Burgtheater: Ist die Zeit der Tyrannen endgültig vorbei?
Natürlich müsse man sich als Darsteller einiges gefallen lassen, sagt der Schauspieler Markus Hering, "weil man auf der Bühne, in den Proben, immer eine offene Wunde ist". Doch wenn das Machtdenken zum Prinzip werde, "wird es zum Problem". Der vor wenigen Tagen erschienene offene Brief, den 60 am Burgtheater beschäftigte Menschen unterzeichnet haben, ist nur die Spitze eines Eisbergs. Die Betroffenen beschreiben ein Klima der Angst, das unter der Ägide von Matthias Hartmann ab 2009 viereinhalb Jahre lang geherrscht habe; sie zeichnen das Bild eines vergifteten Arbeitsklimas, das von homophoben und sexistischen Witzen bis hin zu Klapsen auf die Hintern von Mitarbeiterinnen geprägt war. Der Brief komme spät, räumen die Unterzeichnenden selbst ein; die #MeToo-Debatte sei der Anstoß gewesen, endlich auch untereinander das Gespräch zu suchen.
Als Burg-Chef pflegte Claus Peymann in den 1990er-Jahren seine Hospitanten schon zu Arbeitsbeginn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Im Theater zu arbeiten sei "wie in ein Kloster einzutreten", warnte er. Man habe sein Leben der Kunst zu opfern - und die gottgleichen, meist männlichen Theaterdirektoren verfügten fortan über die ihnen Unterstellten. Dabei meinte Peymann selbst kürzlich großzügig, er verstehe sich gar nicht als Feudalherr, sondern lediglich als "aufgeklärter Monarch". Sein Berliner Kollege Frank Castorf ist da deutlicher: "Man muss vernichten, um etwas anderes zu erhalten." Er sehe sich den Tyrannen näher. Dass man Schauspieler "brechen" müsse, um zu künstlerischen Höchstleistungen zu gelangen, ist an deutschsprachigen Bühnen ein gängiger Sprachtopos.
Eine gewisse Schmerzbereitschaft schadet also keineswegs, wenn man am Theater, inmitten spätfeudaler Strukturen, reüssieren will. Frauenquote: Fehlanzeige. 78 Prozent der Stadt-und Staatstheater werden nach wie vor von Männern geleitet, und auch die Inszenierungen sind zu 70 Prozent in männlicher Hand, belegt eine jüngst in Deutschland durchgeführte Studie. So entscheiden vor allem Männer, welche Rollen die um rund 30 Prozent schlechter als ihre Kollegen bezahlten Schauspielerinnen bekommen. Sexismus gedeiht in diesem Klima prächtig. Sie würde bei etwa 15 Namen renommierter Regisseure "keine Augenbraue heben", wenn es um den Vorwurf sexueller Übergriffe gehe, meinte die deutsche Schauspielerin Pauline Knof kürzlich in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel".
Erhitzte Diskussionen
Im Burgtheater selbst gab es rund um den offenen Brief erhitzte Diskussionen und gespaltene Reaktionen, wie Caroline Peters, die derzeit an der Burg in Simon Stones "Hotel Strindberg" brilliert, bestätigt: "Überall debattierte man, in jedem Flur, in jeder Garderobe, weil die Meinungen darüber auseinandergingen, ob man die Debatte so nach außen tragen sollte, dass sie nur auf eine Persönlichkeit abzielt, oder ob man sie lieber als Gespräch über Strukturen öffentlich machen sollte - mit dem Vorschlag, dieses Gespräch einfach nachzumachen in den Redaktionen, Spitälern, Amts-und Polizeistuben." Sie selbst habe psychische Gewalt "nicht nur am Theater" erlebt: "Und ich gehöre zu denen, die gelernt haben, dies nicht als Gewalt zu empfinden. Ich finde gut, dass wir nun beginnen, das wieder zu verlernen. Dass man nicht mehr freundlich lächelnd daneben sitzt, wenn so etwas geschieht, und es für ,nicht so schlimm' hält. Denn genau das fördert ein Klima, in dem wirklich irre Personen dann tatsächlich meinen, sie könnten jemanden einfach so vergewaltigen - und damit durchkommen. Diese Linie gilt es zu brechen."
Während aber auf offener Bühne politische Fragen verhandelt werden und sich die Institution Theater nach wie vor als moralische Anstalt gibt, müssen sich Schauspielerinnen vor der Vorstellung offenbar belästigen lassen. Man habe sich viel zu lange "an dieses Papp'nhalten und Wegducken" gewöhnt, erklärt Burg-Schauspieler Robert Reinagl im profil-Gespräch und zitiert eine Kollegin, die meinte, seit Hartmann an die Burg gekommen sei, rieche es dort "wie in einem Bordell". Man sei im Haus "billig und abwertend behandelt worden", so Reinagl. Eine "moralische Revision" sei nötig, übrigens auch seitens der Kulturpolitiker, die gern "schillernde Persönlichkeiten" bestellten, aber deren egomanischen Führungsstil ignorierten. (Das ganze Interview ist auf hier nachzulesen.)
Volkstheater-Direktorin Anna Badora begrüßt die von #MeToo neu befeuerte Diskussion um Machtmissbrauch am Theater. Sie hätte den Brief vor fünf, sechs Jahren, als Hartmann noch im Amt war, als "mutigen, souveränen Akt" empfunden. Heute interpretiert Badora das Dokument aber auch als Warnschuss an Martin Kušej, der die Burg 2019 übernehmen wird - über den Christine Dössel, Theaterkritikerin der "Süddeutschen Zeitung", schrieb, er sei ein "großer Machtmensch und Herumbrüller". Der designierte Intendant "wird nun wahrscheinlich daran gemessen, wie sehr auch er die im Brief angeführte 'Atmosphäre der Angst und Verunsicherung' verbreitet, indem er etwa zu viel verändern will", sagt Badora: "Dieser Brief weist ihn jetzt schon in seine Schranken, noch bevor er an der Burg auch nur einen Tag tätig gewesen ist."
"Unter der Ära Hartmann gelitten"
Markus Hering, der seit Jahren mit Kušej am Münchner Residenztheater arbeitet, aber auch Hartmann am Burgtheater bestens kennengelernt hat, sieht den kommenden Chef im Haus am Ring nicht als Adressaten: Er könne bei Proben schon mal ausrasten, aber bei ihm dürfe man eben auch als Schauspieler toben. "Der Brief kam zustande, weil viele am Haus unter der Ära Hartmann immer noch gelitten haben", berichtet Hering, der derzeit an der Burg die Titelrolle in Ferdinand Schmalz' "jedermann (stirbt)" erarbeitet und das Schreiben unterzeichnete, auf profil-Anfrage. Hartmann habe das "Schikanieren anderer systematisch" betrieben. "Plötzlich öffnete sich eine Art Fenster - und man stach mit einer Nadel in die Eiterblase. Auf einmal war es möglich, gemeinsam und öffentlich darüber zu reden: Was ist da passiert? Was haben wir durchgehen lassen? Wo hat jeder von uns das Maul gehalten, immer mit dem Hinweis: So sind sie halt, die Regisseure? Hartmanns Wortwahl war oft so bezeichnend und theaterfremd. Mich schrie er einmal wegen irgendeiner Lappalie an, ich hätte gefälligst ,zu gehorchen'. Ich war dann auch nur ein halbes Jahr unter seiner Intendanz in Wien. Da stimmte die Chemie nicht, also ging ich weg."
Auch Peymann konnte ungerecht und rücksichtslos sein, sagt Hering noch: "Aber er war oft eher ungeschickt, zweifelte ständig an allem, war deshalb cholerisch. Hartmann dagegen nutzte ganz cool seine Machtposition aus, zog das als Prinzip durch. Solche Regisseure gibt es gar nicht mehr, ich habe so etwas seither mit keinem anderen erlebt." Heftige und aggressive Kritik werde es am Theater immer geben, "aber dagegen hat jeder, der am Theater arbeitet, auch ein Fell". Am Burgtheater jedoch habe sich unter Hartmann ein Klima der Paranoia eingestellt: "Ich habe Kollegen erlebt, die plötzlich zu flüstern begannen, an simplem Small Talk nicht mehr teilnehmen konnten, weil sie meinten, dass überall mitgehört werde. So ein Ton hat an diesem Haus nicht mehr zu herrschen - zumal er so einseitig war: Kein Schauspieler hätte sich je auf diese Art dem Regisseur gegenüber äußern dürfen."
Das Burgtheater ist alles andere als ein Einzelfall. Es gärt an vielen deutschsprachigen Bühnen, wo man nicht länger akzeptieren will, dass Intendanten ihre Häuser wie Gutshöfe führen. "Das ist mehr Usus, als wir glauben", bestätigt der Grazer Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan, der auch unter Hartmann am Burgtheater gearbeitet hat. "In wenigen Berufen liegen Persönliches und Berufliches so nah beieinander, das kann leicht ausgenutzt werden. Man ist der Führung mit Haut und Haar ausgeliefert." Um dies zu verhindern, haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Netzwerke gebildet. "Pro Quote Bühne" setzt sich für Frauenrechte im Theater ein, während der Verein "art but fair" um gerechte Arbeitsbedingungen und angemessene Gagen in den Darstellenden Künsten und der Musik kämpft. Und das "ensemble netzwerk" möchte den Austausch der Theaterschaffenden stärken.
Theater muss kreativ, chaotisch, streitbar bleiben, aber gegen Machtmissbrauch und Chauvinismus auftreten. Die Dramatikerin Sibylle Berg formuliert es so: "Die Steinzeit hat sich auch nicht halten können. Irgendwann setzt sich selbst bei der Spezies Mensch die Intelligenz durch - und intelligent ist es, zu erkennen, dass eine gleichberechtigte Gesellschaft in jeder Hinsicht für alle angenehmer ist."