Literatur

Buchmesse Leipzig: A bisserl a Aufmischung

Bei der Leipziger Buchmesse dreht sich kommende Woche alles um Österreich. Wie stellt sich das Gastland dar? Was trennt, was verbindet Literatur und Land, fragt sich Wolfgang Paterno.

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Leipzig dürfte bald verwienern. Der Nino aus Wien raunzt in den Linien 14 und 16 aufs Schönste die Namen der Stationen, die zum Messegelände und zur Schaubühne Lindenfels führen. Das Gastland Österreich auf der Leipziger Buchmesse, die kommende Woche das Literaturleben bestimmen wird, steuert den Slogan „meaoiswiamia“ bei. Mehr als wir also. Vor knapp 30 Jahren, auf der Frankfurter Buchmesse 1995, der weltweit wichtigsten Literaturveranstaltung, erfolgte Österreichs bislang erster und letzter Gastlandauftritt. Nun der zweite Durchgang: Wir und Leipzig. Austria und die Welt.

Im Untergeschoß des Wiener Literaturhauses lagert ein ziegeldicker Band, der Pressespiegel der Frankfurt-Messe, Stand 5. Dezember 1995. Frankfurt war ein Wagnis in vielerlei Hinsicht. „Das Ufo ist gelandet“, schrieben deutsche Gazetten damals. Die Schlagzeile „Genie mit Sachertorte“ ließ die Klischees kulminieren. Die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ präsentierte ein Foto mit Merksatz: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Grundverschieden auch die äußeren Umstände: „Frankfurter Buchmesse on line – Internet für Buchhandel immer bedeutender“, meldete ein Vorarlberger Lokalblatt. „On line“, so schrieb man das 1995. „Die österreichische Literatur gilt als die kleine wilde Schwester der deutschen“, fasste der Salzburger Kulturjournalist Anton Thuswaldner 2015 in einem Essay die ausufernde Diskussion darüber zusammen, was das spezifisch Österreichische innerhalb der deutschen Literatur sei. Frankfurt 1995 war von dieser einen Frage gebannt. „Robert Menasse kritisierte seinen Kollegen Peter Handke, der in seinen Texten das schöne Wort ,Obers‘ durch das deutsche ,Schlagsahne‘ ersetzte“, beobachtete ein Frankfurter Stadtmagazin. Armin Thurnher zog im „Falter“ das satirische Plateau ein: „Sagt man zu den Würstchen nun Wiener oder Frankfurter? Richtige Antwort: Sacher-Würstchen.“

Bashing im Museum

Es trifft sich gut, dass Gerhard Ruiss, 71, im Wiener Literaturhaus sein Büro im Untergeschoß um die Ecke hat. Der Autor und Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren war 1995 im Frankfurt-Organisationskomitee. Für Leipzig sitzt er im Beirat. „Bei den ersten Veranstaltungen in Frankfurt ernteten wir mitleidiges Lächeln“, erinnert sich Ruiss an die Publikumsreaktion auf den literarischen Austro-Import. „Bald überschlugen sich jedoch die Jubelmeldungen, die Säle platzten aus allen Nähten.“ Am Ende, sagt Ruiss, sei Frankfurt ein Fest gewesen. Eine Feier der Literatur, ein großes Miteinander, das von der Politik völlig unberührt blieb. „In Frankfurt wie in Leipzig stellte und stellt sich nicht das politische, touristische, kulinarische Österreich vor. Dazu ist die Literatur des Landes zu sperrig, theatralisch, kompliziert, undogmatisch, widerborstig, grenzüberschreitend. Selbst das Österreich-Bashing ist längst musealisiert.“ Der Staatsbeschimpfungsmechanismus ist 2023 außer Kraft. „Hassliebe zum Heimatland“, derart überschrieben deutsche Zeitungen 1995 noch ihre Frankfurt-Berichte. Und wenn die heimische Politik dennoch versuchte, Leipzig für sich zu vereinnahmen? „Keine Chance. Ich vertraue vollends auf die Widerspenstigkeit der Literatur“, sagt Gerhard Ruiss.

Wie streng man die Sache im Rückblick auch bewertet: Österreich legte anno 1995 unter Projektleiter Rüdiger Wischenbart eine so schwungvolle wie schicke Sohle aufs Parkett. Vor 30 Jahren war auch die Zeit des ausgiebigen Datumszaubers: 1995 feierte Österreich seinen 50. Geburtstag („50 Jahre Zweite Republik“; „50 Jahre Befreiung von der NS-Herrschaft“). Bereits im Jahr darauf, 1996, jährte sich zum 1000. Mal jener Tag, an dem der Name Österreich erstmals urkundlich erwähnt worden war. Wäre es nicht alles wahr, man könnte es nicht besser erfinden, wie Österreich in nur einem Jahr von der 50er- zur 1000er-Jahresfeier ausholte. Parallelaktionist Robert Musil hätte jedenfalls seine Freude daran gehabt. Die gigantische Einladungskarte der Politik, sich an den Geburtstagsfeierlichkeiten der Nationalgründung in freier Form zu beteiligen, schlug der Austro-Schwerpunkt auf der Frankfurter Messe sehr leichten Herzens aus.

Begreift man Literaturmessen als kolossale Wimmelbilder, dann sind diese Bilder gefüllt mit Autorinnen und Autoren, Hunderten Verlags- und Medienmenschen, Gesprächen, Banketten, Ansprachen, Partys, Geschäftsanbahnungen, Diskussionen, Eifersüchteleien, Buntem, Nervigem, Lärmigem, großen Zahlen und habituellen Superlativen: Das Leipziger Österreich-Budget liegt bei zwei Millionen Euro (Frankfurt 1995: umgerechnet rund fünf Millionen Euro); 265 Veranstaltungen werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Gastland-Jahr abgehalten; 576 Autorinnen und Autoren, Moderatorinnen und Moderatoren sind beteiligt. Es braucht viel Enthusiasmus, Expertise und Experimentierfreude, um aus all dem ein Literatur-Happening zu deichseln. 1995 war das der Fall. Vieles deutet darauf hin, dass dies auch in Leipzig so sein könnte. Weshalb allerdings die Schriftstellerin Verena Roßbacher, im Vorjahr für ihren Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet, nicht nach Leipzig eingeladen wurde, darüber wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein.

„Literatur entsteht bekanntlich nicht im luftleeren Raum“, sagt die ORF-Journalistin Katja Gasser, 48, die das Leipziger Gastland-Projekt künstlerisch verantwortet: „Sie ist geprägt von dem Kontext, in dem sie entsteht. Die Literatur dieses Landes trägt dieses Land in sich, ob sie das will oder nicht, was sich auf sehr unterschiedliche Arten realisiert.“

In der Auslage steht die Literatur, die Politik bleibt im Hinterzimmer. Zumindest in den allermeisten Fällen. „Natürlich werden wir in Leipzig ständig auf den Rechtsruck in Niederösterreich angesprochen werden“, sagt Gerhard Ruiss. Wie bereits 1995, als die FPÖ bei den Wiener Gemeinderatswahlen ad personam gegen Autorinnen und Politiker hetzte: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk – oder Kunst und Kultur?“

„Ohne den emanzipatorischen Furor der hiesigen Literatur – wie der Kunst des Landes generell – wäre dieses Land wohl längst an sich selbst erstickt“, sagt Leipzig-Leiterin Gasser heute: „Die Kunst im Land bleibt ein wichtiges gesellschaftspolitisches Korrektiv!“

Werdet Österreicher!

Wer oder was ist aber diese „Wir“? Was denken Autorinnen und Autoren über Leipzig? Anna Maria Stadler, 31, debütierte im Vorjahr mit ihrem Roman „Maremma“ als Autorin. „Aus dem Slogan ‚meaoiswiamia‘ ergibt sich ein interessantes Spannungsfeld zwischen einer spezifischen Situiertheit einerseits und dem Wunsch nach Durchlässigkeit andererseits“, sagt Stadler, die bei der „Langen Leipziger Lesenacht“ ihren Auftritt haben wird. „Wenn man dieses ‚mia‘ auf die Literatur anwendet, könnte man im Kontext mit Österreich vom Umgang mit der Sprache und dem Einschreiben in eine experimentelle Tradition sprechen. Daran schließt aber auch die Frage an, wer dieses ‚Wir‘ überhaupt ist.“

Aus Graz schickt der Autor Egon Christian Leitner, 62, eines seiner unnachahmlichen, orthografisch eigenwilligen Nachdenkstückchen: „Der Neoliberalismus (Hayek) kommt aus Österreich, der Zweite Weltkrieg (Hitler), der Erste wesentlich, die Weltkriege eben; desgleichen hingegen der Weltfrieden (Suttner), die gute EU (Coudenhove-Kalergi), das gute Israel (Herzl, Buber), die gute Wissenschaft (Popper, Wiener Kreis & Neurath), der gute Sozialstaat (Neurath & das Rote Wien & der Austromarxismus & der Kreisky), die Redlichkeit (Kelsen, Buber, Kraus, Wittgenstein, Popper, Broch), die jeweilige Demokratie dazu, der Männersex (Mutzenbacher, Freud, Salten, Weininger), die Frauenfreiheit (Mayreder, Suttner & die Jochmann und die Dohnal); alle, alles eben aus der ‚Versuchsstation des Weltuntergangs‘. In Leipzig, wer kann da mithalten, in Wahrheit, jetzo?“

Sehr passend ist die Leipziger Veranstaltung, bei der Leiter live zu erleben sein wird, als „Solitär der österreichischen Literatur“ angekündigt.

Der Salzburger Publizist und Schriftsteller Karl-Markus Gauß, 68, ließe sich als alerter Zeitgenosse mit österreichischem Kopf und heißem europäischen Herzen beschreiben. „Die Deutschen, gleich welcher politischen Gesinnung und kulturellen Vorlieben, neigen dazu, Österreich einen Status wie Sachsen, Saarland oder meinetwegen Bayern zuzusprechen“, sagt Gauß: „Die Bezeichnung ‚Ösi‘, die in Analogie zu Ossi und Wessi gefunden wurde, bringt das einprägsam zum Ausdruck. Wenn der Österreich-Auftritt dazu beiträgt, diese Bemächtigung zu erschüttern, hat die Literatur etwas sehr Gutes bewirkt.“ Und weiter: „Wichtig war, das Österreichische nicht als identitäres Programm vorzustellen und den Nachweis führen zu wollen: Wir Österreicher schreiben ganz anders als alle. Eher zu zeigen, dass in unserem ‚Wir‘ in nationaler, sprachlicher, literarischer Hinsicht ziemlich viele Platz haben.“

Vor 30 Jahren ließ das Hamburger Wochenblatt „Die Zeit“ seinen Reporter auf der Suche nach Österreich durch die Frankfurter Ausstellungshallen streifen. „Die Österreich-Messe – eine ziemlich schräge Geschichte“, notierte der Kulturkorrespondent, der seinen Bericht mit „Das ist das Zugrundegehn“ überschrieb und Karl Kraus, den Säulenheiligen der Österreich-Hass-Liebe, zitierte: „A bisserl a Aufmischung – gar nicht schlecht – kann gar nicht schaden – höxte Zeit.“ In Leipzig steht eine Party unter dem Motto „Good Night Vienna“ mit DJ und Dichtkunstdirektor Fritz Ostermayer auf dem Plan, gefolgt von der Gala „Werdet Österreicher!“ Man nimmt die schwere Last des Österreichisch-Seins längst auf die leichte Schulter.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.