Erster Burgtheater-Spielplan von Martin Kusej: In die Vollen
Gewohnt lässig, in einer weißen Lederjacke, betritt Martin Kusej, 58, die Bühne des Burgtheaters, umringt von seinen neuen Dramaturginnen und Dramaturgen, um den Spielplan für seine erste Saison als Direktor des Burgtheaters zu präsentieren. Der scheidende Chef des Münchner Residenztheaters inszeniert sich als Teamplayer, er betont zwar, dass er „grundsätzlich Finanzen“ lesen könne und die Gesamtverantwortung habe, aber es gehe ihm darum, in einem „wunderbaren Team“ zu arbeiten. Als Zeichen flacher Hierarchien werde es demgemäß keinen Chefdramaturgen geben.
Kusej hatte bereits im Vorfeld angekündigt, das Traditionshaus erneuern zu wollen. Es soll mehrsprachig und internationaler werden. Er hat zahlreiche Regiekräfte eingeladen, die mit künstlerischen Handschriften arbeiten, die man hier noch nicht kennt. Das Burgtheater werde sich fortan nicht mehr als „teutsches Nationaltheater begreifen, das nur in einer Zunge spricht“, erklärt Kusej gleich zu Beginn. Das Burgtheater soll die „Weltmetropole Wien“ in ihrer Diversität und ihrem Kosmopolitismus spiegeln.
Die Zahlen sprechen für sich: Allein von den Regisseurinnen und Regisseuren, die ab kommenden Herbst die erste Saison bestreiten werden, haben bislang nur vier am Burgtheater gearbeitet (Kusej selbst, der Puppenbauer Nikolaus Habjan, der Australier Simon Stone, die Britin Katie Mitchell). Der Rest ist tatsächlich neu für das Haus – diese Kunstschaffenden kommen u.a. aus Island, Belgien, England, Estland, Israel, Ungarn oder Kroatien. Der deutsche Regisseur Ulrich Rasche eröffnet am 12. September mit seinem wuchtigen chorischen Maschinentheater: Er inszeniert „Die Bakchen“ von Euripides – profil berichtete bereits. Kay Voges, der 2020 die Intendanz des Wiener Volkstheaters übernehmen wird, hat in den letzten Jahren eine spezielle Ästhetik entwickelt, um Bühnen-Liveerlebnis und digitale Welt zusammenzudenken, seine ästhetisch avancierten Arbeiten sind aberwitzige Sinnsuche-Expeditionen. Am Burgtheater wird er im Dezember die Weltuntergangs-Oper „Dies Irae – Tag des Zorns“ inszenieren. Eine viel diskutierte neue Regie-Stimme kommt aus Island: Thorleifur Örn Arnarsson zeigt seine Interpretation der Heldensaga „Die Edda“ und nimmt sich „Peer Gynt“ als neues Stück am Burgtheater vor.
Zugespitzt könnte man sagen: Das Burgtheater macht ab sofort auch den Wiener Festwochen Konkurrenz, die in den letzten Jahren ohnehin ein wenig geschwächelt haben, was innovatives Sprechtheater betrifft. Viele spannende ästhetische Ansätze, die früher eher beim Festival zu sehen gewesen wären, finden jetzt im Burgtheater eine Heimat. Etwa das estnische Duo Ene-Liis Semper & Tiit Ojasoo, das unter dem Compagnie-Namen NO99 bereits einige Male bei den Festwochen für aberwitzige Inszenierungen gesorgt hatten (zuletzt: „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“, 2015). Sebastian Nübling und der Ungar Kornél Mundruczó, gern gesehene Festwochen-Gäste, arbeiten nun an der Burg – einen Begriff, den Kusej übrigens nicht gerne hört: „Wer in meiner Gegenwart Burg sagt, zahlt 10 Euro“, betont er auf der Pressekonferenz.
Die Zahl der neuen Ensemblemitglieder ist übrigens größer als kolportiert: 30 neue Spielerpersönlichkeiten kommen ans Haus. Rainer Galke, Star des Wiener Volkstheaters, wechselt ans Burgtheater, Florian Teichtmeister kommt von der Josefstadt. Die beiden Residenztheater-Lieblinge Bibiana Beglau und Norman Hacker folgen Kusej nach Wien. Sophie von Kessel, Kusejs Lebensgefährtin, bleibt jedoch in München bei Kusej-Nachfolger Andreas Beck.
Von Kusej selbst gibt es vier Übernahmen aus München, für die er keine extra Gage bekommt, wie er auf Nachfrage betont, und eine Neuinszenierung: Kleists selten gespieltes, düsteres Stück „Die Hermannsschlacht“, das, wie Kusej sagt, perfekt zum aktuellen Nationalismus in Europa passen würde. Außerdem erzählt er, dass er mit Elfriede Jelinek im Gespräch sei: Sein Wunsch wäre ein neues Stück von ihr.
Der Katenvorverkauf beginnt ab 20. August. Das Programmheft downloaden geht unter: //neu.burgtheater.at