger. Und noch eine Regel gibt es: "Leute, die Champagner bestellen, geben meist wenig Trinkgeld", plaudert Josefstadt-Buffet-Chefin Reiter aus dem Nähkästchen.

Da trudeln auch schon die ersten Zuschauer ein, wollen - ganz in der Wiener Theatertradition - für die Pause einen Platz reservieren. Man bezahlt vorher, bekommt einen Stehtisch zugeteilt, an dem Getränke und Brötchen warten. Die Vorstellung kann beginnen. Egal, was auf der Bühne passieren wird, der Abend hat ein garantiertes Highlight: das Sekterl im Pausenfoyer. Prost!

Volkstheater

Ein bisschen Liebe gehört dazu, dann schmeckt es supergut. (Volkstheaterbar-Legende Ivan Barnjak)

Weine: solide. Empfehlung weiß: Gemischter Satz.

Essen: Testsieger bei den Wiener Theaterbrötchen. Frischer Kren, Essiggurken, gute Brotwaren. Highlight: Weißbrotweckerl mit Camembert, Apfel, Preiselbeeren - klingt nach 1990er-Jahre-Küche, schmeckt aber.

Süßigkeiten: hausgemachte Strudel im Mama-Style, etwas schwer zu essen.

Besonderheiten: Pranha-Shot - Vodka, Zitrone, Tabasco, Cocktailkirsche. Weckt jeden Theaterschläfer auf.

Josefstadt

Wir freuen uns, Wiener Produkte anbieten zu können, die man kaum mehr findet. (Buffet-Betreiberin Lotte Reiter)

Weine: solide und günstig. Wein des Monats wechselt.

Essen: klassisch, das labbrige Toastbrot ist verbesserungswürdig. Highlight: die Putenschnitzerl-Semmel und das Lachsbrötchen mit Dill und Zitrone.

Süßigkeiten: große Auswahl an abgepackten heimischen Schmankerln, vom "Wiener Zuckerl" bis zu Pischinger Eckerln.

Besonderheiten: breites Süßigkeiten-Angebot.

Burgtheater

Im Theater musst du mit den Leuten können. (Kantinen- und Buffet-Betreiberin Martina Hochstöger)

Weine: große Auswahl zu unterschiedlichen Preisen.

Essen: solide. Herausragend: das Jourweckerl mit Nusssalami.

Süßigkeiten-Highlight: der Pariser Spitz.

Besonderheiten: die Vinothek. Am besten schmeckt der Nittnaus Heuboden - der Lieblingsrotwein von Ex-Burg-Chef Hartmann.

Karin   Cerny

Karin Cerny