Cannes: Die gegensätzliche Kinokunst der Herren Lee
Die 71. Filmfestspiele an der Croisette neigen sich merklich dem Finale entgegen, die Hektik lässt ein wenig nach, die per Gitterlabyrinth reglementierten Schlangen vor den Kinoeingängen nehmen vertretbare Längen an. Und das Programm schwingt sich, neben ernüchterndem Mittelmaß (mit Stéphane Brizés monoton inszeniertem Streikdrama „En guerre“ oder David Robert Mitchells bekifftem Trivial-Surrealismus in „Under the Silver Lake“) noch einmal zu großen Momenten auf: „Burning“, der neue Film des koreanischen Auteurs Lee Chang-dong („Secret Sunshine“), sein erster seit acht Jahren, widmet sich dem schleichenden Horror einer wie in Zeitlupe entgleisenden Dreiecksbeziehung; eine exzentrische junge Frau überrascht ihren scheuen Liebhaber, als sie aus dem Urlaub zurückkehrt, mit einem neuen Mann – einem wohlsituierten, unverbindlich freundlichen Geheimnisträger. Die gemeinsame Freizeitgestaltung endet jäh, als das Mädchen spurlos verschwindet.
„Burning“ basiert auf einer Kurzgeschichte Haruki Murakamis, die mit schwelendem Jazz-Soundtrack und einem untrüglichen Sinn für narrative Rhythmik kunstvoll nach Seoul und das Umland der Hauptstadt verlegt wurde. Den undurchschaubaren Widerpart des düpierten Helden spielt der aus Seoul stammende, aber in Los Angeles lebende Seriendarsteller Steven Yeun, bekannt aus „The Walking Dead“, so hintergründig und vieldeutig wie Lees Inszenierung selbst.
Am anderen Ende der Subtilitätsskala arbeitet der New Yorker Spike Lee. Seine jüngste Polit-Groteske „BlacKkKlansman“, nur echt mit dem dreifachen K, erzählt eine Story, die so unwahrscheinlich klingt, dass sie kein amerikanischer Drehbuchautor erfinden hätte können: Der afroamerikanische Cop Ron Stallworth, sympathisch dargestellt von John David Washington (dem Sohn des berühmten Denzel W.), infiltriert in Colorado Springs Ende der 1970er-Jahre gemeinsam mit seinem abgebrühten Kollegen (Adam Driver) die rechtsextreme Terrororganisation Ku Klux Klan. Anders als sein koreanischer Namensgenosse weiß sich Spike Lee aber nicht auf das Wesentliche zu konzentrieren, sondern will alles zugleich – Comedy, Politaktivismus, Spannung, Pop-Appeal und zeithistorische Souveränität. Atemlos hetzt er durch die wahnwitzige Erzählung, und dennoch gelingen (trotz der fast schon kabarettistischen Verweise auf die Trump-Administration) immer wieder passable Pointen, aber gegen Ende hin verliert „BlacKkKlansman“ dann doch alle Fäden – und leider auch seine Satisfaktionsfähigkeit als antirassistisches Pamphlet.