Rudi Klein illustrierte 25 Jahre lang die profil-Leitartikel.
Interview

Cartoonist im Ruhestand: Ein Abschiedsgespräch mit Rudi Klein

Rudi Klein illustrierte 25 Jahre lang die profil-Leitartikel. Nun verabschiedet sich der Wiener Zeichner in den Unruhestand.

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profil: Herr Klein, haben Sie heute schon gelacht?
Klein: Ich lache selten, am wenigsten über meine eigenen Zeichnungen. 

profil: Wann haben Sie zuletzt Tränen gelacht?
Klein: Bei zwei bestimmten Gelegenheiten. Das erste Mal bei der Lektüre der deutschen Übersetzungen von Bob Dylans Liedern. Ich war allein in der Wohnung meines Münchner Verlegers und sang schallend die Übertragungen. Es war zum Wiehern. Dylan auf Deutsch geht einfach nicht. 

profil: Und das zweite Mal?
Klein: Während eines Telefonats mit meinem Kollegen Nicolas Mahler. Kurz zuvor war ein palästinensischer Scheich, der im Rollstuhl saß, von den Israelis mit einer Rakete eliminiert worden. Ein gebrechlicher Opa, den man mit einem Fausthieb k. o. schlagen könnte, wird mit einem Marschflugkörper um die Ecke gebracht! Bei den anschließenden Demos wachelten die Palästinenser mit Rollstuhlteilen. Vollkommen absurd!

profil: Warum haben Sie solche Probleme mit dem Lachen?
Klein: Ich lache ja. Beim Filmschauen manchmal ein kurzes „Haha“. Das Problem ist, dass einen die Geschmacksentwicklung wählerisch macht. Als junger Mann sah ich mit Freundinnen im Kino Bud-Spencer-Filme. Das Publikum lachte ohne Ende. Ich fand es überhaupt nicht lustig, wenn ständig auf Köpfe eingeschlagen wird. Je mehr guten Humor man gesehen oder gehört hat, desto weniger kann man lachen. Punktum. 

profil: Können Sie Witze erzählen?
Klein: Nicht wirklich. Aus meiner Jugend kenne ich einen: Was ist der Unterschied zwischen einem Bäcker und einem Teppich? Der Bäcker steht auf – der Teppich bleibt liegen.

profil: Mit Verlaub: Da ist Luft nach oben.
Klein: Es sind oft die unscheinbaren Dinge. Eine Brauerei warb einst mit dem Spruch: „Schwechater – ein Bier wie ein Handschlag.“ Ein Wirtshausgast kritzelte auf einen Bierdeckel der Getränkefirma: „Warm und feucht.“ Da geht mir das Herz auf. Solche Kleinigkeiten geben mir das Vertrauen in die Menschheit zurück. 

profil: Sind Sie böse, wenn man über Ihre Zeichnung nicht lachen kann?
Klein: Ganz im Gegenteil. Ich habe mich immer darüber gewundert, dass meine Sachen von einer Minderheit angenommen wurden und werden. Ich war nie Avantgarde, sondern habe gutes Mittelmaß hergestellt, für das ich mich nicht zu schämen brauche. In den Postings einer Tageszeitung schrieb ein User regelmäßig: „Gibt es das auch in lustig?“ Das war sehr lustig!

profil: Wie definieren Sie Humor?
Klein: Diese Frage stelle ich mir seit Jahrzehnten. Der Tabubruch ist in Sachen Humor essenziell, aber er stirbt aus. Früher verbannte einen der Zensor in den Kerker. Heute werden Zeichnungen, die zwei oder drei Abonnenten verärgern könnten, in vorauseilendem Gehorsam gleich gar nicht mehr veröffentlicht. 

profil: Man kann fragen, wen man will: Ihr Ruf als Grantler ist sagenhaft. 
Klein: Ich war immer misstrauisch gegenüber Leuten, denen die Welt grandios und wunderbar vorkommt. Mir kamen diese Menschen entweder naturtrüb oder drogenabhängig vor. Ich muss hier nur aus dem Fenster schauen oder mir eine Nachrichtensendung ansehen, um knapp dem Suizid zu entgehen. Man kann die Welt nicht schön finden. Ich befürchte immer das Schlimmste – und freue mich dann, wenn es nicht eintrifft. Mit dieser Form des Zweckpessimismus bin ich gut über die Runden gekommen. 

profil: Waren Sie als Kind schon so?
Klein: Vielleicht ist das bei mir tatsächlich genetisch: Mein Vater konnte keine Übereinstimmung ertragen. Alle waren am Tisch derselben Meinung – er war aus Prinzip dagegen. Als Kind musste ich in der Kirche immer lachen, wenn um mich herum alle ergriffen waren. Ich wuchs in der Floridsdorfer Ostmarkgasse auf, damals der Rand von Wien. In unserem Gemeindebau lebte der jüngste Zuhälter der Stadt. Einer aus unserer Clique schaffte es sogar in die Zeitung: „Nackt im LSD-Rausch über die Donaufelder Straße“, titelte das Blatt. Einmal wurde einem Unbeteiligten vor einem Lokal ins Herz gestochen. In dieses Milieu habe ich am Ende auch nicht ganz gepasst. Gott sei Dank.

profil: Der Maler Gottfried Helnwein erzählte einmal, die Entdeckung des Disneyzeichners Carl Barks sei für ihn die Erlösung gewesen. Erlebten Sie auch einen solchen Moment?
Klein: Ich wuchs in einem klassisch-bürgerlichen Haushalt auf, mein Vater war Arzt, die Mutter Hausfrau. Viel E-Musik und Weltliteratur, die extreme Biederkeit der 1950er-Jahre. In Floridsdorf gab es eine Meinl-Filiale, vor der ein Comicheft namens „Felix“ verteilt wurde. Das war die Erweckung! Im Vergleich zu langweiligen Kinderbüchern wie „Die Schwalbe Hirundo “ war „Felix“ der absolute Flash. Farbe und kurze Texte! Später kamen die Geschichten von Carl Barks und die sogenannten „Mad“-Büchlein dazu, die im Vergleich zu den bekannten „Mad“-Heften wirklich lustig waren. Dadurch wurde ich in eine bestimmte Richtung gedrängt. 

profil: Warum besuchten Sie keine Kunstschule?
Klein: Auf der Wiener Akademie der bildenden Künste lehrten damals die Phantastischen Realisten. Das hätte niemals funktioniert. 

profil: Stattdessen studierten Sie sieben Jahre lang erfolglos Jus und arbeiteten anschließend in Gelegenheitsjobs. 
Klein: Zuletzt beim ORF als letzter Unterhilfswurm. Damals eröffnete ich mein erstes Konto mit einem Finanzrahmen von umgerechnet knapp 3000 Euro, den ich natürlich sogleich dramatisch ausreizte. Darauf bin ich heute noch stolz: Mit 3000 Euro Schulden kündigte ich beim ORF – und lebte von da an vom Zeichnen, was mir bis heute weitestgehend gelungen ist. 

profil: Haben Sie überhaupt noch einen Überblick über die Magazine und Zeitungen, die Sie in den vergangenen 45 Jahren mit Ihren Werken belieferten? 
Klein: Kaum. Der Höhepunkt meiner Tätigkeit waren Beiträge für die „Fleischerzeitung“. Zwei Jahre lang machte ich Fleisch- und Wurstwitze. Wunderbar!

profil: Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, so etwas wie Erfolg zu haben?
Klein: Als ich Vater wurde, musste ich Geld verdienen. Bisweilen bediente ich zeitgleich 14 Zeitungen mit meinen Zeichnungen. Nach der Finanzkrise 2008 wurde ich bei vielen Medien eingespart. Als sich die Anzeigensituation wieder besserte, wurde ich allerdings nicht zurückgeholt. Nicht erst seit dieser Zeit arbeite ich in einem sterbenden Gewerbe.

profil: Und was ist nun mit dem Erfolg?
Klein: Ich verabscheue diesen gräulichen Geniegedanken – was sich für die Arbeit selbst stets als Vorteil erwies: Ich bin noch nie nach einem Strich niedergekniet und habe vor Glück über mich selbst geheult. Bis heute stelle ich meine Zeichnungen nicht auf den unsozialen Kanälen aus. Man versäumt so vielleicht etwas Ruhm. Der Preis dafür ist mir aber zu hoch. Ich möchte mich nicht genieren müssen.

profil: Georg Büchner fragte sich, was in uns lügt, hurt und stiehlt. Ohne innere Abgründe gibt es keine Kunst?
Klein: Der „Lochgott“, meine vielleicht bekannteste Figur, entstand genau aus diesem Grund. Ich wollte einen Schöpfer schaffen, der genauso ein Arschloch sein kann wie Sie und ich. Das unterscheidet mich hoffentlich von vielen meiner Künstlerkollegen, die gleichermaßen unter Verwendung von Friedenstauben als moralische Instanzen auftreten – was sie aber definitiv nicht sind. 

profil: Zu André Heller, Erwin Wurm, David Schalko und Klaus Albrecht Schröder pflegen Sie legendäre Feindschaften.
Klein: Meine Liste ist so lang, die werde ich niemals abarbeiten können. Viele darauf betteln seit Jahren um eine Watschen. Im Draufhauen bin ich leider miserabel. Deshalb muss ich zeichnen. 

profil: Kürzlich feierten Sie Ihren 70. Geburtstag. Waren Sie als junger Mensch schon alt?
Klein: Durchaus. Früher gab es keinen Gesundheitswahn. Wir joggten nicht und ernährten uns nicht vegan, sondern kifften wie die Narren. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, als junger Mann einen Tai-Chi-Kurs zu besuchen. 

profil: Für profil illustrierten Sie ein Vierteljahrhundert lang den Leitartikel. Werden viele Leserinnen und Leser trauern, dass Sie nun aufhören?
Klein: Nicht sehr viele. Es gab aber immer wieder Menschen, die mir sagten: „Danke für die Zeichnung. Jetzt brauche ich den Leitartikel nicht mehr zu lesen.“ Nicht wenige meinten, die Zeichnungen seien mitunter besser als der Leitartikel.

profil: Es gibt von Ihnen so gut wie keine Karikaturen des heimischen Polit-Personals. Warum eigentlich nicht? 
Klein: Das hat mich nie gereizt. Gesichter werden schnell vergessen. Mich haben immer die Hintergründe interessiert. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass die große Nase des ehemaligen Bundeskanzlers Fred Sinowatz oder der Haarhelm von Sebastian Kurz lustig ist. Realismus war für mich nie ein Thema. Wofür gibt es sonst die Fotografie? 

profil: Darf man Hitler als Witzfigur darstellen?
Klein: Ja. Meine eiserne Regel lautet: Witz darf nicht auf Kosten von Schwachen gehen. Ich zeichne, um die Realität auf meine Weise zu bewältigen. Deshalb darf ich auch ordentlich zulangen. 

profil: Haben Sie für Ihre Zeichnungen mehr Liebes- oder Hasspost bekommen?
Klein: Man bekommt überhaupt wenig Post! Deshalb habe ich auch wieder angefangen, Postkarten zu schreiben, weil sämtliche Mails beim nächsten Absturz ohnehin weg sind. Insofern bin ich altmodisch: Ich greife Sachen gern an. 

profil: Haben Sie Angst, dass Ihnen die Ideen ausgehen könnten?
Klein: Immer weniger. Früher konnte es passieren, dass ich einen Tag herumlief und nachdachte. Heute kommen die Ideen bereits oft während der Telefonate mit Verlagen und Zeitschriftenredaktionen. 

profil: Den meisten Menschen dürfte Ihre Form des Arbeitens fremd sein: Sie stehen auf, wann Sie wollen, und arbeiten, wann es Ihnen passt.
Klein: Das sind die wenigen Vorteile meines Berufs, dass wir uns nachmittags und nicht um acht Uhr früh treffen können. Senile Bettflucht kenne ich nicht. Ich besitze keine Latifundien oder Häuser. Dafür habe ich es aber erstaunlich gut erwischt. 

profil: Wie gehen Sie mit dem Alter um?
Klein: Ich leide seit 40 Jahren darunter. Inzwischen geht es rasant bergab. In meinem Kopf bin ich noch immer 14. Zugleich schleppt man einen Haufen Vergangenheit mit sich herum, der Rucksack wird immer praller. Eine völlig absurde Situation! Der Körper meldet sich, mein linkes Auge hat nur mehr zehn Prozent Sehfähigkeit. Zukunftspläne sind in meinem Alter also nicht mehr angebracht. Warum hat mich davor niemand gewarnt? 

profil: Werden Sie im Alter sanftmütiger?
Klein: Davon merke ich nichts. Ich kann nach wie vor hervorragend hassen. 

profil: Marcel Proust will in seinem berühmten Fragebogen wissen, wie es um die „gegenwärtige Geistesverfassung“ bestellt sei. Ihre Antwort?
Klein: Geht so. 

profil: Noch eine Frage à la Proust: „Wie würden Sie gerne sterben?“
Klein: Relativ schnell. „Bis bald!“ habe ich ins Kondolenzbuch von Manfred Deix geschrieben.

profil: Was soll dereinst auf Ihrem Grabstein stehen?
Klein: Früher dachte ich an „Furchtloser Angsthase“. Heute kümmert mich das nicht mehr. Ich glaube an die Wiedergeburt als Wurmfutter. 

Rudi Klein, 70,

zählt zu den prägenden Figuren der österreichischen Zeichen- und Cartoon-Szene. Als Rudi, Rudolf, Ruud und Ivan Klein belieferte er jahrzehntelang heimische und internationale Zeitungen und Zeitschriften, neben profil auch „Der Standard“, „Falter, „Süddeutsche Zeitung“, „Titanic“, das Magazin der Arbeiterkammer, die „Ärztewoche“, die „Golfrevue“ und das „Visa-Magazin“. Damit ist jetzt Schluss: Klein verabschiedet sich offiziell aus dem Arbeitsbetrieb. Sein letzter Wunsch blieb ihm allerdings verwehrt. Seit Jahren bekniet er profil-Herausgeber Christian Rainer, profil möge doch ein ausklappbares Foto in „Playboy“-Manier veröffentlichen, auf dem Klein splitterfasernackt wie weiland Burt Reynolds 1972 auf der ikonischen Fotodoppelseite im „Cosmopolitan“-Magazin posieren könnte. Das Gespräch mit Klein fand in seinem Atelier um die Ecke vom Wiener Karlsplatz statt. 

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.