Erfrischender Witz. Regisseur Woody Allen in Cannes

Cannes-Tagebuch (I): Woody Allen und schwer bewaffnete Security

Cannes-Tagebuch (I): Woody Allen und schwer bewaffnete Security

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Das Leben sei eine Komödie, stellt Jesse Eisenberg als melancholischer Protagonist in Woody Allens neuem Film fest – verfasst habe diese allerdings ein sadistischer Drehbuchautor. Ein Satz wie dieser kommt einem Festival, das den direkten Zusammenhang zwischen Kunst und Leben, Ästhetik und Politik gern betont, natürlich sehr entgegen. Nun braucht man als Festivalmacher keine allzu ausgeprägte Fantasie, um auf die Idee zu kommen, seine Eröffnungsveranstaltung mit einer Kino-Aktualität Woody Allens zu bestreiten. Der Mann, mittlerweile 80 Jahre alt, brachte bereits elf seiner Regiearbeiten in Cannes zur Uraufführung; er ist mehrheitsfähig, bürgt für leicht gehobene Unterhaltung und bisweilen erfrischenden Witz. Noch dazu handelt Allens "Café Society", mit dem am Mittwochabend die 69. Filmfestspiele in Cannes einigermaßen sinnträchtig gestartet wurden, von den amourösen Verstrickungen dreier Menschen in Hollywood Mitte der 1930er-Jahre. Ein mächtiger Filmagent (Steve Carell), auf Du und Du mit den Superstars der großen Leinwand, muss feststellen, dass seine junge Sekretärin (Kristen Stewart), mit der er eine Affäre hat, auch in seinen naiven Neffen aus New York (Eisenberg) verliebt ist, dem er gerade einen Job verschafft hat.

Woody Allen, Kristen Stewart und Jesse Eisenberg

In "Café Society" entwirft Allen eine synthetische Welt, in der zunächst alles dem Kino jener Zeit nachempfunden ist.

Die Nachtclubs sehen aus wie Kulissen aus einem Film Noir, die Gangster morden wie einst Paul Muni und James Cagney, und die Dialoge klingen, als wären sie einer zweitrangigen Screwball-Comedy entnommen. Interessanter sind Allens Auseinandersetzungen mit dem Judentum und dem alltäglichen Antisemitismus: Die jüdische Großfamilie im Zentrum seines Films entspricht zwar auch sämtlichen Klischees der jewish comedy, aber hier mischt sich dann doch etwas Schärfe in das sonst eher absehbare Spiel dieses Films. Woody Allen scheint über die Goldene Ära der US-Filmindustrie nur in den Kategorien des Kinos selbst nachdenken zu können. Anders als die Hollywood-Satire "Hail, Caesar!" der Coen- Brüder versteht sich "Café Society" nicht als anarchische Fantasie über die glamouröse Vergangenheit der Traumfabrik, sondern als bloß repräsentatives Spiegelkabinett.

Maschinengewehre und Schlagstöcke

Die Wirklichkeit der Filmbranche sieht anders aus: Uniformierte mit Maschinengewehren und Schlagstöcken patrouillieren über die Croisette, und an den Kinoeingängen warten Schlangen von akkreditierten Gästen geduldig auf die akribische Durchleuchtung all jener Dinge, die sie in ihren Taschen oder an ihren Körpern tragen. Mit spürbar verschärften Sicherheitsbedingungen reagiert die Direktion des bedeutendsten Filmfestivals der Welt somit auf die Terroranschläge in Paris; und tatsächlich wäre das hedonistische Cannes mit seinen Tausenden akkreditierten Besuchern und seinen allgegenwärtigen Live-Kameras ein nahezu perfektes Ziel für Attentäter. Die lückenlos anmutende Kontrolle des Festivalzentrums wird jedoch kaum auszuhebeln sein.

Exzentrisches Vater-Tochter-Gespann

Die Liste der heuer im Bewerb um die Goldene Palme präsenten Regiekräfte liest sich jedenfalls eindrucksvoll. Sie reicht von Jim Jarmusch und Olivier Assayas bis zu den Brüdern Dardenne, von dem Spanier Pedro Almodóvar und dem Iraner Asghar Farhadi bis zu dem strengen Rumänen Cristi Puiu. Eine in Österreich koproduzierte Arbeit findet sich auch im Wettbewerbsprogramm: In "Toni Erdmann", inszeniert von der deutschen Regisseurin Maren Ade ("Alle anderen"), treten Peter Simonischek und Sandra Hüller als exzentrisches Vater-Tochter-Gespann auf den Plan. Und die Wiener Filmemacherin Jessica Hausner, Gründungsmitglied des an "Toni Erdmann" beteiligten Unternehmens coop99, wurde in die Jury der ehrwürdigen Nebenschiene "Un certain regard" berufen. Für Hausner ist es eine Art Heimkehr: In Cannes feierte sie vor 15 Jahren die Weltpremiere ihres Debüts "Lovely Rita" - drei Jahre später wurde sie mit "Hotel" wieder hierher eingeladen, und 2014 lief ihr bislang letzter Film, "Amour fou", erneut in Cannes. Auch die Liebe zum Kino ist, bei entsprechender Verrücktheit, als Komödie zu betrachten.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.